Название: Schattenspiel - Der zweite Teil der Schattenwächter-Saga
Автор: Sandra Grauer
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783738005875
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»Warum sagst du das nicht gleich?«, meinte Gabriel und kam auf uns zu. »Wo ist es?«
Joshua drehte Gabriel sein Handy zu und zeigte ihm einen roten Punkt auf einer Karte. »Ganz in der Nähe der Thingstätte. Wir müssen vorsichtig sein. Wer weiß, ob die Schatten uns noch einmal gehen lassen.«
Bei dem Gedanken daran lief mir ein Schauer über den Rücken. Schnell folgte ich Gabriel und Joshua. »Was hat die Polizei denn noch gesagt?«
»Nicht viel. Sie wussten leider auch nicht, wer genau Vater angerufen hat, und von einem Vorfall in der Gaststätte ist ihnen auch nichts bekannt. Der Wachleiter wird der Sache aber nachgehen und sich dann wieder bei uns melden.«
»Na hoffentlich lässt er sich nicht zu viel Zeit«, murmelte Gabriel und blieb stehen. Nun sah er mich an. »Hörst du was?«
Ich blieb ebenfalls stehen, schloss die Augen und konzentrierte mich. Es war komisch, denn normalerweise musste ich mich konzentrieren, um die Geräusche auszublenden. »Nein, da ist nichts.«
Gabriel ging weiter. »Wenn wir Glück haben, sind die Schatten schon weg.«
»Ich würd das nicht als Glück bezeichnen, denn wenn sie nicht mehr hier oben sind, verteilen sie sich in der ganzen Stadt und beschatten Menschen«, meinte Joshua.
»Und was passiert dann?«, fragte ich, obwohl ich mir die Antwort schon denken konnte.
»Früher oder später wird sehr wahrscheinlich Chaos ausbrechen.«
»Wir müssen sie aufhalten«, sagte ich. Ich hatte heute erlebt, zu was die Schatten fähig waren. Sie durften nicht noch mehr unschuldige Menschen töten.
»Du hast die Schattenmengen gesehen«, erwiderte Gabriel. »Allein packen wir das nicht. Theoretisch bräuchten wir die Unterstützung von allen Schattenwächtern, die's gibt, und das ist unmöglich, denn die werden auch anderswo gebraucht.«
Ich dachte einen Moment darüber nach, was die Schatten alles anrichten konnten. Prügeleien, Raubüberfälle, Mord. Und wenn sie Politiker oder Staatschefs beschatteten, konnte es sogar zum Krieg kommen. Mir wurde mit einem Mal ganz schlecht. Würde uns etwa doch der Weltuntergang bevorstehen, wenn wir die Schatten nicht zurück in ihre eigene Welt schicken konnten?
»Ganz ruhig«, meinte Gabriel nun. Er musste meine Gedanken gelesen haben. »Ich weiß noch nicht wie, aber ich bin sicher, wir können die Schatten aufhalten.«
Wir näherten uns der Thingstätte und hatten nun die Mauer erreicht, die uns die Sicht auf die Freilichtanlage verbarg.
»Hier muss es irgendwo sein«, flüsterte Joshua mit einem Blick auf sein Handy.
Ich warf einen vorsichtigen Blick durch die Öffnungen in der Mauer, während Gabriel und Joshua nach Noahs Handy suchten. Noch immer waren einige Schatten auf dem Platz, doch es waren lange nicht mehr so viele wie noch kurz zuvor. Ob das Portal noch offen war?
»Ich hab's«, hörte ich Gabriels leise Stimme hinter mir.
Ich drehte mich zu ihm um. Triumphierend hielt er das Handy in der Hand. Wir entfernten uns wieder ein Stückchen von der Thingstätte, dann betrachtete er das Telefon etwas genauer.
»Laut Display telefoniert er immer noch mit mir.« Gabriel sah uns an, in seinem Blick lag Angst. »Wahrscheinlich wurde er überrascht und hatte keine Zeit mehr, zu reagieren. Aber was ist passiert?«
»Im Schnee waren nur Vaters Spuren, also müssen ihn definitiv Schatten angegriffen haben.«
Die Schatten hinterließen keine Spuren im Schnee? Ich sah mich kurz um und entdeckte tatsächlich nur unsere und noch eine weitere Spur, die sich an der Mauer zur Thingstätte verlief. »Aber wo ist Noah? Müsste er nicht hier irgendwo sein, wenn er angegriffen wurde?«
»Exakt«, antwortete Gabriel. »Ich versteh das nicht, was hat das alles zu bedeuten?«
»Lasst uns erst mal nach Hause gehen und dann dem Rat Bescheid geben. Hier oben können wir vorerst nichts mehr tun.«
Gabriel stimmte ihm, wenn auch widerwillig zu, und wir machten uns auf den Weg in die Innenstadt. Von unterwegs aus rief Gabriel uns ein Taxi, das in der Bergstraße auf uns warten sollte.
Bei der Witterung und dem ganzen Schnee war der Abstieg ziemlich mühsam, und ich trug auch nicht die passenden Schuhe. Mehr als einmal stolperte ich, und ich wäre sicherlich hingefallen, hätten mich Joshua oder Gabriel nicht jedes Mal in letzter Sekunde gehalten. Einen Vorteil hatte das Ganze aber: Mir war nicht mehr ganz so kalt, und ich konzentrierte mich so auf den Weg unter meinen Füßen, dass ich kaum noch an die schrecklichen Erlebnisse denken musste, die wir nun vorerst gemeinsam mit der Thingstätte hinter uns ließen.
Die Stimme des Nachrichtensprechers war bis in den Flur zu hören, als wir die Wohnung im Schloss-Wolfsbrunnenweg betraten. Es roch vertraut, als wir zielstrebig ins Wohnzimmer gingen. Gabriels und Joshuas Mutter saß auf dem Sofa, eine gelbe Tasse in der Hand. Der Fernseher lief, und im Kamin prasselte ein warmes Feuer. Am liebsten hätte ich mich auf den Teppich davor gesetzt. Es wirkte so einladend, und mir war immer noch kalt. Überhaupt hatte die Szenerie auf den ersten Blick etwas ungemein Gemütliches an sich, doch das täuschte. Wenn man genauer hinsah, erkannte man die Wahrheit. Frau Lennert sah nervös aus. Sie starrte auf den Fernseher und nahm gar nicht wahr, dass wir da waren. Ihre Hände zitterten, sodass sie mit Sicherheit etwas verschüttet hätte, wäre die Tasse voller gewesen. Ihre Aufmerksamkeit galt einer Nachrichtensendung.
»… kommt es auch in den USA in New York zu Ausschreitungen«, sagte der Nachrichtensprecher in diesem Moment. »Damit sind weltweit bereits sechs Städte betroffen. Die Gründe für die Ausschreitungen sind noch unbekannt, offizielle Stellungnahmen seitens der Regierungen gibt es bisher nicht. Unklar ist auch, ob Zusammenhänge zwischen den Ausschreitungen bestehen.« Der Mann legte eine kleine Karte beiseite, von der er bis jetzt abgelesen hatte, und sah direkt in die Kamera. »Und nun zum Wetter.«
Ich spürte, wie auch ich unruhig wurde. Es ging also bereits los, die Schatten verbreiteten Chaos. Wie wohl die Lage hier in Heidelberg war? Zumindest schien es bisher noch relativ ruhig zu sein, ansonsten hätte der Nachrichtensprecher sicher etwas gesagt. Aber das konnte sich jederzeit ändern. Ich musste unbedingt meine Mutter und Hannah anrufen und sie warnen.
Frau Lennert stellte ihre Tasse auf den Tisch und griff nach der Fernbedienung. Erst jetzt bemerkte sie uns. Die Fernbedienung rutschte ihr aus der Hand, lautlos landete sie auf dem Teppich. »Mein Gott, ihr habt mich vielleicht erschreckt«, sagte sie und griff sich ans Herz. »Was macht ihr hier?«
Joshua ging zu seiner Mutter, hob die Fernbedienung auf und schaltete den Fernseher aus. Dann sah er sie einen Moment schweigend an, während Gabriel und ich im Türrahmen stehen blieben.
Frau Lennert sah von Joshua zu uns und wieder zurück. Nun wirkte sie noch nervöser als zuvor. »Es ist etwas passiert, oder? Warum seid ihr nicht in Mexiko?«
Joshua setzte sich neben seine Mutter auf das Sofa. »Ich weiß nicht, wie ich's dir schonend beibringen soll, also sag ich's einfach gradeheraus. Heute Nacht haben sich alle Portale der Welt gleichzeitig geöffnet.«
Sie wurde bleich. »Aber … warum?«
»Das wissen wir nicht. Klar ist nur, dass die Schatten zu Zehntausenden durch die unbewachten Portale СКАЧАТЬ