Weil Inga aus dem Kirschbaum fiel. Iris Weitkamp
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Название: Weil Inga aus dem Kirschbaum fiel

Автор: Iris Weitkamp

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 9783738055764

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СКАЧАТЬ nur ja heilte. Schwitzend und triumphierend war es ihr gelungen, einhändig das Bett neu zu beziehen. Erstaunlich, was man alles improvisieren konnte, indem man seine Zähne und Knie zu Hilfe nahm. Doch jeden Augenblick befürchtete sie einen Anruf von ihrem Chef, immer noch unschlüssig, was sie in ihrer verzwickten Lage tun sollte. Wie eine Maus in der Falle huschten Ingas Gedanken hin und her, ohne den erlösenden Ausweg zu finden.

      Sabije tauchte wie versprochen auf, ließ zwei Taschen voller Lebensmittel auf Ingas Küchentisch plumpsen und kochte einen leckeren Eintopf. Während sie gemeinsam den Tisch deckten, fiel Sabije die nervöse Unruhe der Freundin auf.

      „Sage einmal, was für eine Art Drogen hat man dir im Krankenhaus verabreicht? Ich hätte gedacht, dass du wesentlich erschöpfter sein müsstest von dem Unfall, Schmerzmitteln und allem. Stattdessen springst du umher wie ein vom Hund gefallener Floh.“

      „Ach Sabe ... du weißt doch, was in der Agentur für mich auf dem Spiel steht! Jeden Moment kann mein Chef anrufen und ich hab nicht den leisesten Schimmer was ich ihm sagen soll und ...“ Inga sprudelte ihre ganze Not heraus.

      Gelassen zog Sabije den Telefonstecker aus der Wand, schaltete Ingas Handy aus und schöpfte Eintopf in zwei tiefe Teller.

      „So.“ Sie stellte die dampfende Suppe auf den Tisch. „Du bist erst wieder erreichbar, nachdem du dein Inneres sortiert hast. Allah segne unsere Mahlzeit.“

      Satt und zufrieden saßen die beiden Frauen sich nach dem Essen bei einer Tasse Kaffee gegenüber.

      „Ah, das tat gut.“ Inga legte ihren verletzten Arm auf dem Tisch ab und griff nach einem der beiden dampfenden Kaffeebecher. „Danke, dass du hier bist und mich bekochst, und dir mein Gejammer anhörst ...“

      „Sei nicht so hart gegen dich. Schließlich macht dein Leben es dir gerade wirklich nicht leicht.“ Sabije schob ein gefaltetes Küchenhandtuch zu Inga hinüber. „Du hast dir Kinder gewünscht, eine eigene Familie. Stattdessen ging die Beziehung auseinander, mit einem so furchterregenden Knall, dann noch der Unfall und vielleicht Probleme in der Werbeagentur ... Es ist doch völlig normal, wenn du für eine Weile den Mut verlierst.“

      Inga hob den Gipsarm an, so dass Sabije das Handtuch darunter zurechtlegen konnte, und senkte ihn dann auf den Stoff. „Immer, wenn ich denke es geht aufwärts, passiert irgend ein Mist. Ich hatte so gehofft, den Mann fürs Leben gefunden zu haben - plötzlich bin ich Single, gehe auf die vierzig zu, und meine berufliche Existenz hängt an einem dünnen Stück Verbandmull.“ Inga fuhr sich mit der gesunden Hand durchs Haar und seufzte. „Warum kann ich mich nicht einfach auf meine Karriere konzentrieren, auf die nächste schicke Wohnung und ein teures Auto? Wer bekommt heutzutage noch Kinder? Meine Vater-Mutter-Kind-Denke ist doch wohl oberpeinlich ...“

      „Im Gegenteil. Es ist die älteste und natürlichste Sehnsucht der Menschheit.“ Sabije stellte ihren Kaffee ab und strich Inga aufmunternd über den Oberarm. „Auch wenn du es noch nicht einsehen magst: Nach der Trennung von Detlef stehen die Chancen, deinen Familienwunsch zu realisieren, besser als vorher. Nicht schlechter.“

      „Ich fürchte, dazu wird es allmählich zu spät. Mir ist schon ewig kein interessanter Mann mehr begegnet. Außer diesem Oberarzt in der Ambulanz vielleicht ... aber der ist erst recht kein Familientyp.“

      „Von dem Arzt hast du noch gar nichts erzählt. Was für ein Mensch ist er?“

      „Sehr gutaussehend, sehr eilig, sehr kompetent. Dr. Oliveira. Total arrogant, aber ...“

      Sabije lachte, doch dann beschlich sie ein mulmiges Gefühl. Lass dir nichts anmerken, ermahnte sie sich, es ist viel zu früh, um die Rechtsanwältin hervor zu kehren. Sollte Inga ruhig ein bisschen schwärmen, das würde sie von ihrem gebrochenen Arm ablenken. Bis jetzt klang es schließlich ganz harmlos. Aber sie würde die Freundin bremsen müssen, falls diese Sache sich in eine ungute Richtung entwickeln sollte.

      Dr. Robson Oliveira stand mit einem Becher Kaffee in der Hand im Innenhof der Klinik und atmete tief die kalte Winterluft ein. Er war seit zwanzig Stunden im Dienst. Drinnen herrschte Hochbetrieb, kein Wunder bei diesem Wetter. Zunächst angetauter, dann neu überfrorener Schnee hatte Gehwege und Straßen in spiegelglatte Eisflächen verwandelt. In der Notaufnahme gaben die Sanitäter sich die Klinke in die Hand, brachten rund um die Uhr neue Knochenbrüche. Das Klinikpersonal hastete im Slalom durch die Gänge, um Krankenbetten herum, die in den überfüllten Zimmern keinen Platz mehr gefunden hatten. Über allem klang das Dröhnen an- und abfliegender Rettungshubschrauber. Fast wie 2003 in Kabul, dachte Robson. Immerhin gab es hier rund um die Uhr Strom, und sie mussten nicht befürchten, beschossen zu werden. Er betrachtete den stahlgrauen Himmel und trank einen Schluck Kaffee. Eigentlich hätte er sich etwas zu essen holen sollen, doch er brauchte dringend ein paar Minuten Ruhe.

      Die hellblonde Frau mit der Radiusfraktur und den stinkenden Klamotten von gestern Nachmittag fiel ihm wieder ein. Eine ziemliche Kratzbürste ... aber verdammt hübsch. Sie hatte die Frage des jungen Rettig, wie alt sie sei und was sie beruflich mache, in den falschen Hals bekommen und ihn zornig abgekanzelt: ‚Ich möchte schon, dass Sie meine Hand wieder richtig hinbekommen, statt sie einfach so zu lassen weil sich`s eh nicht mehr lohnt’. Rettig, dieser kleine Wadenbeißer, war rot angelaufen, hatte verlegen etwas wie ‚Jaja, natürlich, Sie sind ja noch jung’ gestammelt und sie damit natürlich erst recht in Rage gebracht. Robson hatte später das Geburtsdatum in ihrer Akte nachgeschlagen und war überrascht gewesen. Er hätte sie auf Anfang dreißig geschätzt, höchstens, doch sie war neununddreißig. Acht Jahre jünger als Melissa ...

      Rob schüttelte energisch seine verjährten Erinnerungen ab, stürzte den restlichen Kaffee hinunter und ging zurück an die Arbeit.

      Fünf Tage später wirbelten Schneeflocken vom Himmel und überstäubten Marunthien wie mit Puderzucker. In diesem Jahr ist der Winter ganz schön hartnäckig, dachte Inga. Oder nehme ich ihn erst richtig wahr, seit ich so weit draußen wohne? Sie schaute immer wieder aus dem Fenster, um ihre Mitfahrgelegenheit nach Lüneburg nicht zu verpassen. Heute sollte sie zum Gipswechsel ins Krankenhaus kommen. Die öffentlichen Verkehrsmittel im Dorf beschränkten sich auf einen Minibus für die Schulkinder und die Bahnstrecke für Castortransporte, deren nächster Haltepunkt fünf Kilometer entfernt lag. Früher hätte Inga eine Handvoll im lockeren Kreis angeordneter Häuser kaum als ‚Dorf’ bezeichnet, eher als ‚menschenleere Gegend’. Der unberührte Schnee auf der einzigen Straße bewies, dass in den letzten Stunden kein Fahrzeug vorbeigekommen war.

      So lästig ein Armbruch auch sein konnte, er hatte Inga in den vergangenen Tagen viel über die Menschen in ihrem Leben gelehrt. Da waren ihre Freunde und Nachbarn, unter denen sich der Unfall herumgesprochen hatte wie ein Lauffeuer. Innerhalb kürzester Zeit waren die nötigsten Arbeiten in Haushalt und Stall verteilt, Mitfahrgelegenheiten und Einkaufsdienste organisiert worden. Ihre Heinzelmännchen riefen an oder standen spontan vor der Tür mit den Worten: ‚Ich komm’ gerade vom Einkaufen und dachte, ich miste mal eben bei den Ponies aus’. Sie brachten Lebensmittel und Bücher oder holten Inga zu allen Veranstaltungen ab, die Spaß und Abwechslung versprachen. ‚Herumsitzen und deinen Gips hochlegen kannst du dort auch’ sagten sie fröhlich und sorgten dafür, dass sie den bequemsten Sessel bekam und ein Kissen für ihren verletzten Arm. Inga war glücklich und gerührt über all diese Hilfsbereitschaft und Wärme.

      Sicherlich gab es Menschen, die sich auf dem Lande eingeengt fühlten, wo man so viel voneinander wusste und kein Ehestreit, keine neue Waschmaschine den anderen verborgen blieb. Doch Inga war heilfroh, nach ihrer Flucht aus der Beziehung zu Detlef diese Wohnung in einem alten Bauernhaus gefunden zu haben. Die Besitzer befanden sich auf einer neunmonatigen Wanderung durch Südeuropa und vermieteten ihre vier Wände für diese Zeit unter. Ohne hinzusehen hatte Inga zugegriffen, um erst einmal ein Dach über dem Kopf zu haben und in Ruhe СКАЧАТЬ