Название: Kind des Lichtes
Автор: Kerstin Wandtke
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783742779953
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Als Raven die große Halle betrat, konnte er seine kleine Fee noch nirgends entdecken. Der große Raum war festlich mit Tüchern und Wandteppichen geschmückt und fast alle Familienmitglieder konnte er schon entdecken. Unter diesen auch Karak, wie er jetzt und erleichtert feststellte. Der Dragon winkte ihn zur langen Tafel, an der die meisten bereits saßen und ungeduldig auf den Beginn der Essen warteten.
„Komm, mein Sohn,“ meinte der Dragon grinsend, „setz dich zu mir. Deine Kleine ist noch nicht hier. Wahrscheinlich putzt meine gute Sonja sie heraus wie einen dieser kleinen, bunten Vögel deines Reiches. Nun, wir wissen ja, wie die Frauen sind.“ Raven sah den Älteren nun ebenfalls grinsend an und konnte es nicht bestreiten.
„Nach unserem gemeinsamen Mahl werden wir alle zum Jagdsaal gehen, um dort am Kamin deine Geschichten zu hören. Also, überlege schon mal gründlich, was du uns zum Besten geben wirst.“
Da betrat Alina leise und, wie sie gehofft hatte, möglichst unauffällig die große, hellerleuchtete Halle. Doch alle Gesichter wandten sich zu ihr um und die Blicke der Anwesenden blieben auf ihr haften. Ein leises Raunen ging durch die Anwesenden. Ihre Schönheit war an diesem Abend so blendend, so rein und strahlend, das alle Geflügelten, die hier beisammensaßen, sich immer an sie und diesen Abend erinnern würden. Raven blieb von ihrem Anblick wie verzaubert sitzen, während der Dragon sich lächelnd erhob und ihr ruhig entgegenging.
„Bei den alten Göttern, Sonja, du hast dich selbst übertroffen,“ raunte er. Als er sie erreichte, bot er ihr seinen Arm, den sie dankbar ergriff und führte sie durch die zurückweichende Menge.
„Komm, mein Kind, du musst hungrig sein und mein Neffe ist schon ganz verrückt vor Sehnsucht nach dir.“ Mit seinen Worten zauberte er ihr ein süßes Lächeln ins Gesicht und er dachte bei sich,
wenn die Götter mich über Nacht nur verjüngen könnten, Raven hätte eine ernsthafte Konkurrenz um ihre Gunst. Doch dann sah er den Blick, mit dem sie seinen Neffen ansah und begriff, dass sie wegen keinem Mann seines Volkes, egal ob jung oder alt, ihre Entscheidung überdenken würde.
Sie gehörten zueinander, egal, was die alten Legenden sagten.
Er brachte sie zur Tafel, übergab sie an Raven, nicht ohne dem leise zu bekunden, dass dieser mit offenem Mund einem gähnenden Schaf glich. Dann klatsche er laut in deine mächtigen Hände und rief dann, breit grinsend, dass jene, die jetzt noch nicht an der Tafel weilten wohl hungrig ins Bett müssten. Daraufhin begann das üppige Festmahl und die Speisen wurden der Reihe nach Aufgetragen. Alina war etwas verwirrt wegen der Vielfalt und dem ganzen Silberzeug, Essgeschirr, wie Raven ihr leise sagte. Das meiste kannte sie nicht und sie schaute während des ganzen Essens immer wieder zu Raven und tat es ihm gleich. Das Mahl dauerte lang und war sehr umfangreich. Angefangen von Fasan, über Schwein bis zum Rind, sowie viel Obst und Gemüse, eben alles, was der Stall und der frühe Garten jetzt schon hergaben. Männer wie Frauen unterhielten sich vergnügt und es wurde viel gelacht und gescherzt. Doch auch das längste Essen nimmt irgendwann ein Ende und so begab es sich, dass sich die Gesellschaft anschließend geschlossen und gesättigt ins Jagdzimmer begab.
Das Jagdzimmer war ein ebenfalls großer Raum, aber durch die ganzen Felle, welche die Wände und den Boden schmückten, sehr gemütlich und von dem Feuer im Kamin sanft erhellt. Im Feuerschein glänzten Waffen an den Wänden, und viele Gemälde, meist Darstellungen von Löwen, Wölfen oder Bären zierten diese zusätzlich. Alina fühlte sich hier, nach dem ganzen Trubel der vergangenen Stunden, wirklich wohl. Auf den dicken Fellen am Boden sitzend, wollten sie jetzt alle Ravens Geschichten lauschen. Dieser setzte sich nah ans Feuer, und Alina auf seinem Schoß haltend begann er langsam und ruhig zu erzählen. Angefangen damit, warum er sein Reich einst verlassen hatte um zu suchen was er lange nicht fand. Er sprach sehr leise, so das hier jetzt Stille herrschte, aber auch sehr ausführlich von den Dingen im Norden. Von den Menschen, die er dort überall vorfand. Von Veränderung, von Einsamkeit und Verfolgung und von der Ausrottung ganzer Volksstämme. Er berichtete von Plünderungen ganzer Dörfer und den Feuern, in denen die Menschen die Bewohner verbrannten, derer sie habhaft wurden. Er sprach auch von Alina und wie er sie fand. Es herrschte eine tiefe Stille im diffusen Licht des Saales, und alle lauschten seiner ruhigen, traurigen Stimme. Doch als er zu der Stelle seiner Geschichte kam, an der er und Alina auf die alte Burgruine und deren Inhalt gestoßen waren, ging ein entsetztes Raunen durch den Saal. Er schilderte ihr Erleben danach in allen Einzelheiten und wenig später herrschte bedrückende Stille im Raum. Der Dragon sah Raven ernst an und fragte diesen ruhig,
„Und du bist dir sicher, dass über dem Kamin zwei steinerne Figuren saßen die Männer unseres Volkes darstellten?“ Alina antwortete statt Raven mit einem nicken.
„Warum fragst du?“ Wollte Raven von ihm wissen.
„Nun,“ erwiderte der, „es gibt da eine alte Legende, nach der die Aufstände dort, in Ranguhl begonnen haben sollen. Es heißt in ihr, dass die Menschen sich erhoben, jedes Leben dort töteten und danach den schlimmsten aller Flüche über sie verhängten. Sie sollten tot, aber deren Seelen dennoch gefangene ihrer Körper bleiben. So sollten sie, ewig auf Erlösung hoffend, dort unberührt bis zum Ende der Welt ausharren.“ Der Dragon räusperte sich und schluckte die Trauer herunter.
„Es wurden auch die beiden Statuen erwähnt. Laut der Legende stellen sie die Wächter der Toten dar. Und erst, wenn sie fallen, finden auch die Seelen der Gemeuchelten ihren Frieden,“ der Dragon seufzte tief. „Nun, es mag auch nicht immer alles stimmen, aber es ist gut zu wissen, dass ihre verlorenen Seelen jetzt, nach so langer Zeit, von euch befreit wurden.“
Raven sah die Trauer in den Augen des Älteren und begann, den Rest seines Berichtes zu erzählen.
Nachdem er geendet hatte, senkte sich wieder tiefes Schweigen über die Anwesenden, von denen sich nach und nach einige erhoben und langsam die Halle verließen. Alina verstand die plötzliche Trauer nicht und dachte, sie sollten sich doch Freuen, der Befreiung der Seelen wegen. Doch, auch Raven hielt sie nur ruhig in seinen Armen und sah den Anderen mitfühlend nach. Alina wusste nicht um die Menschen, und wie weit diese jetzt schon vorgerückt waren. Wie eng der Platz jetzt für die alten Völker unter den Kreuzen wurde, und wenn nichts dagegen geschah, diese entgültig von der Welt verschwinden würden. Der Dragon erhob sich jetzt ebenfalls und trat auf beide zu.
„Kommt mit, ich möchte euch jetzt etwas zeigen.“
Er nahm eine der Fackeln von der Wand, führte sie aus dem Raum durch dunkle Gänge und eine gewundene, steile Treppe hinauf. In einem engen Korridor blieb er vor einer kleinen Tür stehen.
„Ich komme nicht mehr oft hier herauf, war wohl das letzte Mal vor Jahren hier, aber als ich dich sah, kleines Mädchen, fiel es mir sofort wieder ein. Ich möchte, das du es dir ansiehst.“
Damit schloss er die Tür auf und trat gebückt ein. Nachdem ein kleines Feuer im Kamin brannte sahen sich beide neugierig in der engen Kammer um. Sie stand voller alter Möbel, alter Gemälde, kaputtem Spielzeug, alten Kleidern und ähnlichem. Eben all den Sachen, die man irgendwann als überflüssig befunden und hier heraufgebracht hatte. Der Dragon ging zu einer der hinteren Ecken und zog einen großen, mit einem alten Tuch verhüllten Gegenstand hervor. Allem Anschein nach handelte es sich dabei um ein großes Bild.
„Komm, mein Kind, setz dich ans Feuer,“ bat er sie, und als sie saß stellte er es vor ihr nieder.
„Raven, ich sagte dir ich hätte diese Augen schon einmal gesehen. Ich war damals noch ein Knabe und spielte allein am Wald oben auf den Klippen, als eines dieser Wesen aus ihm hervortrat. Ich sah sie nur kurz, denn sie sind auch uns gegenüber sehr scheu. Dieses Bild ist aus meiner Erinnerung entstanden und ich sah nie wieder ein Wesen wie sie. Doch du, mein Kind, du hast ihre Augen.“ СКАЧАТЬ