Les Misérables / Die Elenden. Victor Hugo
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Les Misérables / Die Elenden - Victor Hugo страница 59

Название: Les Misérables / Die Elenden

Автор: Victor Hugo

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783754173206

isbn:

СКАЧАТЬ Sauertopf noch oft in süßem Weh, war aber unter der Restauration fromm geworden und zwar so entschieden, daß die Geistlichkeit ihr die Heirat mit dem Mönch verziehen hatte. Dafür erwies sie sich auch dankbar, indem sie ausposaunen ließ, sie habe einer religiösen Körperschaft ihr Vermögen hinterlassen. Diese Frau Victurnien also ging nach Montfermeil und meldete, sie habe das Kind gesehen.

      Darüber ging natürlich Zeit hin. Fantine war beinahe ein Jahr in der Fabrik beschäftigt, als eines Morgens die Direktrice ihr im Namen des Herrn Bürgermeisters fünfzig Franken übergab und ihr sagte, für sie habe der Chef keine Arbeit mehr. Auch thäte sie gut daran, die Stadt zu verlassen.

      Diese Kündigung erhielt sie gerade in dem Monat, wo die Thénardiers fünfzehn Franken Kostgeld, statt zwölf verlangten.

      Es war ein Donnerschlag für Fantine. Sie konnte nicht die Stadt verlassen, weil sie ihre Miethe und das Geld für die Möbel schuldig geblieben war. Diese Schuld zu entrichten, dazu reichten fünfzig Franken nicht aus. Sie legte sich also auf's Bitten, aber die Direktrice bedeutete ihr, sie habe sofort die Werkstätte zu verlassen. Noch mehr durch die Schande, als durch die Verzweiflung niedergedrückt ging sie nach Hause. Ihr Fehltritt war also jetzt ruchbar geworden!

      Sie hatte nicht mehr die Kraft, gegen ihr böses Geschick anzukämpfen. Man rieth ihr, sich an den Herrn Bürgermeister persönlich zu wenden, aber sie getraute es sich nicht. Der Herr Bürgermeister hatte ihr die fünfzig Franken gegeben, weil er gut, und er entließ sie, weil er gerecht war. Diesem Urteilsspruch unterwarf sie sich.

      IX. Was Frau Victurnien Schönes angerichtet hatte

      Die Wittwe des Mönches war also doch zu etwas gut gewesen.

      Denn Madeleine hatte von der ganzen Sache kein Sterbenswörtchen erfahren. Fantinens Entlassung war einfach das Ergebnis einer Verbindung von Umständen, wie deren im Leben sich so viel ereignen. Madeleine betrat nur selten den Frauensaal. Die Direktrice, ein altes Fräulein, die ihm der Pfarrer empfohlen hatte, war eine sehr achtbare, energische, gerechte, rechtschaffne Person, die ein gutes Herz hatte, aber nur zu geben, nicht auch zu begreifen und zu verzeihen verstand. Auf dieses Fräulein verließ sich Madeleine in allen Dingen. Müssen doch die besten Menschen oft sich vertreten lassen! Die Direktrice also hatte aus eigner Machtvollkommenheit und in der festen Ueberzeugung, daß sie recht thue, selber den Prozeß gegen Fantine eingeleitet und verhandelt, das Urtheil gesprochen und vollstreckt.

      Die fünfzig Franken hatte sie einem Fonds entnommen, den ihr Madeleine anvertraute, zu Almosen und Unterstützungen für die Arbeiterinnen. Ueber die Verwendung dieses Geldes brauchte sie nicht Rechenschaft abzulegen.

      Fantine versuchte zunächst in Kondition zu treten. Aber Niemand wollte sie nehmen. Sie hatte die Stadt nicht verlassen. Der Trödler, von dem sie ihre erbärmlichen Möbel hatte, drohte, sie arretieren zu lassen, wenn sie fortginge. Der Hauswirt, dem sie Miethe schuldig geblieben war, hatte gesagt: »Wenn man jung und hübsch ist, wie Sie, kann man seine Schulden bezahlen.« Sie vertheilte die fünfzig Franken zwischen dem Wirt und dem Trödler, gab einige Möbel wieder ab und behielt nur das Allernothwendigste, das Bett. Dann fing sie ohne Arbeit zu haben, ohne Stelle und mit hundert Franken Schulden, das Leben von Neuem an.

      Zunächst nähte sie Soldatenhemden und verdiente damit zwölf Sous täglich, von denen sie zehn für ihre Tochter abgeben mußte. Deshalb begann sie jetzt auch mit ihren Zahlungen an Thénardier im Rückstande zu bleiben.

      Andrerseits aber lehrte sie eine alte Frau, die ihr des Abends ihr Talglicht anzündete, die Kunst im Elend zu leben. Hat man gelernt mit Wenigem Haus zu halten, so weiß man darum noch nicht mit Nichts auszukommen. Diese beiden Lebensweisen gleichen zwei Kammern, von denen die eine nicht hell und die andre dunkel ist.

      Fantine lernte, wie man im Winter ganz ohne Heizung fertig werden kann, wie man einen Vielfraß von Stubenvogel abschafft, dessen Unterhalt Einem täglich auf einen Pfennig zu stehen kommt, wie man einen Unterrock als Bettdecke und eine Bettdecke als Unterrock benutzt, wie man Talglichte spart, indem man seine Mahlzeiten bei dem Licht der Fenster vis à vis einnimmt. Es ist eben unglaublich, wie manche arme und ehrliche Leute, in Folge vieler Uebung, ein Stück Kupfergeld zu verwerten verstehen. Auch Fantine erwarb sich dieses schöne Talent und faßte wieder etwas Muth.

      Zu der Zeit war es, wo sie zu einer Nachbarin sagte: »Es ist nicht so gefährlich: Wenn ich nur fünf Stunden schlafe und die übrige Zeit fleißig nähe, werde ich's schon dahin bringen, daß ich mir immer ein Stückchen Brod kaufen kann. Nicht genug, daß man davon satt wird. Aber glücklicher Weise ißt man weniger, wenn man Kummer hat. Also müßte es schaurig zugehn, wenn Einen die Sorgen und Brot zusammengenommen nicht satt kriegen sollten.«

      In dieser Noth wäre es ein großer Trost gewesen, wenn sie ihr Töchterchen hätte bei sich haben können. Aber sollte sie auch die Kleine Entbehrungen aussetzen? Und wie das rückständige Geld aufbringen? Wie die Reisekosten erschwingen?

      Die Alte, die ihr Unterricht in der Sparsamkeit ertheilte, war ein frommes Fräulein, die gegen die Armen und sogar auch gegen die Reichen gut war, und nicht einmal ihren Namen richtig schreiben konnte. Aber besaß sie nicht, da sie an Gott glaubte, die wahre Wissenschaft?

      Solcher tief erniedrigter Tugenden giebt es viele hier auf Erden, aber sie werden erhöhet werden, denn auf dieses Leben folgt ein andres.

      Anfänglich hatte Fantine vor Scham kaum gewagt, einen Fuß aus dem Hause zu setzen.

      Wenn sie auf der Straße ging, fühlte sie, daß sich die Leute nach ihr umdrehten und mit Fingern auf sie wiesen. Jedermann starrte sie an, und Keiner grüßte. Diese Verachtung aber empfand sie wie einen eisigen Windhauch, der sie bis in's Mark durchschauerte.

      In den kleinen Städten ist ein gefallenes Mädchen wehrlos gegen den allgemeinen Hohn, gegen die unverschämte Neugierde. In Paris dagegen, wo Keiner den Andern kennt, kann man sich leicht verstecken. O, wie gern wäre sie nach Paris gegangen. Aber ach –!

      Sie mußte sich also, wohl oder übel, an die allgemeine Mißachtung gewöhnen, so wie sie ja auch das Elend ertragen gelernt hatte. Allmählich fand sie sich auch hinein. Nach zwei, drei Monaten schüttelte sie die Scham ab und ging aus, als wenn nichts gewesen wäre. »Ist mir ganz egal!« sagte sie, kam und ging mit aufgerichtetem Kopfe, ein bittres Lächeln um die Lippen, und war sich bewußt, daß sie anfing frech zu werden.

      So sah Frau Victurnien sie bisweilen von ihrem Fenster aus, bemerkte das Elend »des Geschöpfes«, daß sie »in die Schranken gewiesen« und wünschte sich Glück zu dieser guten That. Die schlechten Menschen sind eben auch fähig Glücksgefühle zu empfinden.

      Das Uebermaß der Arbeit schadete Fantinens Gesundheit; sie hüstelte, und dies Leiden nahm allmählich zu. »Fühlen Sie doch, wie warm meine Hände sind!« sagte sie bisweilen zu ihrer Nachbarin.

      Wenn sie aber des Morgens mit einem alten, zerbrochnen Kamm durch ihre schönen seidenweiche Haare fuhr, empfand sie doch eine stille Freude.

      X. Weitere Erfolge der Frau Victurnien

      Sie war gegen das Ende des Winters entlassen worden; der Sommer verging, aber der Winter kam wieder. Kürzere Tage, weniger Arbeit. Im Winter keine Wärme, kein Licht, kein Mittag, Abend und Morgen liegen nicht weit auseinander, Nebel, die Fenster sind zugefroren oder beschlagen und man sieht nicht hell. Der Himmel läßt nicht mehr Licht hindurch, als ein Kellerfenster in ein Souterrain. Schreckliche Jahreszeit! Der Winter versteinert das Wasser des Himmels und das Herz des Menschen. Fantinens Gläubiger ließen ihr keine Ruhe.

      Sie СКАЧАТЬ