Название: Schattenspiel - Der zweite Teil der Schattenwächter-Saga
Автор: Sandra Grauer
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783738005875
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Gabriel ging nun ebenfalls zu seiner Mutter und setzte sich auf ihre andere Seite. »Wir wissen es nicht«, antwortete er ruhig und legte eine Hand auf ihren Arm.
Er erzählte ihr, was genau in den letzten zwei Stunden geschehen war. Seine Mutter riss sich zusammen, doch schließlich verlor sie jegliche Kontrolle. Sie begann zu weinen und legte ihren Kopf an Joshuas Schulter. Ich fühlte mich schrecklich. Nicht nur, weil ich mir vorstellen konnte, wie es ihr in diesem Moment ging. Nein, ich kam mir vor wie ein Eindringling in ihre Privatsphäre. Und das war ich wirklich. Noch nie hatte ich Gabriels und Joshuas Mutter so gesehen, so verletzlich. Ich hatte bisher nie viel mit ihr zu tun gehabt und wenn, dann hatte sie einen kühlen Eindruck auf mich gemacht. Ich hatte sie nicht sonderlich gemocht und mich schon mehrmals gefragt, was Noah überhaupt an ihr fand. Schuldgefühle überkamen mich bei der Erinnerung daran. Wie ein Liebespaar waren die beiden mir nie vorgekommen, aber scheinbar hatte ich mich gründlich getäuscht.
Unwohl trat ich von einem Fuß auf den anderen. Was sollte ich jetzt machen? Ich hätte den dreien gerne ein wenig Zeit für sich gegeben, aber das war schließlich nicht mein Zuhause. Ich konnte doch nicht einfach in Gabriels oder Joshuas Zimmer gehen und dort warten, oder? Aber schließlich tat ich genau das. Ich ging in Gabriels Zimmer und stellte mich vor die Heizung. Einen Moment blickte ich mich um. Das Zimmer sah genauso aus wie immer, was irgendwie merkwürdig war. Schließlich war nichts wie immer.
Seufzend holte ich mein Handy aus meiner Hosentasche und wählte die Nummer meiner Mutter. Ich wusste, dass sie auf der Arbeit war, aber sie nahm bereits nach dem zweiten Klingeln ab.
»Emmalyn, schön, dass du anrufst. Ist alles in Ordnung?«
Ich wollte sie nicht anlügen, aber ich wusste, dass ich ihr auch nicht die ganze Wahrheit sagen konnte. »Ja, soweit ist alles gut. Hast du heut schon Nachrichten gesehen?«
»Ich bin noch nicht dazu gekommen. Warum fragst du?«
Ich holte tief Luft, bevor ich antwortete. »Die Menschen spielen verrückt, es gibt überall auf der Welt Ausschreitungen. In Deutschland ist bisher noch alles ruhig, aber es wird auch hier passieren. Hier in Heidelberg. Bitte sei vorsichtig, Mama. Am besten, du und Mark bleibt über die Feiertage zu Hause. Es soll ohnehin viel Schnee geben.« Das hatte ich vorhin noch mit halbem Ohr mitbekommen, bevor Joshua den Fernseher ausgeschaltet hatte.
»Was redest du denn da, Emmalyn?«
»Bitte vertrau mir, Mama. Ich will nicht, dass euch was passiert. Kauf einfach genug zu essen ein, und dann bleibt bitte zu Hause.«
»Na schön«, antwortete sie etwas gedehnt.
Ich war nicht sicher, ob sie wirklich auf mich hören würde, und das versetzte mir einen Stich. Wenn ihnen etwas zustoßen würde …
»Was ist mit dir?«, fragte meine Mutter nun.
Die Frage musste früher oder später kommen, und ich hatte mich darauf vorbereitet. Dennoch war es nicht leicht, meine Mutter anlügen zu müssen. »Ich befürchte, dass ich hier vorerst nicht wegkomme. Alle Flughäfen in der näheren Umgebung wurden gesperrt. In Mexiko ist es bisher zwar auch noch ruhig, aber die Regierung will kein Risiko eingehen.«
»Dann wirst du über Weihnachten nicht zu Hause sein?« Die Stimme meiner Mutter klang leise.
»So wie es im Moment aussieht, nein. Es tut mir leid, Mama. Du kannst mir glauben, wie gern ich bei euch sein würde. Du fehlst mir und Mark auch.« Ich seufzte. Es stimmte, sie fehlten mir wirklich. Ich war noch nie über Weihnachten weg gewesen, doch es ging nicht anders. Wir mussten Noah finden, und wenn ich jetzt nach Hause gegangen wäre, hätte ich keine Chance gehabt, Gabriel und Joshua zu helfen.
»Emmalyn, du fehlst uns auch. Bitte pass auf dich auf.«
»Das mach ich und ihr auch. Versprich mir das. Bitte Mama, es ist wichtig. Ich muss wissen, dass ihr in Sicherheit seid.«
»Ist ja gut, ich versprech es dir«, sagte sie nach einer kurzen Pause.
Und dieses Mal wusste ich, dass sie es ernst meinte. Erleichtert atmete ich aus. »Ich meld mich wieder bei dir, wenn ich was Neues weiß. Ich hab dich lieb, Mama. Und Mark auch, sag ihm das bitte.«
Meine Mutter seufzte. Ich wusste, dass meine Worte ihr Angst machten, aber sie sagte nichts, außer: »Wir haben dich auch lieb.«
Dann legte ich auf. Während ich mir eine Träne aus den Augen wischte, rief ich Hannah an und sagte ihr dasselbe wie meiner Mutter. Sie ließ nicht so schnell locker, wollte wissen, was los war, aber schließlich akzeptierte sie, dass ich ihr nicht mehr sagen konnte. Einen Moment überlegte ich, ob ich ihr von Gabriel und mir erzählen sollte. Eigentlich gab es ja noch nicht viel zu erzählen, aber ich tat es dennoch. Sie war meine beste Freundin, und sie hatte die Wahrheit verdient. Vor allem in einem Moment wie diesem.
»Hannah, ich muss dir noch was Wichtiges sagen. Es geht um Gabriel und mich.«
Einen Moment herrschte Schweigen, aber ihre Stimme klang wie immer, als sie fragte: »Seid ihr endlich zusammen?«
»Ich bin nicht sicher.«
»Wie kannst du dir da nicht sicher sein?«
»Es ist kompliziert. Er mag mich, und ich mag ihn auch. Das konnte ich ihm aber bisher noch nicht sagen. Andererseits bin ich nicht sicher, ob das überhaupt noch nötig ist. Wir wollen zusammen sein, das wissen wir beide. Zumindest fühlt's sich so an.«
»Dann geh hin und find's raus.« Ihre Stimme klang wirklich wie immer.
»Und das wär wirklich in Ordnung für dich?«, fragte ich dennoch nach. Schließlich war sie bis vor Kurzem noch in Gabriel verknallt gewesen. »Ich will dir nicht wehtun, Hannah. Du bist mir wichtig.«
»Und du bist mir wichtig. Also würdest du jetzt bitte deinen süßen Hintern in Bewegung setzen, Gabriel suchen und dich von ihm küssen lassen?«
Ich musste lachen, auch wenn mir überhaupt nicht danach zumute war. »Danke Hannah. Und pass auf dich auf.«
»Mach ich. Viel Spaß.«
Nachdem ich aufgelegt hatte, starrte ich einen Moment auf mein Handy. Die wichtigsten Menschen in meinem Leben wussten Bescheid, und dennoch fehlte noch jemand. Eine ganze Weile überlegte ich, ob ich auch ihn anrufen sollte. Wir hatten so lange nichts mehr voneinander gehört, und ich wusste nicht, wie wir jetzt zueinander standen. Dennoch wollte ich, dass auch er in Sicherheit war, also wählte ich seine Nummer. Er ließ mich lange warten, und ich rechnete schon damit, dass er nicht abnehmen würde, aber schließlich hörte ich seine vertraute Stimme.
»Hallo Emmalyn. Lang nichts mehr von dir gehört.«
»Hallo Tim. Wie geht's dir?«
Es entstand eine kurze Pause, dann hörte ich, wie Tim tief Luft holte. »Warum rufst du an?«
Die Frage versetzte mir einen kleinen Stich. Wir hatten uns mal geliebt, und jetzt war er mir so fremd wie jeder andere Mensch, dem man СКАЧАТЬ