Les Misérables / Die Elenden. Victor Hugo
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Название: Les Misérables / Die Elenden

Автор: Victor Hugo

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783754173206

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СКАЧАТЬ Es war augenscheinlich, daß der Angeklagte verloren war.

      Der Vorsitzende gebot Stillschweigen und erklärte, daß die Debatte geschlossen sei.

      Da hörte man Jemand neben dem Vorsitzenden laut rufen:

      »Brevet, Chenildieu, Cochepaille! Seht hierher!«

      Alle, die es hörten, überrieselte ein eisiger Schauer, so wehmuths- und schreckenvoll klang die Stimme. Aller Augen wandten sich nach der Stelle hin. Da stand ein Mann, der bisher unter den bevorzugten Zuhörern hinter den Mitgliedern des Gerichtshofs gesessen hatte und jetzt bis in die Mitte des Saales vorgetreten war. Der Vorsitzende, der Staatsanwalt, Bamatabois, zwanzig Andere noch erkannten ihn und riefen zu gleicher Zeit:

      »Herr Madeleine!«

      XI. Champmathieu wundert sich noch mehr

      Er war es in der That. Die Lampe des Gerichtsschreibers warf ihren Schein auf sein Gesicht. Er hielt den Hut in der Hand, seine Kleidung war nicht in Unordnung, sein Rock sorgfältig zugeknöpft. Er war sehr blaß und zitterte etwas. Seine Haare, die bei seiner Ankunft in Arras grau gewesen, waren jetzt weiß.

      Alle richteten sich auf. Die Aufregung erreichte ihren höchsten Grad, aber noch begriff Niemand die Bedeutung und Tragweite des Vorfalls. Der Schrei war herzzerreißend gewesen, und doch war Derjenige, der ihn ausgestoßen hatte, so ruhevoll in seinem Gebahren, daß man sich fragte, wer den Ausruf gethan.

      Aber diese Unentschiedenheit währte nur wenige Sekunden. Noch ehe der Vorsitzende und der Staatsanwalt einen Laut vorbringen, noch ehe Gendarmen und Gerichtsboten eine Bewegung machen konnten, war Madeleine auf die Zeugen zugeschritten und fragte:

      »Erkennt Ihr mich nicht?«

      Alle Drei blieben stumm und machten eine verneinende Bewegung mit dem Kopfe. Cochepaille antwortete schüchtern mit einem militärischen Gruße. Da wandte sich Madeleine zu den Geschworenen und den Richtern mit den Worten:

      »Meine Herren Geschworenen, lassen Sie den Angeklagten in Freiheit setzen. Und mich lassen Sie arretiren, Herr Vorsitzender. Ich bin der Mann, den Sie suchen, nicht er. Ich bin Jean Valjean.«

      Keiner konnte athmen. Auf das erste Erstaunen folgte jetzt Grabesstille. Alle durchschauerte jene religiöse Andacht, die den Menschen Angesichts des Erhobenen zu ergreifen pflegt.

      Aber auf dem Gesicht des Vorsitzers spiegelte sich Mitleid und Trauer ab, Er winkte dem Staatsanwalt und flüsterte den beisitzenden Räthen einige Worte zu. Dann wandte er sich an das Publikum mit einer Frage, deren Bedeutung Alle erriethen:

      »Ist vielleicht ein Arzt hier?«

      Nach ihm ergriff der Staatsanwalt das Wort:

      »Meine Herren Geschworenen, der merkwürdige und unerwartete Zwischenfall, der die Sitzung stört, flößt uns wie Ihnen nur ein Gefühl ein, über dessen Natur wir uns wohl nicht weiter auszusprechen brauchen. Sie Alle kennen, wenigstens von Hörensagen, den ehrenwerthen Herrn Madeleine, Bürgermeister von Montreuil-sur-Mer. Wenn unter den Anwesenden sich ein Arzt befindet, so ersuchen wir ihn, gemeinschaftlich mit dem Herrn Vorsitzenden, Herrn Madeleine seinen Beistand zu leihen und ihn nach seiner Wohnung zurückzubringen.«

      Madeleine ließ den Staatsanwalt nicht zu Ende reden, sondern fiel ihm mit einem eben so milden, wie entschiedenen Einspruch ins Wort. Was er sagte, ist gleich nach der Sitzung von einem Ohrenzeugen niedergeschrieben worden, so daß wir in der Lage sind, es wörtlich wiedergeben zu können.

      »Ich danke Ihnen, Herr Staatsanwalt, aber ich bin nicht krank, wie Sie sofort einsehen werden. Sie standen im Begriff einen schweren Irrthum zu begehen. Lassen Sie den Mann frei. Ich erfülle eine Pflicht, denn ich bin der unglückliche Sträfling. Ich bin der Einzige, der den Sachverhalt kennt, und ich sage Ihnen die Wahrheit. Was ich in diesem Augenblick thue, sieht Gott dort oben, und das genügt. Sie können mich abführen. Und doch habe ich alles Menschenmögliche gethan. Ich habe mich hinter einem falschen Namen verborgen, bin reich, bin Bürgermeister geworden. Ich wollte ein ehrlicher und anständiger Mann werden. Aber das scheint nicht möglich zu sein. Ich kann leider nicht Alles auseinandersetzen und ich will Ihnen nicht meine Lebensgeschichte erzählen, aber es wird Alles einmal bekannt werden. Ich habe allerdings bei Sr. Bischöflichen Gnaden einen Diebstahl verübt; ich habe allerdings den kleinen Gervais beraubt. Es ist richtig, daß Jean Valjean ein sehr bösartiger Verbrecher war. Vielleicht ist nicht er allein daran schuld. Hören Sie mich, meine Herren Richter, wenn auch ein so tief gesunkener Mensch, wie ich, nicht das Recht hat, die Vorsehung zu belehren und der Gesellschaft einen Rath zu geben, aber die Schmach, die ich von mir abzuwälzen versuchte, ist ein verderbliches Ding. Das Zuchthaus vermehrt die Zahl der Zuchthäusler. Merken Sie sich das, wenn Sie wollen. Vorher war ich ein armer, unintelligenter Bauer, eine Art Idiot; aber im Zuchthaus ist eine Veränderung mit mir vorgegangen. Aus dem Dummkopf wurde ein bösartiger Mensch, aus dem Klotz ein Feuerbrand. Später hat mich Nachsicht und Güte gerettet, nachdem die Strenge mich verderbt hatte. Aber, verzeihen Sie, Sie können nicht verstehen, was ich da Alles sage. Sie werden bei mir zu Hause in der Asche des Kamins das Zweifrankenstück finden, das ich vor sieben Jahren dem kleinen Gervais genommen habe. Weiter habe ich nichts hinzuzusetzen. Führen Sie mich ab. Mein Gott, Herr Staatsanwalt, Sie schütteln den Kopf und denken bei sich: Madeleine hat den Verstand verloren. Sie glauben mir nicht. Das ist schlimm. So verurtheilen Sie wenigstens nicht den Mann da! Was! Die hier erkennen mich nicht! Wäre doch Javert hier! Der würde mich schon erkennen.«

      Keine Beschreibung könnte die wohlwollende und verzweifelte Schwermuth wiedergeben, die aus dem Ton seiner Worte hervorklang.

      Jetzt wandte er sich an die drei Sträflinge:

      »Nun, ich kenne Euch! Brevet, erinnern Sie Sich ...« Er hielt zögernd einen Augenblick inne und fuhr dann fort: »Erinnerst Du Dich noch an Deine Tricothosenträger mit dem Damenbrettmuster?«

      Brevet fuhr verwundert zusammen und sah ihn vom Kopf bis zu den Füßen voller Schrecken an. Madeleine aber fuhr fort:

      »Chenildieu, mit dem Beinamen Leugnegott, Deine rechte Schulter trägt tiefe Brandmale, weil Du Dich eines Tages auf eine Kohlenpfanne gelegt hast, um die drei Brandmarkungsbuchstaben auszubrennen, aber es gelang Dir nicht, und man kann sie noch immer deutlich erkenne. Antworte, ist das wahr?«

      »Ja wohl!« bestätigte Chenildieu.

      Madeleine wendete sich jetzt an Cochepaille:

      »Cochepaille, dicht bei der Aderlaßstelle Deines linken Armes ist ein mit Schießpulver blau eingebranntes Datum, der 1. März 1815, der Tag, wo Kaiser Napoleon in Cannes landete. Krempele Deinen Aermel auf.«

      Cochepaille legte seinen Arm blos, auf den sofort Alle ihre Augen richteten, und ein Gendarm leuchtete mit einer Lampe. Das Datum stand in der That da.

      Der unglückliche Mann wandte sich jetzt zu dem Publikum und den Richtern, mit einem zugleich triumphirenden und verzweiflungsvollen Lächeln, das Allen das Herz, zerschnitt.

      »Sie sehen also, ich bin Jean Valjean.«

      In dem Saale waren jetzt weder Richter, noch Ankläger, noch Gendarmen. Keiner dachte an die Pflicht, die er zu erfüllen hatte; der Staatsanwalt hatte vergessen, daß er da war, Strafanträge zu stellen; der Vorsitzende, daß er die Verhandlung leiten sollte; der Rechtsbeistand, daß er eine Verteidigung übernommen hatte. Merkwürdig, keine Frage wurde gethan, keine Behörde griff ein. Es ist dem Erhabenen eigen, daß es alle Herzen gefangen nimmt. Keiner vielleicht gab СКАЧАТЬ