Название: Die Bluthunde von Paris
Автор: Christina Geiselhart
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783737553322
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„Bist du auch ein Kind niederen Ranges, so schätze ich deine Gegenwart. Deine Gedanken sind reif, dein Herz ist kein Kinderherz mehr, und dein Verstand verblüfft. In den letzten Wochen habe ich dich beobachtet und studiert. Und ich habe beschlossen, dir meine Geschichte zu erzählen. Allerdings musst du mir ein weiteres Mal auf das Leben deines Pferdes schwören, niemandem davon zu berichten.“
„Immer und immer wieder schwöre ich Ihnen leichten Herzens, lieber Herr. Bis heute habe ich niemandem verraten, dass ich in diesem Landhaus Zuflucht gefunden habe. Nun werde ich es erst recht nicht tun. Es soll auf immer unser Geheimnis bleiben. Möge auch Gott niemandem verraten, dass wir hier sind.“
„Ob Gott uns gnädig ist, mag ich bezweifeln. Aber dir will ich glauben. Trotz deiner Jugend bist du unerhört klug!“ Wie zu Anfang forderte er sie auf, ins Innere zu treten und im Sessel Platz zu nehmen. Während sie es tat, schürte er die Glut und gab einige Holzscheite hinzu. Schließlich setzte er sich ihr gegenüber. Es war ein sonniger Spätnachmittag, der Abend ließ auf sich warten, doch aufgrund der abgedunkelten Fenster war der Raum schummrig. Das Feuer im Kamin wiederum erzeugte ein gemütliches Licht und die aufzuckenden Flammen gaben den Gesichtern der beiden jungen Menschen einen faszinierenden Schmelz. Philippine saß still und wartete ergeben. Sie hätte sogar die Augen niedergeschlagen, aber sie konnte seinem Anblick nicht widerstehen. Der Edelmann beugte sich ein wenig vor und sah dem Mädchen intensiv in die Augen.
„Du heißt Philippine, und ich nenne dich auch so. Ich heiße Maxence. Du darfst mich so nennen. Vergesse aber niemals die Anrede Monsieur. Nenne mich Monsieur Maxence, hast du verstanden? Bei allem Vertrauen, das ich dir entgegenbringe, bleibt doch stets der Rangunterschied. Du musst ihn respektieren. Verstehe mich nicht falsch: Ich bin ein Mann des Fortschritts, du wirst es anhand meiner Geschichte erfahren. Ich hasse den Absolutismus, verabscheue die Arroganz des Hofes, unter der das Land leidet. Gleichzeitig glaube ich an den Unterschied des Blutes. Ich bin von edlem Geblüt und du von gemeinem Blut.“
Erst jetzt senkte Philippine die Lider. Sie wusste, dass sie im Vergleich zu ihm ein Nichts war, aber konnten nicht Empfindungen, große Gefühle das alles wettmachen?
„Sieh mich an!“
Das Mädchen gehorchte.
„Du willst also meine Geschichte hören?“
Es nickte heftig.
„Schwöre mir zum dritten Mal, beim Leben deiner Mutter, deines Vaters, deiner Geschwister und deines Pferdes, niemandem zu verraten, was du nun von mir hörst.“
Zärtlich ruhten die großen Augen des Mädchens auf dem Gesicht des Edelmanns. Leise und fast etwas enttäuscht wiederholte es, was es schon mehrmals beteuert hatte.
An der Art, wie es zu ihm sprach und auch an ihrem zärtlichen Blick, musste der Mann erkennen, dass dem Mädchen viel an seiner Person lag. Dementsprechend war die Aussage zu deuten, mit der er zu erzählen begann:
„Wenn du mich verrätst, erwartet mich der sichere Tod.“
Philippine zuckte zusammen. Deutlich hob sich das kräftige Grün ihrer Augen von der blassen Haut ab.
„Vorläufig bin ich hier sicher. Niemand aus meinem Bekanntenkreis wird sich an dieses alte Landhaus erinnern. Es gehörte einem älteren Freund meines Vaters, der sich hier mit seiner jungen Maitresse traf. Bevor er starb, vermachte er es der Maitresse, die jedoch nach seinem Tod wahnsinnig wurde und auf ihrem Schloss vor sich hinvegetiert. Solange sie lebt, kümmert sich niemand um das Liebesnest und niemand verspürt Lust, in diesen einsamen Ort Geld zu investieren, um ihn wohnlich zu machen. Wir brauchen nichts zu befürchten, wenn du schweigsam bist.“
„Ich schwöre es!“, flüsterte Philippine aufs Höchste gespannt.
„Kennst du Frankreichs Geschichte?“
Das Mädchen nickte zaghaft und erwähnte einige Episoden, die sie bei Pfarrer Roumanet gelernt hatte. Allerdings traue sie seiner Interpretation nicht ganz. Sie sei voller Wut und Hass auf das Königshaus. Dabei müsse man den König ehren. Maxence lachte spöttisch.
„Nein! Diesen König darf man nicht ehren. Er ist so schwach wie sein Vorgänger und so vergnügungssüchtig wie einst der Sonnenkönig.“
„Aber der Sonnenkönig war ein starker Mann. Er hat Versailles gebaut.“
„Und unzählige Kriege geführt. Willst du solche Könige ehren? Der Bau von Versailles hat Unsummen verschlungen und das Volk ausgehungert. Alles Salz ging an den Hof, die Menschen auf dem Land mussten darauf verzichten und wurden bucklig.“
„Es braucht großen Mut, die Könige anzuzweifeln. Sie sind wie Gott. Wir können nicht gegen sie ankämpfen. Wir dürfen es auch nicht, wenn uns unser Leben lieb ist. Sonst müssen wir so schrecklich leiden wie Damien, der unseren Ludwig XV ermorden wollte.“
„Unfug! Unsinn! Dummheit!“, rief Monsieur Maxence und seine Wangen röteten sich. „Der König ist nicht wie Gott. Merke es dir ein für allemal! Unser jetziger König ist ein gutmütiger Mensch mit einem einfachen Verstand. Nicht dafür geschaffen, einem Reich mit all seinen Schwierigkeiten vorzustehen. Er und seine kindische, nichtsnutzige Königin müssen verschwinden.“ Ein wilder Ausdruck verhärtete Maxence’ Gesicht. Wieder zuckte Philippine erschrocken zusammen. Ihre Lippen formten das Wort König und sie wurde blass.
„Nettes, ahnungsloses Mädchen, das du bist, wach auf! Du und deinesgleichen werdet klein und dumm gehalten, damit ihr es ja nicht wagt, euch aufzubäumen. Siehst du denn nicht wie verschwenderisch sie in ihren Schlössern leben? Gold, Silber, schöne Kleider, gutes Essen in Hülle und Fülle, während ihr euer Brot einteilen müsst, wenn ihr überhaupt welches habt.“
„Das ist in der Natur der Dinge, weil wir einfach sind und der König göttlich.“
„Göttlich! Ha!“
Aufgebracht schoss er hoch. Sein Zeigefinger schnellte durch die Luft und leidenschaftlich fuhr er fort: „Was ist in der Natur der Dinge? Dass der Mensch sich nur durch Bildung vom anderen unterscheidet und nicht durch das Blut!“
„Aber Sie sagten zuvor, ich sei von gemeinem und Sie von edlem Blut!“, wagte Philippine hoffnungsvoll einzuwerfen.
„Das war anders gemeint, altkluges Mädchen! Und vermeide es, mich frech zu unterbrechen.“
Streng sah er sie an. „Edles Geblüt bezieht sich auf die edle, jahrhundertealte Erziehung, die meine Familie genossen hat. Deshalb ist unser Blut edel. Deshalb hat sich unser Verstand verfeinert und deshalb sehen wir auch feiner aus als das niedere Volk. Das gilt ebenso für den König. Auch wenn er im Gegensatz zu meinesgleichen ein lahmer, nichtsnutziger Esel ist. Ich habe die großen Denker unseres Jahrhunderts studiert. Louis studiert außer den erlesenen Speisen auf seiner Tafel nur Hirsche. Vor deinem Gott jedoch sind wir alle gleich, und vor dem Gesetz müssen wir alle gleich behandelt werden. Hast du das verstanden?“
Unsicher nickte Philippine.
„Und bevor ich dir meine persönliche Geschichte erzähle – die übrigens sehr kurz ist – werde ich dir die lange Geschichte aller Könige Frankreichs lehren und du wirst erkennen, dass diese Menschen keine Stellvertreter Gottes sind. Eher sind sie Stellvertreter des Teufels, man denke an einige unter ihnen wie François I., der seinem Volk hohe Steuern abpresste, um seine Favoriten und Maitressen mit Schätzen zu überschütten. In seinem Reich blühten Wucher, Korruption und Hass auf Andersdenkende. СКАЧАТЬ