Marx und Nietzsche mischen sich ein - Die heillose Kultur - Band 1.1. Dr. Phil. Monika Eichenauer
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СКАЧАТЬ alles an. Und gerade deshalb, weil sich die Mutterliebe nicht von selbst versteht, ist sie unersetzlich. Diese Botschaft wird vielen missfallen. Insofern ist Peter Wawerzineks Rabenliebe nicht nur ein literarisches Ereignis, sondern auch eine Provokation.“ (Greiner, Ulrich, 2010, S. 49)

      Der Film „Into the wild“ (Sean Penn) zeigt, wie der Protagonist Chris McCandless aussteigt aus Gesellschaft und Familie. Er entsagt Swimmingpool, Geld, Auto, Zigaretten, kurz, dem Konsum, um zu sehen, was in ihm steckt und wer er ist. Der Film beginnt im Schlafzimmer der Eltern. Die Mutter schreckt aus dem Bett in der Nacht hoch. Sie hat die Stimme von Chris gehört: „Mama, hilf mir...“ Im Film werden fragmentarisch Gedanken und Erkenntnisse mitgeteilt. Beispiel: „Mancher Mensch glaubt, dass er der Liebe nicht wert sei und geht in die Einsamkeit, um die Lücken in der Vergangenheit zu schließen...“ Hinzugefügt sei: Viele Menschen, die dies tun, tun dies oft nicht, weil sie nichts Besseres zu tun wüssten, sondern weil sie es als dringliche Notwendigkeit emotional erleben, der sie nachkommen müssen, um zu leben oder zu überleben. Chris geht in die Wildnis, um seine Lücken und Wunden zu schließen – dafür schließt er sich von der Zivilisation ab. Die Eltern wissen, dass man Kristall vorsichtig behandeln muss – aber sie wissen nichts davon, wie zerbrechlich die Seele von Chris, ihrem Sohn, ist. Ein sehenswerter Film.

      So wenig wie Kriegserfahrungen oder Mord verjähren, so wenig verjähren Kindesmissbrauch und Vergewaltigung. Man fragt sich, warum die Taten der Täter verjähren sollen, wo die Opfer bis ins Grab mit diesen Erlebnissen zu tun haben. Es bedarf nicht nur der Weiterentwicklung psychotherapeutischer Methoden für Betroffene, es Bedarf eines Wandels im Umgang mit derartigen Erfahrungen in der Kultur: Als Mensch kann man eigentlich nur mit aller Kraft dafür eintreten, Kriege zu verhindern und Menschen, die als Schläger, Vergewaltiger und Kindesmissbraucher auffällig werden, dementsprechend zu bestrafen – und zu therapieren, wie ich es oben kurz andeutete.

      Die Zusammenhänge, was von was kommt, und was Opferschaft im Leben von Menschen bedeutet, muss jedem Menschen klar werden. Nur das Wissen um die Zusammenhänge und das Mitgefühl für diejenigen, die unter derartigen Erlebnissen leiden, kann dann vielleicht irgendwann bewirken, dass ein Mensch dem anderen so ein Leid nicht antut und generell dafür sorgt, dass derartiges Leid niemanden angetan wird.

      Das Bewusstsein, nicht „nur“ dem Opfer zu schaden, sondern auch den Kindern von Opfern, muss realisiert werden. Täter müssen wissen, dass auch sie (vermutlich emotional) blind Grausamkeit durch ihr eigenes Verhalten weitergegeben haben, das sie selbst irgendwann einmal erfahren haben. Oder, dass sich Grausamkeit durch Familienmitglieder auf sie übertragen hat und sie schlicht Ausführungsorgan für Grausamkeit in jeder Form waren. Generell sind Täter nicht sensibilisiert für Grausamkeit – sonst hätten sie Gewalt, Missbrauch, Vergewaltigung oder sonstige Gräueltaten nicht ohne Gefühl weitergeben können. Abschließend wäre zu sagen, auch Täter können auf ihre eigenen Kinder/Enkel ihr Täterverhalten unbewusst übertragen.

      Liest man das Interview von Martin Walker, das er mit der Psychoanalytikerin Marina Gambaroff in dem Buch „Angst Lust – das furchtbar Weibliche“ führte, in dem er der Frage nachgeht, woher der Sadismus der Männer Frauen gegenüber stammt und sich insbesondere in Kriegszeiten offenbart(e), wird der hier gestiftete Zusammenhang von Vergewaltigung/Kriegserlebnisse/Missbrauch und dem Verhalten von Tätern, Müttern und Vätern, heutzutage plausibler:

      Frauen wurden quer durch alle Zeiten körperlich an den Geschlechtsteilen verstümmelt, undenkbarer Grausamkeit und Sadismus ausgesetzt und selbst aus Schwangeren wurden Kinder herausgeschnitten und getötet, Frauen aufgespießt. Es scheint, hinsichtlich der Ausübung von Grausamkeiten gibt es keine Grenzen. Gambaroff:

      „Es gab bei der Vernichtung der Armenier in der Türkei, Anfang des Jahrhunderts, grausamste Vergehen an Frauen, auch an schwangeren Frauen. Es fällt auf, gleich wo, durch welche Nation und von den Anhängern welcher Religion auch immer solche Grausamkeiten verübt werden, wenn sie gegen Frauen gerichtet sind, dann geht es in besonders sadistischer Weise um die Geschlechtsmerkmale und die Fortpflanzungsfähigkeit der Frau. Und es scheint wirklich so zu sein, wie du sagst, dass es gerade in Situationen sozialer Auflösung zu diesen schrecklichen Übergriffen gegen Frauen kommt. Nun müsste man sich fragen, warum ist das so? Soziale Auflösung ist äußerlich wie innerlich immer eine Existenzbedrohung, eben weil schützende und stabilisierende Strukturen, die dem einzelnen und dem Kollektiv Halt geben, zusammenbrechen. Kommen noch Kriegshandlungen hinzu, wächst die Bedrohung weiter an.“ (Block M. E.)

      Frau Gambaroff verfolgt hier die psychoanalytische Hypothese, dass Männer, die ihre Mütter in ihrer Kindheit als wenig Sicherheit, Schutz und Halt gebend erlebten, in Kriegszeiten diese Gefühle der Schutzlosigkeit erneut in der Regression, ausgelöst durch die Kriegswirren, erleben. Herr Walker fasst diesen Zusammenhang im Interview so zusammen:

      „Die Mutter, die das Leben gibt, gibt uns gleichzeitig den Tod mit. Das wäre dann eine typische metonymische Verwechslung. Man erhält die Macht über den Tod, indem man der, Todesbringerin’ den Garaus macht.“ (1994, S.14)

      Damit wäre ein Kreislauf für Frauen und Männer geschlossen: Frauen geben Grausamkeiten weiter, weil Generationen von Frauen Grausamkeiten erlebten – die sich möglicherweise als wenig Halt, Sicherheit und Schutz gebend in der Betreuung ihrer männlichen Kinder äußerte – was aber durch geschlechtsspezifische Sozialisationsforschung nicht bestätigt wird. Danach erhalten männliche Säuglinge und Kleinkinder mehr Aufmerksamkeit, Zuwendung, längere Stillzeiten als weibliche. (Vgl. z. B. Scheu, U. 1977; Bilotti, E. G., 1973–1977 u. a.) Psychoanalytische Beziehungs- und Objektforschung könnte mit der Objektverlusterklärung helfen, die Lücke zu schließen: Männer müssen sich im Laufe der Entwicklung von der Mutter trennen, um eine männliche Identität aufzubauen – das müssen weibliche Kinder nicht. Damit fällt es den männlichen Kindern schwer nach der (ausführlichen) Bemutterung, die Mutter loszulassen. Sie müssen das Anderssein, das Männlichsein erkennen und in diesem Prozess den Verlust des Liebes- und Identifikationsobjektes verarbeiten und anerkennen. Das kann Wunden und Reste von Wut und Aggression beinhalten, je nachdem wie die Beziehung mit der Mutter sich gestaltete und dieser Ablösungsprozess letztlich erfolgte. Männer folgen damit (wahrscheinlich) dem Kreislauf der erlebten Unsicherheit und Schutzlosigkeit und erleben diese in Situationen sozialer Instabilität oder im Krieg wieder:

      „Wenn Sozialstrukturen im Laufe ihrer Destabilisierung sowohl ihren intrapsychisch bedeutsamen Aspekt väterlicher Normenregulierung als auch den mütterlich haltender Funktion verlieren und im Gegenteil das gesellschaftliche Chaos zu einer „verfolgenden Mutter“ wird, dann kann ein ganzes Kollektiv auf eine sehr frühkindliche Stufe von Reaktionsweisen regredieren. Dann sind die Menschen diesen archaischen Ängsten ausgesetzt, die innerpsychisch nicht mehr zu kanalisieren sind. Dies dürfte vielleicht ganz besonders auf Kollektive Krieg führender Männer zutreffen, die ja in der Tat ganz real durch den Feind von Vernichtung und Tod bedroht sind. Die Weltwahrnehmung wird, je regressiver sie ist, desto weniger komplex, sprich: immer primitiver im Sinne von sich immer stärker vereinfachenden Mustern.“ (Gambaroff, 1994, S. 12 ff.)

      Interessant wären an dieser Stelle Zahlen von Kindesmissbrauch, Vergewaltigung der letzten fünf, sechs Jahre, in denen sich soziale Sicherungssysteme qua Politik auflösten und die wirtschaftliche Unsicherheit in Deutschland zunahm. Gewalt- und generell Aggressionszunahme pfeifen die Spatzen von den Dächern – insbesondere von Schuldächern. Allgemein wird von einer hohen Dunkelziffer gesprochen – 12.765 Fälle sexuellen Missbrauchs von Kindern wurden laut Statistik des Bundeskriminalamtes 2006 erfasst. Aber: „Experten und Behörden sind sich einig, dass die Dunkelziffer um ein Vielfaches höher liegt.“ (WR, 7.8.2007) Ergänzend wäre die Mitteilung des Verkehrsclub Deutschland (VCD) auf der Grundlage der vom Statistischen Bundesamt veröffentlichten Zahlen vom 8.7.2009 weiterzugeben: täglich sterben in Deutschland 12 Menschen pro Tag auf deutschen Straßen und mehr als 70.000 Menschen werden schwer verletzt. (Verkehrsunfallzahlen 2008: Vcd-blog.de СКАЧАТЬ