Название: Der Preis für ein Leben ohne Grenzen - Teil I
Автор: Adalbert Dombrowski
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783754938386
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Das große „Donnerwetter" entfesselte sich zu Hause nach dem vereitelten Fallschirmsprung. Prügel bekam ich nicht, doch Oma Ludwikas Jammern und Mamas traurige Augen waren für mich schwere Strafe genug.
Mit tanzendem Schulranzen
Im Jahr 1943 wurde ich als Siebenjähriger eingeschult. In Tuchola gab es zwei Schulen: eine deutsche und eine polnische. Rysia wurde ein Jahr zuvor auf die Deutsche geschickt. Sehr gut sprach sie diese Sprache. Leider jedoch unterlag sie leicht fremden Einflüssen. Ich kann mich daran erinnern, wie sie einmal zu Polizeimann Trippan gegangen war, welcher im ersten Stock unseres Hauses wohnte, um ihm zu zutragen, dass Polen in unserem Treppenhaus miteinander polnisch gesprochen haben. Das sei doch verboten! So haben sie es in der Schule beigebracht, so dass wir es ihr nicht übel nehmen konnten.
Rysias Schule befand sich in der Nähe unseres Hauses, nicht weit entfernt von der evangelischen Kirche (von deren Turm ich mit dem Fallschirm springen wollte). Ich hingegen musste durch die ganze Stadt laufen. Stolz trug ich auf dem Rücken meinen Schulranzen. Er war ganz neu aus lackiertem Karton und mit Schnallenverschlüssen. Im Ranzen war ein Schiefertäfelchen mit Holzrahmen zum Schreiben. In der Mitte des Rahmens war ein gebohrtes Loch, an welches zwei Schnüre befestigt waren. Am Ende der einen hing ein trockener, am Ende der anderen ein feuchter Schwamm zum abwischen. In der Schule bekamen wir ein Stück Kreide, mit dem wir sorgfältig auf dem Täfelchen kritzeln konnten. Nach dem Unterricht lief ich immer gleich nach Hause und wollte nicht, dass die Schwämme meinen Schulranzen verschmutzten, so dass sie an beiden Seiten des Schulranzen heraushingen und auf diese Weise meinen Lauf imitierten. Sehr gut hat es mir in der Schule gefallen, die jedoch nach einiger Zeit geschlossen wurde.
In unserem Haus im Parterre auf der Hofseite bekamen Jungs der Hitlerjugend zwei Zimmer. Wir konnten sie nicht leiden. Sie warfen uns Blicke zu, wie niemand möchte, dass man angesehen wird. Das gefiel uns ganz und gar nicht. Wir wollten mit ihnen kämpfen und bemerkten eines Tages ein gekipptes Fenster zu ihrem Zimmer. Es war dunkel, niemand war im Raum. Genau unterm Fenster befand sich das Dach des Kellereinganges. Ich kletterte drauf und die Jungs hielten Wache, damit uns niemand bemerkte. Direkt am Fenster auf dem Schreibtisch, in Reichweite meines Armes, lagen Papierklebebandrollen. Ich griff nach einer, sprang wieder schnell vom Dach und wir flüchteten an den See Głęboczek. Dort warfen wir die Rolle ins Wasser. Wir hatten Eigentum der Hitlerjugend zerstört! Riesige Angst hatten wir, doch danach fühlten wir uns wie Helden.
Am meisten kümmerte sich Opa Kazimierz um uns und versuchte alle Kriegsgrauen von uns fernzuhalten. Deswegen dauerte unsere Kindheit an. In der letzten Zeit sagte er öfters, dass es im Osten gar nicht so gut sei, wie die Deutschen in ihren Zeitungen behaupteten. Irgendwie klappt das nicht mit dem Blitzkrieg.
Derweilen begannen in Tuchola immer mehr deutsche Soldaten aufzutauchen. Sie kamen zur Rekonvaleszenz nach einem Krankenhausaufenthalt. Wälder, die wunderschöne Umgebung und die Ruhe gaben ihnen Kraft. Häufig sahen wir sie auf Spaziergängen mit Pflegerinnen des deutschen Frauenhilfsdienstes. Wenn wir Indianer spielten, waren die spazierenden Paare Zielobjekte unserer Pirsch.
An einem warmen Nachmittag in der Nähe des Sees bemerkten wir ein Pärchen, welches in unserer Richtung ging. Schnell robbten wir auf die Anhebung und im Gras versteckt, beobachteten wir, was passierte. Die Verliebten setzten sich hinters Gebüsch. Nach einer Weile begann der Soldat seine Auserwählte zu küssen und ihr zügig die Kleider auszuziehen. Plötzlich verschwanden sie im hohen Gras. Nach ein paar Minuten standen sie wieder auf, zogen sich an, klopften sich ab und gingen lachend zurück in Richtung Stadt. Was auch immer sie da gemacht haben, es musste Spaß machen, dachte ich mir. Wir waren ein wenig zu weit weg, so dass wir nicht viel sehen konnten, dennoch hatte dieses Ereignis meine Phantasie bewegt. Ich beschloss, es selbst zu überprüfen. Krzysztof war nicht im Hof. Wahrscheinlich hatte er wieder etwas ausgefressen und deswegen mal wieder Hausarrest bekommen. Mit Edek liefen wir in seinen Hof, in die Garage, wo das Auto seiner Eltern stand. Uns folgte Basia, Edeks um ein Jahr jüngere Schwester. „Ich will mit euch spielen", teilte sie entschieden mit. „Ich bin der Chauffeur und ihr sitzt hinten, los!" ordnete Edek an.
Mit Basia setzte ich mich auf die Hinterbank des Autos und ich wusste schon, was zu tun ist. „Jetzt ziehen wir uns aus und Du legst Dich auf die Sitzbank", sagte ich zu Basia und sie schaute mich verdutzt an, zog aber gehorsam ihr Kleid und ihre Unterhose aus. Die nackte Basia legte ich auf der Sitzbank zurecht, legte mich auf sie und so lagen wir dann. Wir lagen und lagen und lagen, bis Basia unruhig wurde: „Mir ist kalt", hörte ich eine leise Beschwerde des Mädchens. „Mir ist nicht bequem und Du bist zu schwer, geh runter", sagte sie. Mir war auch kalt und dieses herumgeliege war gar nicht so toll, fand ich.
Es kam ein wunderschöner Sommer. Am Ortsrand hinter den Gärten, befand sich auf der sumpfigen Wiese ein Entwässerungskanal. Ein ungewöhnlicher Ort für sommerliches Planschen und Spielen. Wie immer bemühte ich mich, die Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen. Meine angeborene Beweglichkeit drängte dazu, meinen jugendlichen Körper in Brücken, Handstände und verschiedenartigste Verrenkungen zu biegen sowie auf Händen zu gehen. Vom Schwimmen und Spielen erschöpft legte ich mich ins Gras, starrte in den Himmel und beobachtete die Wolken: wunderschön, einzigartig, vollkommen. Ich habe mich in sie verliebt und könnte sie endlos beobachten. Manchmal nahmen wir Körbe mit zum Fluss. Wir wateten im Wasser auf der Suche nach Krebsen. Wir schauten unter Steine und zwischen Baumwurzeln. Mit Körben voller Beute kehrten wir heim. Abends stellte Oma Ludwika einen riesigen Topf Wasser auf den Ofen und warf die Krebse hinein - sie quiekten.
Eines Tages besuchte uns Tante Iza Biernatzki aus Hamburg mit ihren Töchtern: die jüngere Iza und die ältere Christa. Iza mochte ich sehr gerne. Wir waren gleich alt und sie hatte wie ich einen Kopf voll verrückter Ideen. Christa erinnerte mich eher an Rysia, so dass es nicht verwunderlich war, dass sie immer ihre Angelegenheiten hatte. Die Mädchen konnten überhaupt kein Polnisch, aber das stellte keinerlei Hindernis dar. Ungezwungen sprachen wir Deutsch.
Eines sonnigen Tages nahm ich den Korb und überredete Iza zu einer Expedition an den Kanal. Freudig stimmte sie zu. Wir gingen durch verwinkelte Straßen. Irgendwann begann Iza sich zu beschweren, dass es zu weit sei und ihr die Beine weh taten. Ich wollte nicht umkehren, denn der Kanal war schon so nah. Ich nahm sie also huckepack und trug sie bis zur Wiese. Im kühlen Wasser verging ihre Erschöpfung schnell. Wir hatten eine tolle Zeit zusammen. Abends brachten wir einen vollen Korb mit Krebsen mit. Zugegeben, er war sehr schwer. Als die Cousinen mit der Tante wieder nach Hause fuhren wurde es auffallend leise und das stimmte mich traurig.
Eines Tages gab Mama bekannt, dass wir mit dem Zug zu den Großeltern nach Zembrze fahren werden. Denn Polizeimann Trippan hatte Mama vorgewarnt, dass die Deutschen junge Frauen zur Zwangsarbeit ins „Reich" schicken. „Verlasse Tuchola unbedingt für einige Wochen und komm erst wieder zurück, wenn es sich beruhigt hat", fügte er hinzu.
Mit dem Zug fuhren wir bis Radoszki. Am Bahnhof wartete Onkel Bolek mit einem mit zwei Pferden bespannten Wagen. Die Reise mit dem Pferdewagen war ungewöhnlich. Ich überlegte, wie es möglich sein kann, dass die Pferde den Unterschied zwischen „hetta" (Kommando: nach rechts) und „viśta" (nach links) verstanden. Schließlich erreichten wir einen riesigen Bauernhof. Ich erblickte eine große Scheune sowie Ställe mit Kühen und Pferden. Hinter dem Haus breitete sich ein weitläufiger Obstgarten mit Kirschbäumen aus. Ungestraft konnte ich bis an die Spitze der Bäume klettern und mit den Kirschkernen umherspucken. Ich war zufrieden und fühlte mich frei wie ein Vogerl. Für uns Kinder war es am wichtigsten, dass wir eine Menge СКАЧАТЬ