Les Misérables / Die Elenden. Victor Hugo
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Les Misérables / Die Elenden - Victor Hugo страница 86

Название: Les Misérables / Die Elenden

Автор: Victor Hugo

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783754173206

isbn:

СКАЧАТЬ Seite zur anderen, eine Art schwermüthiger und stummer Protest, mit dem er sich seit dem Anfang der Verhandlung begnügte. Zwei oder drei Mal hörten die ihm zunächst saßen, wie er halblaut sagte: Das kommt davon, daß er Herrn Baloup nicht gefragt hat! – Auf dieses stumpfsinnige, offenbar berechnete Verhalten machte der Staatsanwalt die Geschworenen auch aufmerksam. Es bekunde nicht etwa Dummheit, nein! Schlauheit, List, seine Gewohnheit, die Gerechtigkeit zu hintergehen und lege die »tiefe Verderbtheit« dieses Menschen zu Tage. Er endigte mit einem Vorbehalt bezüglich des Falles Gervais und beantragte eine strenge Verurtheilung, also lebenslängliches Zuchthaus.

      Nun erhob sich der Vertheidiger, machte dem Herrn Staatsanwalt Komplimente über sein »bewunderungswürdiges Rednertalent«, widerlegte ihn, so gut er konnte, aber nur schwach. Augenscheinlich fühlte er keinen festen Boden unter seinen Füßen.

      X. Er legte sich aufs Leugnen

      Die Verhandlung nahte sich hiermit ihrem Ende. Der Vorsitzende hieß den Angeklagten aufstehen und richtete an ihn die herkömmliche Frage: »Haben Sie etwas zu Ihrer Vertheidigung hinzuzufügen?«

      Der Mann stand da, drehte seine greuliche Kappe in den Händen herum und schien nichts zu hören.

      Der Vorsitzende wiederholte nun seine Frage:

      Dies Mal hörte der Angeklagte. Es schien, als begriff er, worum es sich handelte, er machte Bewegungen wie Jemand, der aus dem Schlaf erwacht, ließ seine Blicke nach allen Seiten schweifen, sah das Publikum, die Gendarmen, seinen Rechtsbeistand, die Geschwornen, den Gerichtshof an, legte seine ungeheure Faust auf die Randleiste des Getäfels, das vor seiner Bank war, schaute sich wieder um, heftete dann seinen Blick auf den Staatsanwalt und begann plötzlich zu reden. So gewaltsam, mit solcher Ueberstürzung brachen die Worte aus seinem Munde hervor, daß es schien, als drängten sie sich alle zugleich aus seine Lippen, um alle zu gleicher Zeit herauszukommen.

      »Ich habe zu sagen, daß ich Stellmacher in Paris gewesen bin, bei Herrn Baloup nämlich. Schwere Arbeit. Als Stellmacher arbeitet man immer im Freien, auf Höfen, bei guten Meistern unter einem Schuppen, nie in einem geschlossenen Raum, weil nämlich Platz dazu gehört. Im Winter friert Einen so, daß man die Arme übereinander schlagen muß, damit Einem warm wird, aber das wollen die Meister nicht, sie sagen, das nimmt Zeit weg. Eisen in den Händen halten, wenn das Wasser auf der Straße zu Eis gefriert, das ist eine eklig unangenehme Sache. Das nutzt einen Menschen rasch ab. Da wird mau schon alt bei, wenn man noch jung ist. Ist Einer vierzig Jahr alt geworden, dann ist er fertig. Ich hatte es auf dreiundfünfzig gebracht, und hatte meine liebe Noth, Dann sind auch die Arbeiter so boshafte Menschen. Ist ein armer Kerl nicht mehr jung, dann heißt's bei jeder Gelegenheit Alter Stiefel!

      Alter Dusel! Ich verdiente nur noch dreißig Sous den Tag; man bezahlte mich so schlecht wie möglich, die Meister machten's sich nämlich zu Nutze, daß ich alt war. Ich hatte noch eine Tochter, die Waschfrau war. Die verdiente auch ein Bischen. Wir Beide zusammen, da ging es einiger Maßen. Placken mußte sie sich auch. Den ganzen Tag mit dem halben Leibe im Wasser, ob's regnet, ob's schneit, ob's windig ist; wenn's friert, trotz alledem, immer waschen! Manche Leute haben nicht viel Wäsche und warten drauf; werden ihre Sachen nicht gleich gewaschen, so kommen sie nicht wieder, und man verliert ihre Kundschaft. Dann sind die Bretter schlecht zusammengefügt, und überall fallen Tropfen. Die Kleider werden von oben und von unten naß. Da dringt Einem die Kälte bis ins Mark. Sie hat auch im Waschhaus der Enfants-Rouges gearbeitet, wo eine Wasserleitung ist. Da stehen die Frauen nicht im Zuber. Die Wäsche wird am Hahn gewaschen, und hinter den Waschfrauen stehen Gefäße, wo sie gespült wird. Da arbeiten sie nun nicht im Freien und frieren nicht, weil's ein geschlossener Raum ist. Aber der heiße Wasserdunst ist schrecklich und ruiniert die Augen. Sie kam um sieben Uhr Abends nach Hause und ging bald zu Bett, so müde war sie. Ihr Mann keilte sie. Sie ist gestorben. Wir sind nicht sehr glücklich gewesen. Sie war ein recht braves Frauenzimmer; die ging nicht tanzen und war sehr still. Ich besinne mich noch auf eine Fastnacht, da lag sie schon um acht Uhr im Bett. So verhält sich die Sache. Ich spreche die Wahrheit. Erkundigen Sie Sich nur. Ja so, Erkundigungen! Ich bin ein Schafskopf. Paris ist wie ein Ameisenhaufen. Wer kennt da den Vater Champmathieu? Aber wenden Sie Sich nur an Herrn Baloup. Was Sie sonst noch von mir wollen, weiß ich nicht.«

      Er schwieg und blieb stehen. Er hatte seine Rede mit lauter, rauher, harter, heisrer Stimme gehalten, in naivem, gereiztem und unwirschem Ton. Ein Mal hatte er seine Rede unterbrochen, um Einen unter den Zuhörern zu grüßen. Die Behauptungen, die er aufs Gerathewohl so zu sagen vor sich hinwarf, kamen ruckweise heraus, wie Schluckser, und er bekräftigte sie mit Gebärden, die an einen Holzhauer erinnerten. Als er zu Ende war, brachen die Zuhörer in ein Gelächter aus. Er sah das Publikum an, begriff nicht, warum die Leute lachten, und lachte dann mit.

      Das war schaurig mit anzusehen für einen denkenden Zuschauer.

      Der Vorsitzende, ein aufmerksamer und wohlwollender Mann, erhob die Stimme und erinnerte die Herren Geschwornen, daß der Herr Baloup, ehemaliger Stellmacher, bei dem Angeklagter gearbeitet zu haben angab, vergeblich vorgeladen worden sei. Er sei fallit erklärt, und sein Verbleib habe nicht ermittelt werden können. Dann wandte er sich zu dem Angeklagten und forderte ihn auf, ja zu beachten, was er ihm zu sagen hätte: »Sie befinden Sich in einer Lage, wo es sich der Mühe verlohnt, daß man nachdenkt. Eine Menge Umstände sprechen gegen Sie, und das kann die schlimmsten Folgen haben. Ich fordere Sie also zum letzten Mal auf, Angeklagter, sich klar und ausführlich über folgende zwei Fragen zu äußern: Haben Sie, ja oder nein, die Mauer des Pierronschen Gartens erklettert, den Ast abgebrochen und die Aepfel gestohlen, Sich also eines qualificirten Diebstahls schuldig gemacht? Zweitens, sind Sie oder sind Sie nicht der aus dem Zuchthaus entlassene Jean Valjean?«

      Der Angeklagte schüttelte den Kopf verständnißinnig wie Einer, der sehr wohl begriffen hat, was man ihn gefragt, und der da weiß, was er zu antworten hat. Er that den Mund auf, wandte sich zu dem Vorsitzenden und sagte:

      »Ueberhaupt ...«, blickte auf seine Mütze, dann zur Decke empor und schwieg.

      »Angeklagter,« fiel der Staatsanwalt mit strenger Stimme ein, »nehmen Sie Sich zusammen, Sie antworten auf nichts von alle dem, was man Sie fragt. Ihre Befangenheit verurtheilt Sie. Es ist sonnenklar, daß Sie nicht Champmathieu heißen, daß Sie der ehemalige Sträfling Jean Valjean sind, daß Sie zuerst den Namen Ihrer Mutter Mathieu geführt, daß Sie Sich in der Auvergne aufgehalten, daß Sie in Faverolles geboren sind, wo Sie Baumputzer waren. Es ist ferner sonnenklar, daß Sie reife Aepfel im Pierron'schen Garten gestohlen haben. Die Herren Geschworenen werden ein richtiges Urtheil zu finden wissen.«

      Der Angeklagte, der sich gesetzt hatte, fuhr jetzt in die Höhe und rief dem Staatsanwalt zu:

      »Sie sind ein sehr bösartiger Mensch! Jetzt will ich Ihnen sagen, was ich sagen wollte. Vorhin konnte ich blos nicht die richtigen Worte finden. Ich habe nichts gestohlen. Ich bin Einer, der nicht alle Tage satt zu essen hat. Ich kam von Ailly her. Es hatte gehörig geregnet, der Erdboden war ganz gelb, und die Wege standen unter Wasser; blos die Grashalme ragten heraus. Da habe ich einen abgebrochenen Zweig an der Erde gefunden und wußte nicht, daß mir das Ungelegenheiten machen würde. Nun sitze ich seit drei Monat im Gefängniß und werde überall rumgeschleppt. Sonst weiß ich nichts. Da wird mir alles Mögliche vorgeschmissen und dann heißt's: Antworten Siel Der Gendarm, ein gemütlicher Mann, stößt mich auch mit dem Ellbogen an und flüstert: So antworte doch! Ich kann mich nicht ausdrücken, ich habe nichts gelernt, ich armer Teufel. Es ist unrecht, daß Keiner das einsieht. Ich habe nicht gestohlen; ich habe was aufgehoben, was auf der Erde lag. Sie sprechen von Jean Valjean und Jean Mathieu. Die Leute kenne ich nicht, die sind vom Lande. Ich habe in der Stadt bei Meister Baloup, Boulevard de l'Hopital gearbeitet. Ich heiße Champmathieu. Wenn Sie mir sagen können, wo ich geboren bin, so müssen Sie sehr kluge Leute sein. Ich weiß es nicht. Nicht Jeder hat ein Haus oder eine Wohnung, wo er zur Welt kommen kann. Das wäre СКАЧАТЬ