Название: Schattenspiel - Der zweite Teil der Schattenwächter-Saga
Автор: Sandra Grauer
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783738005875
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Als wir endlich das offene Portal zur Thingstätte erreichten, atmete ich erleichtert auf. Wir sprangen den letzten Schritt und wurden in einen dunklen Strudel gezogen. Mich überkam ein grässliches Gefühl. Wie auf einer Achterbahn, wenn es wieder nach unten geht. Innerhalb einer Sekunde war alles vorbei, und wir standen mitten auf dem großen Platz der Thingstätte. Eisige Kälte und Dunkelheit empfingen uns. Ich konnte gerade noch sehen, dass es geschneit hatte, bevor uns die Schatten angriffen.
Eigentlich hätte ich damit rechnen müssen, trotzdem war ich überrascht. Sie kamen von allen Seiten auf uns zu und zögerten nicht lange. Wie in der Walpurgisnacht brandeten auf einmal laute Geräusche auf, und ich wünschte mir nicht zum ersten Mal, die Schatten nicht hören zu müssen. Mir blieb keine Zeit, mich zu konzentrieren, um die Geräusche gänzlich auszuschalten. Ich holte tief Luft und stürzte mich in den Kampf, indem ich mit Fackel und Inflammator um mich schlug. Ein Schatten nach dem anderen fing Feuer, und das Rauschen in den Ohren wurde lauter. Es ebbte nicht ab, auch wenn ich mal einige Sekunden lang keinen Schatten vernichtete. Solange weiterhin Schatten starben, waren Gabriel und Joshua noch am Leben.
An diesen Gedanken klammerte ich mich, denn sehen konnte ich die beiden nicht. Ich wollte es nicht riskieren, mich zu ihnen umzudrehen. Es waren so viele Schatten, dass wir es uns nicht leisten konnten, auch nur den Bruchteil einer Sekunde unaufmerksam zu sein. Ich spürte aber, dass die beiden weiterhin ganz nah bei mir standen. Beide atmeten schnell, und auch mein Herz schlug wie wild. Schweiß lief mir das Gesicht hinunter. Ich hatte Angst. Es waren einfach zu viele Schatten. Was, wenn wir sie nicht bezwingen konnten? Ich wollte nicht sterben wie der Schattenwächter mit den dunklen Haaren, und ich wollte auch nicht, dass Gabriel oder Joshua etwas zustieß. Um sie hatte ich mehr Angst als um mich selbst. Ja, sie waren beide erfahrene Schattenwächter, aber das war der Mann mit den dunklen Haaren sicher auch gewesen. Was sollte ich nur tun, wenn einem von beiden etwas zustieß?
Noch immer griffen die Schatten von allen Seiten an, und auf dem ganzen Platz tauchten wie aus dem Nichts immer wieder neue auf. Obwohl das Rauschen in meinen Ohren einfach nicht nachließ und wir Schatten um Schatten vernichteten, schienen es ständig mehr zu werden. Wir mussten irgendwie runter vom Platz, weg von der Thingstätte, doch wie? Ich schaffte es nicht, auch nur einen Schritt nach vorne zu tun. Trotzdem wurden Gabriel, Joshua und ich plötzlich voneinander getrennt. Auf einmal spürte ich sie nicht mehr direkt hinter mir. Hastig schaute ich mich um.
Ein paar Schatten hatten sich zwischen uns durch das Portal gedrängt, aber den Jungs ging es gut. Wenn man das so sagen konnte, denn nach wie vor waren auch sie von Schatten umzingelt. Sie drehten sich teilweise im Kreis und verbrannten so mit ihren Fackeln und Inflammatoren mehrere Schatten auf einmal.
Ich erschrak, als plötzlich ein Schatten direkt vor mir auftauchte und mich sofort angriff. In letzter Sekunde konnte ich seinem Schlag ausweichen und ihn verbrennen. Sofort stand ein weiterer Schatten vor mir. Dieses Mal konnte ich nicht schnell genug reagieren. Der Schatten trat mich mit voller Wucht gegen den linken Arm. Ein stechender Schmerz durchfuhr mich, die Fackel wurde aus meiner Hand geschleudert. Sie fiel in den Schnee und erlosch kurz darauf. Ich richtete meinen Inflammator auf den Schatten. Bevor ich ihn verbrennen konnte, trat er mich erneut, dieses Mal in den Magen. Keuchend fiel ich zu Boden.
»Emmalyn«, hörte ich Gabriel und Joshua fast gleichzeitig schreien.
Und dann passierte alles wie in Zeitlupe. Ich spürte den Schnee an meinen bloßen Händen und durch meine Hose, und ich zitterte. Nicht vor Kälte, diese und die Nässe nahm ich kaum wahr. Ich hatte Angst. Die Szene erinnerte mich zu sehr an das, was wir erst wenige Minuten zuvor in der Schattenwelt gesehen hatten. Gabriel und Joshua versuchten mit aller Kraft, mir zu Hilfe zu eilen. Ein Schatten nach dem anderen fing Feuer und hinterließ einen dreckigen Fleck auf dem weißen Schnee. Trotzdem konnten die beiden nicht alle Schatten überwältigen.
Das Rauschen in meinen Ohren wurde immer schlimmer, denn ich hatte in diesem Moment einfach nicht die Kraft, diese Geräusche auch nur ansatzweise auszublenden. Der Schatten vor mir holte erneut zum Schlag aus. Ich hatte keine Zeit, aufzuspringen oder auszuweichen. Es war zu Ende. Ich schloss die Augen, hielt den Atem an, wartete auf den Schmerz.
»Nein!«, schrie Gabriel.
Beim Klang seiner verzweifelten Stimme schossen mir Tränen in die Augen.
»Halt«, befahl im selben Moment eine tiefe, ruhige Stimme.
Einen kurzen Moment lang sah ich meinen Bruder, meine Mutter und meinen Vater vor mir. Mein Vater hielt mich in seinen Armen und wirbelte mich lachend über eine Sommerwiese voller Blumen. So schnell wie das Bild gekommen war, war es wieder weg.
»Dem Mädchen darf nichts geschehen«, sagte die Stimme weiter. Sie klang laut und respekteinflößend. Für den Bruchteil einer Sekunde glaubte ich, sie schon einmal gehört zu haben. Aber das war unmöglich.
Vorsichtig öffnete ich meine Augen wieder. Die gefährliche Hand des Schattens war kurz vor meinem Hals zum Stehen gekommen. Ich wich so weit wie möglich zurück. Der Schatten hatte sich leicht über mich gebeugt und starrte mich nun einen Moment aus seinen nicht vorhandenen Augen an. Dann richtete er sich wieder auf und trat einige Schritte zurück.
Ein Schauer lief mir über den Rücken. Ich atmete tief ein und spürte, wie sich meine Lunge mit eisiger Luft füllte. Ich sah hinüber zu Gabriel und Joshua. Gabriel suchte ebenfalls immer wieder meinen Blick. Er und sein Bruder wurden weiterhin von allen Seiten von Schatten umzingelt und angegriffen. Sie standen nun ein ganzes Stück voneinander entfernt. Wie lange konnten sie noch durchhalten? Ich musste etwas unternehmen. Ohne nachzudenken, sprang ich auf und ließ den Inflammator fallen. Ich zog das Schwert aus meinem Gürtel und hielt die Klinge mit beiden Händen gegen meinen Bauch gerichtet, so als ob ich jeden Moment zustoßen wollte.
»Hört sofort auf«, schrie ich auf Deutsch. Es passierte nichts. »Aufhören oder ich stoße zu«, schrie ich nun noch lauter.
Meine eigene Stimme hallte in meinen Ohren wider, und tatsächlich wurde es um mich herum mit einem Schlag still. Das Rauschen in meinen Ohren ließ nach, während die Kampfgeräusche sofort verstummten. Alle starrten mich an, auch Gabriel und Joshua.
»Was zum Teufel machst du da?«, zischte Gabriel. In seiner Stimme schwang Angst mit, doch ich ignorierte ihn.
Die Schattenmenge vor mir teilte sich, und ein Schatten schritt langsam auf mich zu. Normalerweise sahen alle Schatten ziemlich gleich aus, doch dieser war größer und angsteinflößender als alle, die ich bisher gesehen hatte.
Als er nur noch etwa drei Meter von mir entfernt war, hielt ich ihm eine Hand entgegen. »Das ist nah genug«, sagte ich, bemüht, dass meine Stimme nicht zitterte. Auch dieses Mal redete ich Deutsch, alles andere war zu gefährlich. Die Schatten würden vielleicht nicht meine Worte verstehen, aber ich war sicher, dass sie trotzdem wussten, was ich wollte.
»Gebt mir das Schwert«, erwiderte er und wollte einen weiteren Schritt auf mich zu machen.
Ich hielt das Schwert nun wieder mit beiden Händen und drückte es noch fester gegen meinen Bauch. Ein stechender Schmerz durchfuhr mich, aber ich biss die Zähne zusammen.
Der Schatten blieb tatsächlich stehen. Doch dann stand er plötzlich im Bruchteil einer Sekunde ganz nah vor mir. »Vertrau mir«, sagte er so leise, dass es niemand außer mir würde hören können und schob die Spitze des Schwerts von СКАЧАТЬ