Les Misérables / Die Elenden. Victor Hugo
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Название: Les Misérables / Die Elenden

Автор: Victor Hugo

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 9783754173206

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СКАЧАТЬ redete sie, in sich zusammengesunken, von heftigem Schluchzen geschüttelt, die Augen von Thränen geblendet, die Brust entblößt, mit gerungenen Händen, in ihrer qualvoll gestammelten Rede fortwährend von einem trocknen, kurzen Husten unterbrochen. Großes Herzeleid verklärt die Unglücklichen mit einem himmlischen, herrlichen Strahl. So war auch Fantine in diesem Augenblick wieder schön geworden. Aber so demüthig sie auch bat und dem Polizisten den Saum seines Rockes küßte, sie konnte sein steinernes Herz nicht rühren.

      »Vorwärts! Ich habe Dich angehört. Bist Du zu Ende? Jetzt fort mit Dir! Du hast deine sechs Monate weg, und Gott im Himmel selber könnte sie Dir jetzt nicht mehr abnehmen!«

      Bei dieser feierlichen Betheurung begriff sie, daß ihr Urteil unabänderlich war. Sie brach zusammen und stöhnte nur noch schwach: »Gnade!«

      Javert drehte ihr den Rücken zu, und die Soldaten packten sie bei den Armen.

      Aber seit einer Weile stand mit dem Rücken an der Thür ein Mann, der unbemerkt hereingekommen war und die verzweifelten Bitten der Unglücklichen mit angehört hatte.

      In demselben Augenblick, als die Schutzleute sie ergriffen, da sie nicht aufstehen wollte, trat er aus dem Schatten hervor und sagte:

      »Einen Augenblick, wenn's beliebt.«

      Javert sah ihn an und erkannte Herrn Madeleine. Er nahm den Hut ab und grüßte in ungeschickter Weise mit der Miene eines Menschen, der nicht zufrieden ist.

      »Verzeihung, Herr Bürgermeister ...«

      Die Worte Herr Bürgermeister brachten bei Fantine einen merkwürdigen Eindruck hervor. Sie schnellte plötzlich vom Boden empor, wie ein Gespenst, das aus der Erde heraustaucht, schob mit den Armen die Schutzleute zurück, ging, ehe man sie daran hindern konnte, auf Madeleine zu, musterte ihn mit wilden Blicken und schrie:

      »Ach! Du bist also der Herr Bürgermeister!«

      Alsdann aber schlug sie eine Lache auf und spie ihm in's Gesicht.

      Madeleine trocknete sich das Gesicht und sagte:

      »Inspektor Javert, setzen Sie diese Frau in Freiheit!«

      Javert war einen Augenblick zu Muthe, als verliere er den Verstand. Heftigere Gemüthserregungen, als diejenigen, die ihn jetzt fast zu gleicher Zeit erschütterten, hatte er in seinem Leben noch nie empfunden. Daß eine öffentliche Dirne einem Bürgermeister in's Gesicht spie, war etwas so Ungeheuerliches, daß derartiges auch nur zu träumen, ihm als ein Frevel erschienen wäre. Andrerseits überkam ihn plötzlich zu seinem größten Schrecken, in seinem tiefsten Innern der Gedanke, daß dieser Bürgermeister vielleicht zu derselben Menschenrasse gehörte, wie die Dirne, und daß also das entsetzliche Attentat gar nichts so Schlimmes sei. Aber als nun gar der Bürgermeister, der höchste Beamte der Stadt, sich ruhig das Gesicht abtrocknete und ihn die Elende in Freiheit setzen hieß, da war er wie betäubt vor Staunen, da versagte ihm seine Denkfähigkeit und die Sprache, da war das Maß der Verwunderung, das sein Geist fassen konnte, voll und er blieb stumm.

      Auch auf Fantine hatten die Worte des Bürgermeisters nicht minder gewaltsam gewirkt. Sie umklammerte das Ofenrohr, als fürchte sie umzufallen, ließ ihre Blicke überall umherirren und sprach leise vor sich hin:

      »In Freiheit! Ich darf gehn! Ich brauche nicht in's Gefängniß. Wer sagte das? So was kann doch Keiner gesagt haben. Ich habe mich verhört. Der schändliche Mensch von Bürgermeister ist's gewiß nicht gewesen. Haben Sie, lieber guter Herr Javert gesagt, daß ich frei ausgehn soll? Ich will's Ihnen erklären, dann werden Sie mich gewiß gehen lassen. Sehen Sie, der alte Schurke von Bürgermeister da ist an Allem schuld. Denken Sie, Herr Javert, er hat mich aus der Fabrik weggejagt, weil ich von niederträchtigem Gesindel verklatscht worden bin. Ob das nicht eine Schändlichkeit ist! Ein armes Frauenzimmer entlassen, die rechtschaffen ihre Schuldigkeit thut und ihre Arbeit macht. Nachher habe ich nicht mehr genug verdient, und da ist das Unglück gekommen. Da wäre zunächst mal eine Verbesserung einzuführen. Das müßten die Herren von der Polizei besorgen. Da giebt es nämlich Unternehmer, die thun den armen Leuten Schaden. Lassen Sie's Sich erklären, wie das zugeht. Man verdient also zwölf Sous mit Hemdennähen, und mit einem Mal kriegt man blos noch neun Sous. Keine Möglichkeit damit auszukommen. Man hilft sich dann, wie man kann. Ich hatte meine Cosette und da mußte ich doch ein schlechtes Frauenzimmer werden. Nun werden Sie einsehen, daß der Halunke von Bürgermeister das Unheil angerichtet hat. Darauf habe ich den Hut des Herrn vor dem Offizierscafé zu Schanden gemacht. Aber er hatte mir mit dem Schnee mein Kleid verdorben. Unsereins hat doch blos ein einziges seidenes Kleid für den Abend. Sehen Sie, Herr Javert, ich habe nie absichtlich etwas Böses gethan, Herr Javert, und ich sehe überall Frauen, die schlechter sind als ich, und doch sind sie viel glücklicher. Ach Herr Javert, Sie haben gesagt, daß ich gehen soll, nicht wahr? Erkundigen Sie Sich, sprechen Sie mit meinem Hauswirt, jetzt bezahle ich die Miethe pünktlich; die Leute werden Ihnen schon sagen, das ich kein unehrliches Frauenzimmer bin. O weh! Ich bitte um Verzeihung, ich habe aus Versehen die Ofenklappe gedreht, und nun raucht es.«

      Madeleine hörte ihr mit gespannter Aufmerksamkeit zu. Während sie sprach, hatte er in seine Westentasche gegriffen, seine Börse hervorgelangt und sie geöffnet. Sie war leer, und er hatte sie wieder eingesteckt. Nun fragte er Fantine: »Wie viel haben Sie gesagt, daß Sie schuldig sind?« Fantine, die bisher immer Javert angesehen hatte, drehte sich nach ihm um mit den Worten:

      »Wer redet denn mit Dir!«

      Dann wandte sie sich an die Schutzleute:

      »Haben Sie gesehen, wie ich dem – hast Du nicht gesehen? – ins Gesicht gespuckt habe? Also Du alter Bösewicht von Bürgermeister, Du kommst her und willst mir Angst einjagen. Aber vor dir fürchte ich mich nicht. Ich fürchte mich vor Herrn Javert, vor dem lieben, guten Herrn Javert.«

      »Gerechtigkeit muß ja sein, Herr Inspektor, das sehe ich ja ein. Im Grunde genommen ist es ja was ganz Einfaches, daß sich ein Mann den Spaß macht und stopft einem Frauenzimmer Schnee in den Rücken. Darüber haben die Offiziere gelacht; ihr Vergnügen müssen die Herren ja doch haben, und Unsereine ist doch dazu da, daß Andre ihren Spaß daran haben. Sie kommen nun gerade dazu, und da müssen Sie doch Ordnung stiften. Sie arretiren das Frauenzimmer, weil es Unrecht gehabt hat, aber nachher überlegen Sie Sich die Sache, da sind Sie gut und befehlen, daß man mich laufen läßt, von wegen dem unschuldigen Kind, denn wenn ich sechs Monate lang sitzen müßte, könnte ich nicht für ihren Unterhalt sorgen. »Aber thu's nicht wieder, Du Kanaille!« So denken Sie. O ich thu's gewiß nicht wieder, Herr Javert. Jetzt mag man mir anthun, was man will. Ich lasse mir Alles gefallen. Blos heute habe ich geschrieen, weil mir das weh that, und es kam so unerwartet. Und außerdem, wie gesagt, bin ich nicht ganz gesund, ich huste. Mir ist, als habe ich ein brennendes Eisen hier oben in der Brust, und der Arzt sagt auch, ich soll mich recht in Acht nehmen. Geben Sie mir Ihre Hand. So. Nun fühlen Sie. Hier.«

      Sie weinte jetzt nicht mehr, und ihre Worte klangen schmeichlerisch, während sie Javerts rauhe, große Hand auf ihren zarten, weißen Busen hielt. Plötzlich aber brachte sie ihre Kleider hastig wieder in Ordnung, und ging auf die Thür zu, indem sie den Schutzleuten freundschaftlich zunickte und halblaut sagte:

      »Kinder, der Herr Inspektor hat gesagt, ich darf gehen. Ich mache mich also davon.«

      Schon legte sie die Hand auf die Klinke. Noch ein Schritt, so war sie draußen.

      Die ganze Zeit über hatte Javert unbeweglich, gesenkten Hauptes, da gestanden wie eine Statue, die an einen unrechten Ort gestellt ist und wartet, daß sie wieder an ihre richtige Stelle kommt.

      Das Geräusch, das die Klinke machte, weckte СКАЧАТЬ