Weil Inga aus dem Kirschbaum fiel. Iris Weitkamp
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Название: Weil Inga aus dem Kirschbaum fiel

Автор: Iris Weitkamp

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783738055764

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СКАЧАТЬ mitten im Raum hockte und von der OP-Pflegerin durch leichtes Rütteln an der Schulter geweckt wurde.

      Um Himmels Willen, dachte Inga und schoss in die Senkrechte, nun hab ich doch den Chefarzt erwischt, und der ist schon völlig fertig.

      Da beugte sich eine andere grüne Gestalt über sie, drückte ihren gesunden Arm und sagte:

      „Ich bin da. Es ist alles gut.“

      Gerettet. Zutiefst erleichtert sank Inga wieder zurück. Seine dunkelbraunen Augen über dem Mundschutz schauten sie beruhigend und ein wenig spöttisch an. Dann tat das Narkosemittel seine Wirkung, der Anästhesist rückte ihre Sauerstoffmaske zurecht und die grün gekachelten Wände verschwammen im Nebel.

      Inga verschlief den gesamten folgenden Tag. Sie nahm undeutlich wahr, wie man ihr Medikamente verabreichte, weiße Kittel ein und aus gingen und eine große Tasche neben ihrem Bett abgestellt wurde. Als sie jemanden sagen hörte, sie könne voraussichtlich am Freitag entlassen werden, wachte sie kurz auf und protestierte.

      „Am Donnerstag! Drei Tage, hat Dr. Oliveira gesagt.“

      „Na, wenn Dr. Oliveira das gesagt hat ...“, murmelte einer der Ärzte der Visite ironisch.

      Inga hörte ihn nicht mehr. Sie war schon wieder eingeschlafen.

      Robson Oliveira betrat mit einer Brötchentüte in der Hand und der taz unter dem Arm seine Penthauswohnung in der Ilmenaustraße. Wenn sein Dienst erst am Nachmittag begann, gönnte er sich eine Stunde mehr Schlaf, joggte zwölf Kilometer und lief auf dem Rückweg beim Bäcker vorbei. Er warf seine verschwitzten Sportklamotten in die Ecke, aus der seine Putzfrau sie später aufsammeln würde, und stellte sich unter die Dusche. Aah, das tat gut. Bei dieser Kälte war er keinem einzigen anderen Läufer begegnet. Doch Rob ließ sich weder durch glatten Schnee, noch durch Regen oder drückende Hitze von seinem Training abhalten. Nächstes Jahr wurde er fünfzig, und er war stolz darauf, dass man es ihm bei Weitem nicht anmerkte. Teufel, er konnte es locker mit den meisten Vierzigjährigen aufnehmen. Einen Bandkumpel hatte er letztens beim Squash in Grund und Boden gespielt, und der war erst fünfunddreißig.

      In der Klinik waren sie jetzt mit der Visite durch. Wie es wohl der hellblonden Frau ging, die er als Vorletzte operiert hatte? Die OP war reine Routine gewesen, für die drei-Loch-Platte und sechs Schrauben hatte er neunundvierzig Minuten gebraucht. Aber er hatte ihr Gesicht mit den kornblumenblauen, vor Angst geweiteten Augen nicht vergessen können und zum Feierabend heimlich nach ihr gesehen. Rob war froh gewesen, dass es ihr offensichtlich gut ging. Und dass ihn niemand bemerkt hatte. Wenn er mit dem Chef über diesen Schwachkopf Rettig sprach, würde er verdammt vorsichtig sein müssen. Er wusste nur allzu gut, dass er auf dem besten Wege war, sich in Schwierigkeiten zu bringen. Wieder einmal. Hatte er denn gar nichts aus dem Spießrutenlaufen gelernt, den inquisitorischen Befragungen vor der Ärztekammer, der Gerichtsverhandlung? Mittlerweile sollte er doch alt genug sein, sich wenigstens neue Dummheiten auszudenken anstatt dieselben zu wiederholen.

      Junge, reiß dich bloß zusammen, mahnte er sich und stellte den Hebel der Duscharmatur auf ‚kalt’.

      Am Morgen ihres zweiten Krankenhaustages wachte Inga davon auf, dass jemand einen Strauß Moosröschen und Statice auf ihrem Nachttisch arrangierte. Rosa-pink-blau leuchteten die Blumen im Sonnenlicht.

      „Hallo, du kleine Schlafmütze.“ Sabije stupste die Freundin an, damit sie ihr Platz machte, und hockte sich auf die Bettkante. „Wie geht es dir? Du siehst furchtbar aus.“

      „Ich fühl mich wie etwas, das die Katze ins Haus geschleppt hat. Aber ich glaub, mir geht’s ganz gut. Musst du nicht arbeiten? Was für ein Tag ist heute?“

      „Es ist zwanzig vor neun am Mittwochmorgen, und ich bin schon so gut wie weg. Ich war gestern kurz hier und habe dir diese Blumen gebracht, aber du hast geschlafen wie ein Murmeltier.“

      „Sie sind wunderschön. Danke, Sabe.“

      Sabije verabschiedete sich mit einer herzlichen Umarmung und stöckelte hinaus. Wenn sie so aufgebrezelt auftrat, musste es sich um einen wichtigen Termin handeln. Inga überprüfte ihre eigene Aufmachung und stöhnte. Sie trug immer noch das lächerliche, hinten offene Hemdchen und den schrecklichen Einwegslip. Die grüne Kopfbedeckung hatte ihr eine barmherzige Seele abgenommen, doch ihr Haar hing ungepflegt herunter. Was von ihrer linken Hand aus dem Verband herausschaute, war jodverschmiert, auch die Vorderseite ihres Nachthemdes wies orangefarbene Schlieren auf. ‚Furchtbar’ schien noch stark untertrieben. Inga schwang ihre Beine aus dem Bett und bemerkte die Tasche. Darin fand sie ihr Waschzeug, Kleidung zum Wechseln, Bücher und einen Zettel:

      ‚Gute Besserung und alles Liebe,

      Hilke + Ralf’

      Lächelnd tappte sie unter die Dusche. Was für eine Erleichterung! Den linken Arm hoch über ihren Kopf gereckt schaffte sie es, sich die Haare zu waschen und ihre eigene Kleidung anzuziehen. Hilke hatte nicht zusammen passende Unterwäsche herausgesucht, ein langärmeliges Ringelshirt und eine bequeme Cordjeans. Inga fühlte sich wie neu geboren als sie wieder auf ihrem Bett saß, die langen hellblonden Haare frisch gekämmt, und nach einem Buch griff.

      So fand Robson sie vor, als er wenig später mit dem üblichen Tross zur Visite herein platzte. Hellwach, gut gelaunt und leicht nach einem blumigen Duschgel duftend. Wäre der Verband nicht gewesen, hätte man sie für kerngesund halten können. Vergnügt lächelte sie ihn an.

      „Sie sind doch die Dame mit der Hand ...?“ Er konnte kaum die Augen von ihr lassen. Rasch brachte er sich hinter geschäftsmäßigen Themen in Sicherheit. Operationsverlauf, Nachuntersuchungen, Krankengymnastik ... Während Rob mit seinen Kollegen von einer Patientin zur anderen ging, schielte er unauffällig zu ihr herüber. Doch sie, in ihre Lektüre vertieft, schaute nicht hoch. Im Hinausgehen warf er einen Blick auf die Bücher auf ihrem Nachttisch. ‚The Audacity of Hope’ von Barack Obama und eine Gandhi-Biografie.

      „Mann, die ist echt Wahnsinn”, kam es von einem der Medizinstudenten, als sie wieder auf dem Flur standen.

      „Wen meinen Sie?“ fragte Robson betont gleichgültig und wandte sich dem nächsten Raum zu.

      Da schlenderte ihnen Dr. Rettig entgegen. Rob behielt seinen Weg und das Tempo unverändert bei, so dass Rettig gezwungen war, ihm auszuweichen. Statt jedoch empört oder zumindest irritiert zu wirken, grinste Rettig ihn höhnisch an. Fast so, als ob er etwas wusste, was Robson erst noch erfahren - und nicht mögen würde.

      Mit einem großen Pott heissem Kakao saß Inga im alten Lehnsessel vor dem Ofen. Draussen peitschten Sturm und Regen um das Haus, drehten die Pferde ihre Hinterteile gegen den Wind. Die Katzen staksten mit hochgezogenen Pfoten und missbilligenden Gesichtern durch die nassen Wiesen, bemüht, so schnell ins Trockene zu gelangen, wie eine würdevolle Haltung es zuließ. Umso gemütlicher war es im warmem Haus. Nach den Tagen im Krankenhaus fühlte es sich wie das Paradies an.

      Dem armen Muttchen neben Inga war es furchtbar schlecht gegangen. Da die Krankenbetten nur durch einen vierzig Zentimeter breiten Nachttisch voneinander getrennt gestanden hatten, war es Inga vorgekommen, als habe die Benutzung der Bettpfanne oder das Erbrechen in ihrem eigenen Bett stattgefunden. Das kleine Zimmer war stickig, weil die Russin bei offenem Fenster umgehend anfing zu frieren. Herrschten nicht in Russland Temperaturen von minus vierzig Grad? Inga machte sich immer wieder bewusst, wie vergleichsweise gut es ihr selbst ging: Kaum Schmerzen, die Möglichkeit, aufzustehen und ins Bad zu gehen ... Dennoch zählte sie die Stunden bis zu ihrer Entlassung.

      Jetzt reckte sie sich wohlig und zog ihr Laptop auf den Schoß. Einen СКАЧАТЬ