Les Misérables / Die Elenden. Victor Hugo
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Название: Les Misérables / Die Elenden

Автор: Victor Hugo

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 9783754173206

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СКАЧАТЬ den Geschwornen erblickte er Bamatabeis.

      Er sah sich auch nach Javert um, konnte ihn aber nicht entdecken, weil ihm der Tisch des Gerichtsschreibers die Bank, auf der die Zeugen saßen, verdeckte. Zudem war, wie schon erwähnt, der Saal mangelhaft erleuchtet.

      Als Madeleine hereinkam, war der Rechtsbeistand des Angeklagten gerade mit seiner Rede fertig geworden. Die allgemeine Aufmerksamkeit war aufs äußerste gespannt. Seit drei Stunden häufte sich eine erschreckliche Anzahl von Beweismomenten auf dem Haupte jenes unbekannten Menschen, jenes verkommenen, entweder überaus stumpfsinnigen oder überaus pfiffigen Patrons. Der Mann war, wie wir schon gesagt haben, ein Strolch, den man auf einem Felde aufgegriffen hatte, als er aus einem benachbarten Garten einen Ast voll reifer Aepfel davon trug. Wer war dieser Mensch? Erhebungen waren angestellt, Zeugen waren vernommen worden; die Aussagen stimmten überein, die ganzen Erörterungen hatten Klarheit geschafft. Die Anklagebehörde sagte: »Wir haben hier nicht blos einen Apfeldieb vor uns, sondern einen Räuber, einen bannbrüchigen, rückfälligen Verbrecher, einen ehemaligen Zuchthausinsassen, ein überaus gefährliches Subjekt, einen Uebelthäter Namens Jean Valjean. auf den die Gerechtigkeit seit langer Zeit fahndet, und der vor acht Jahren, als er eben aus dem Zuchthaus entlassen war, auf öffentlicher Landstraße einen kleinen Savoyarden Namens Gervais mit bewaffneter Hand beraubt hat, ein § 383 des Strafgesetzbuches vorgesehenes Verbrechen, für das er sich späterhin zu verantworten haben wird, wenn erst die Frage nach der Identität des Angeklagten gelöst ist. Er hat sich eines neuen Diebstahls schuldig gemacht. Also handelt es sich hier um einen Rückfall. Verurteilen Sie ihn wegen des letzten Vergehens; der ältere Fall möge später abgeurtheilt werden. – Diese Anklagen, diesen Zeugenaussagen gegenüber nahm der Angeklagte eine verdutzte Miene an, machte Gebärden, die Nein bedeuten sollten, oder er blickte zur Decke empor. Das Sprechen wurde ihm schwer, seine Antworten bekundeten Verlegenheit, aber von Kopf bis zu Fuß war sein ganzes Wesen eine einzige Ableugnung. Er saß wie ein Blödsinniger unter all diesen Feinden, die mit ausgesuchter Schlauheit Armeen von Gründen gegen ihn ins Feld führten, und wie ein Fremder in der Gesellschaft, die über ihn herfallen wollte. Dabei drohte ihm die äußerste Gefahr, die Wahrscheinlichkeit erklärte sich mehr und mehr gegen ihn, und Alle erwarteten mit mehr Spannung, als er selber, ein schreckliches Urtheil. Stand ihm doch möglicher Weise nicht etwa blos das Zuchthaus, sondern sogar die Todesstrafe bevor, wenn die Identitätsfrage gegen ihn entschieden wurde, und wenn der Fall Gervais mit einer Verurtheilung endete. Welcher Art in aller Welt war der Stumpfsinn dieses Menschen? Schwachsinn oder Pfiffigkeit? Begriff er die Sache zu gut oder gar nicht? Alles Fragen, die von dem Publikum und, allem Anschein nach, auch von den Geschwornen verschieden beantwortet wurden. Dieser Prozeß hatte nicht nur etwas Furchtbares, sondern auch Räthselhaftes; die Entwicklung des Dramas war nicht blos eine grausige, sondern auch eine unklare.

      Der Vertheidiger des Angeklagten hatte also schon seine Rede gehalten, eine Rede in jenem feierlichen und pompösen Stil, dessen sich ehemals alle Advokaten bedienten und der heutzutage nur noch bei den Staatsanwälten beliebt ist. – Der Vertheidiger also hatte sich über den Apfeldiebstahl des Weiteren ausgelassen, einen simplen Gegenstand, zu dessen Erörterung elegante Floskeln nicht paßten; aber Bénigne Bossuet selber hat einst, mitten in einer hochfeierlichen Leichenrede, eine Anspielung auf ein vulgäres Huhn machen müssen und mit Pomp die schwierige Aufgabe gelöst. Der Verteidiger hatte gezeigt, daß der Diebstahl nicht materiell bewiesen war. Sein Klient, den er als Vertheidiger mit gutem Bedacht Champmathieu nannte, war von Niemand bei dem angeblichen Einbruch in den Garten gesehen worden. Man hatte den Zweig in seinem Besitz gefunden, aber er behauptete, der Zweig habe an der Erde gelegen, und er habe ihn einfach aufgehoben. Wo sei ein Beweis für das Gegentheil? Gewiß war der Zweig von einem Diebe, der über die Mauer geklettert war, abgerissen und dann weggeworfen worden. Aber womit beweise man, daß Champmathieu dieser Dieb war? Nur mit dem Umstande, daß er ehemals im Zuchthaus gesessen habe. Der Rechtsanwalt leugnete nicht, daß diese Thatsache leider richtig erwiesen sei. Denn der Angeklagte sei in Faverolles wohnhaft gewesen, habe das Handwerk eines Baumputzers betrieben; auch könne der Name Champmathieu sehr wohl aus Jean Mathieu umgewandelt sein; alles dies sei richtig; endlich hätten vier Zeugen mit Sicherheit in Champmathieu den Sträfling Jean Valjean wiedererkannt; diesen Ermittelungen und Aussagen könne er, der Vertheidiger, nur die Thatsache gegenüberstellen, daß sein Klient Alles bestreite. Zwar habe er ein Interesse daran, zu leugnen. Aber gesetzt auch, er sei der Sträfling Jean Valjean, wäre damit bewiesen, daß er die Aepfel gestohlen habe? Das sei doch nur eine Muthmaßung; keinesfalls ein Beweis. Allerdings, das müsse er, um der Wahrheit die Ehre zu geben, gestehen, daß der Angeklagte ein schlechtes Vertheidigungssystem angenommen habe. Er leugne hartnäckig Alles, daß er den Diebstahl begangen, und daß er ein ehemaliger Galeerensklave sei. Das Eingeständnis letzterer Thatsache wäre vernünftiger gewesen und würde ihm Ansprüche auf die Nachsicht der Richter verschaffen; er habe ihm auch dazu gerathen; aber Angeklagter habe sich dessen hartnäckig geweigert, in der Meinung, er könne Alles retten, wenn er nichts gestehe. Das sei unrecht; aber solle man nicht Rücksicht nehmen auf die Unzulänglichkeit seiner Intelligenz? Die lange Haft im Zuchthaus, das lange Elend nachher hätten den Unglücklichen abgestumpft, verthiert. U.s.w., u.s.w. Angeklagter vertheidige sich schlecht; sei dies aber ein Grund ihn zu verurteilen? Was den Fall Gervais betreffe, so befasse er sich nicht damit, da er nicht zur Sache gehöre. Der Vertheidiger beschloß also seine Rede mit einer inständigen Bitte an die Geschworenen und den Gerichtshof, sie möchten, wenn ihnen Jean Valjeans Identität gehörig erwiesen scheine, über ihn die Polizeistrafen als bannbrüchigen Verbrecher verhängen, nicht aber die entsetzliche Strafe, die rückfällige Verbrecher trifft.

      Jetzt antwortete der Staatsanwalt dem Vertheidiger in einer energischen und blumenreichen Rede, nach Art aller Staatsanwälte.

      Er wünschte dem Vertheidiger Glück zu seiner »Aufrichtigkeit« und machte sie sich weidlich zu Nutze. Aus allen Zugeständnissen seines Vorredners schmiedete er sich Waffen gegen den Angeklagten. Der Vertheidiger gebe offenbar zu, daß der Angeklagte Jean Valjean sei. Dies nahm er ad notam. Der Angeklagte sei also Jean Valjean. Dieser Punkt sei hiermit erwiesen und lasse sich nicht mehr anfechten. Hier schweifte der Herr Staatsanwalt mittels einer geschickten Antonomasie vom Thema ab, indem er auf die Quellen und Ursachen der Verbrechen zu sprechen kam, und donnerte machtvoll gegen die Unsittlichkeit der Romantiker, denen die Kritiker der Quotidienne und der Oriflamme den Titel »satanische Schule« angehängt hatten. Auf den Einfluß dieser schändlichen Schriftsteller führte er mit einer großartigen Logik Champmathieus oder richtiger Jean Valjeans Vergehen zurück. Nach gründlicher Erörterung dieses Punktes ging er zu Jean Valjeans Persönlichkeit über. Beschreibung Jean Valjeans: »Ein Ungeheuer, wie die Hölle nie ein scheußlicheres ausgespieen« u.s.w. Frei nach Racine, dessen berühmte Episode zwar für den Gang der betreffenden Tragödie überflüssig ist, der gerichtlichen Beredtsamkeit aber als eine unschätzbare Fundgrube tagtäglich schätzbare Dienste leistet. Selbstredend erbebten auch Publikum und Geschworene bei dieser schönen Charakterisirung Jean Valjeans. Darauf eine schwungvolle Wendung, die im höchsten Grade geeignet war, dem Redner die Bewunderung des Journal de la Préfecture zu sichern: Und ein solcher Mensch u.s.w. u.s.w., ein Landstreicher, ein Bettler u.s.w. u.s.w., ohne Existenzmittel u.s.w., der durch sein Vorleben zu allen Schandthaten fähig geworden und durch seinen Aufenthalt im Zuchthaus nicht gebessert ist, wie das an dem kleinen Gervais begangene Verbrechen sattsam beweist, u.s.w. u.s.w., ein solcher, beim Diebstahl auf frischer That, in der Nähe der soeben überkletterten Gartenmauer, im Besitz des Diebstahlsobjektes ertappter Mensch leugnet das delictum fragrans, Diebstahl, Einbruch, leugnet Alles, leugnet seinen Namen, seine Identität. Hundert anderer Beweise, auf die wir nicht mehr zurückkommen, zu geschweigen, erkennen ihn vier Zeugen wieder, Javert, der pflichtgetreue Polizei-Inspektor Javert, und drei von den ehemaligen Genossen seiner Schande, Brevet, Chenildieu und Cochepaille. Was setzt er dieser erdrückenden Einstimmigkeit entgegen? Er streitet Alles ab. Welche Verstocktheit! Meine Herren Geschworenen, ich lebe und sterbe der Ueberzeugung, Sie werden den Arm der Gerechtigkeit nicht aufhalten wollen u.s.w. u.s.w. Dieser Rede hörte der Angeklagte mit offenem Munde, höchlich erstaunt und nicht ohne eine gewisse Bewunderung zu. Es überraschte ihn augenscheinlich, daß Jemand so schön reden könne. Hin und wieder, bei den »energischsten« Stellen, wenn der sittliche Unwille СКАЧАТЬ