Marx und Nietzsche mischen sich ein - Die heillose Kultur - Band 1.1. Dr. Phil. Monika Eichenauer
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СКАЧАТЬ Einzelnen nach dem Krieg über das, was in seinem/ihrem Leben, in ihrer Gegenwart passiert ist und worüber sie in Kriegszeiten, danach und vielleicht bis heute schweigen, hat zur Folge, dass die Deutschen angesichts aktueller Ungerechtigkeiten eher schweigen, als sich aktiv äußern oder wehren. Menschen, die Diktatur und Krieg erlebt haben, hatten nie oder zumindest selten die Möglichkeit der eigenen persönlich-emotionalen Aufarbeitung – dafür gab und gibt es zu wenig zugelassene Psychologische Psychotherapeuten. Gäbe es in Deutschland so viele zugelassene Psychotherapeuten wie es Ärzte im übrigen Gesundheitswesen gibt, wären vermutlich alle Menschen gemeinsam als Kollektiv in der Aufarbeitung weiter.

      Dennoch, die wenigen Psychotherapeuten haben Methoden entwickelt, von denen immer mehr Menschen Gebrauch machen und die in gewisser Weise zumindest gedanklich und verbal im Bewusstsein vorhanden sind (Beispiel: Traumatherapien, Trauerarbeit) – auch wenn sie qua politischer Entscheidung bezüglich der Etats der Krankenkassen und sozialen Einrichtungen absolut minimiert und budgetiert nur wenigen Menschen tatsächlich zur Verfügung stehen. Zusätzlich gilt: Sich seiner Traumatisierung zu stellen, ist ein langer, seelischer Prozess. Denn die Seele braucht – trotz allen Wissens um das Geschehene – Zeit. Zeit, um das komplexe Material von emotionaler Zerstörung und Zurückhaltung ins menschliche Bewusstsein treten zu lassen. Ebenso wie bei Missbrauch und Vergewaltigung, wie ich zu Anfang des Kapitels mitteilte. Auch in Fachleuten. Entsprechend kann behauptet werden, dass es in der Nachkriegszeit keine adäquate professionelle Hilfe geben konnte. Heute könnte es sie geben – und sie wird politisch nicht gegeben. Der Mainstream verkündet anderes.

      Zusammenfassung: Als der Krieg in Deutschland 1945 beendet war, waren Menschen arm – sie freuten sich über das Kriegsende und sie freuten sich, zu leben. Aber es gesellte sich sofort das Ausmaß dessen hinzu, was während der Hitlerzeit in Deutschland geschehen ist.

      Der tief empfundene und wenig formulierte Schmerz, geschwiegen und nicht gehandelt zu haben, selbst wenn sie tatsächlich nichts „gewusst haben“, geht in der Seele weiter. Die betroffenen Menschen hatten nach dem Krieg sowohl den Selbstverrat als auch, verschärfend, den Verrat durch die eigene Regierung zu verarbeiten. Der Missbrauch des Volkes durch das Hitlerregime, die zielgerichtete Manipulation durch die eigene Regierung, führte zur Beschämung und kollektiver Schuldübernahme im gesamten deutschen Volk. Mit seiner Befreiung erlebte es die Scham über den Verrat der Deutschen an den Deutschen: So standen sie da, die Menschen, zerlumpt und beschämt, gewillt, wieder gutzumachen, was geschehen war. Da Ausnahmen die Regel bestätigen und die Ausnahmen meistens in den oberen gesellschaftlichen Schichten fern der „normalen“ Norm zu finden sind, konzentrierte sich die Wirtschaft schnell wieder auf das Wesentliche: Auf den Aufbau aus den Trümmern des Krieges. Macht und Geld übernahmen weiterhin das Ruder im Nachkriegsdeutschland – das war natürlich auch im Interesse der übrigen Welt. Diejenigen, die unter Hitler mitgemischt hatten, mischten nun auch weiterhin die Karten für das Leben in Deutschland. Aber die Bevölkerung erlebte, wie sie mit diesem politischen Handeln des Hitlerregimes identifiziert wurde. Das nächste Trauma. Doch dieser Teil der Vergangenheit lag jahrzehntelang unter dem eisigen Mantel des Schweigens – im Übrigen für Oben und Unten. Die Schamreaktion zog die schrecklichen Ereignisse des Nationalsozialismus wie des Krieges in unbekannte psychische Tiefen, hinfort aus dem Alltag. Erst der 11. September 2001 brachte die emotionale Notwendigkeit hervor, dieses Thema aus den psychischen Katakomben zu bergen − für die Nachwelt, für die Nachgeborenen. Dieses Attentat verletzte bis dahin gültige Vorstellungen und internationale Vereinbarungen. In kürzester Zeit war weltweite Betroffenheit ausgelöst – allerdings anders als im September 2008 nach den Bankenpleiten in den USA. 2001 waren Menschen in unmittelbarer Nähe der Zwillinge direkt in ihrem Leben bedroht und der Rest ethisch-moralischer und weltweiter Verbindlichkeit wie weggespült. Nun sind die amerikanischen Bürger in ihrer Existenz über Nacht getroffen und die Hiobsbotschaften schwappen über auf Europa. Wie Einzelschicksale aussehen werden, deren existenzielles Leid sich über Jahrzehnte hinziehen wird, wird sicherlich nicht in den Medien politisch verfolgt. Man weiß noch nicht, wie sich diese Bankenkrise in Deutschland und Europa auswirken wird und auch hier zusätzliche existenzielle Krisen hervorruft.

      2005 hieß es, wir befänden uns in der schwersten Krise seit der Nachkriegszeit. Frage: Wo befinden wir uns jetzt? Nur zur Erinnerung: Damals, 1945, gab es zwei Millionen Arbeitslose – heute haben wir „gezählte“ 4,8 und gefühlte, geht man durch die Städte, deren Läden bereits teilweise geschlossen sind oder Billigläden weichen, sind es weit mehr. Da muss man sich doch fragen, welcher, Krieg’ wütet denn nun im Lande? Es geht um die Existenz in Deutschland: Es ist ein Krieg um Existenz und Leben. Das deutsche „Oben“ teilt wieder die Welt mit ein. Unten wird dirigiert in Sachen Existenz und Leben – stets unter der ökonomischen Prämisse: Vermehrung des Reichtums der Reichen auf Kosten des Mittelstandes und der Unterschicht bei erbärmlichster Versorgung derjenigen, die in der Wirtschaft nicht mehr gebraucht werden. 2008 und 2009 wird nun der in den letzten Jahren klein gehechselte Mittelstand wieder zu neuem Leben erweckt, weil man erkannt hat, dass ausschließliche Globalisierung nicht der Weisheit letzter Schluss ist.

      Aus Sicht der Menschen in Deutschland ist es ein Verrat, nur eine Gruppe von Menschen, nämlich diejenigen, die reich sind, zu bevorzugen. Tabubruch und Missbrauch sind die Folgen. Man hat sich umfassend klar zu machen, dass diejenigen, die nach dem Krieg in Deutschland wieder in Führungspositionen saßen, auch diejenigen waren, die unter Hitler in Führungspositionen saßen. Die Tatsache, dass der Krieg vorbei ist, man bereut und alles neu macht in Deutschland und der Hitlerideologie entsagt und dann anfängt, demokratisch zu denken, konnte nicht mehr als eine Absichtserklärung zugrunde liegen. Sprich, dadurch war nichts neu und aufgearbeitet: Es waren immer noch die gleichen Menschen, die sagten, wo es lang ging, wie man heute weiß. Und da man die politische Verpflichtung zur Demokratie eingegangen ist, hatten auch diesbezüglich alle zu schweigen – die Aufarbeitungen wurden und werden bis in die Tage der Gegenwart hinein verschoben:

      So forscht nun das BKA nach seinen „braunen Wurzeln“. (Wolfgang Harms. In: WR, 10.8.2007). 1951 gegründet, verkündete das Bundesinnenministerium auf die sich auf diesen Punkt konzentrierende parlamentarische Anfrage: „Das BKA hat keine nationalsozialistische Vergangenheit.“ Dabei lag bereits ein Buch „Die braunen Wurzeln des BKA“ (Schenk, 2001) vor. Der Autor und frühere BKA-Mann Dieter Schenk kommt darin zu dem Schluss, „dass die Behörde „von Nazi-Tätern aufgebaut wurde.“ Diese machten reihenweise Karriere: „1959 bestand der Leitende Dienst aus 47 Beamten – bis auf zwei hatten alle eine braune Weste.“

      BKA-Präsident Jörg Ziercke will nun selbst forschen – und kommt zu ähnlichen Zahlen. Auch Paul Dickopf, „der das BKA mitkonzipiert hatte und von 1965 bis 1971 dessen Präsident war“ zählt zu den früheren SS-Führern. Harms: „ Aus Schenks Sicht war er nicht unbedingt ein eingefleischter Nazi, sondern ein deutschnationaler Karrierist, der bevorzugt alte Kameraden aus seiner Lehrzeit an der, Führerschule der Sicherheitspolizei’ um sich scharte.“ (ebd.)

      Nun das Entscheidende: Für Schenk war Dickopf’s Einfluss noch drei Jahrzehnte nach dessen Ausscheiden zu spüren, „in der Halbherzigkeit, mit der Rechtsradikalismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit bekämpft werden“. (WR, ebd.)

      Die historischen Befunde und personelle Kontinuitäten sind nicht umstritten. Aber, ob alte Methoden, alte Vorstellungen aus der Hitlerzeit hinsichtlich Kriminalität weiterhin wirkten „und ihr altes Berufsverständnis“ weiter pflegten, ist von Interesse. (WR. 10.8.2007)

      Natürlich waren durch das Kriegsende keine neuen Menschen in Deutschland – es waren die gleichen wie unter Hitler. Natürlich bestand der Zwang, Deutschland wieder aufzubauen. Mit eben diesen Menschen, die bereits unter Hitler gelebt oder besser überlebt hatten. Die breite Bevölkerung konnte zusehen, wie diejenigen, die unter Hitler Positionen hatten, nun auch in der Demokratie wieder das Sagen hatten. Fraglich ist, wie sie ihre neue Position ausfüllten. Wie es zu bewerkstelligen ist, von einem Tag auf den anderen, ein Mensch mit völlig neuer politischer Anschauung zu werden und gemäß der neuen Leitlinien zu leben und zu arbeiten СКАЧАТЬ