Les Misérables / Die Elenden. Victor Hugo
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Les Misérables / Die Elenden - Victor Hugo страница 60

Название: Les Misérables / Die Elenden

Автор: Victor Hugo

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783754173206

isbn:

СКАЧАТЬ schrieben Briefe über Briefe, deren Inhalt sie betrübte und kränkte, und deren Porto in's Geld lief. Eines Tages theilten sie ihr mit, Cosette habe keine Kleider mehr, sie brauche allerwenigstens ein wollnes Röckchen bei der Kälte, das nicht unter zehn Franken zu haben sein würde. Diesen Brief trug sie den ganzen Tag in der Hand herum. Am Abend ging sie zu dem Barbier, der an der Ecke wohnte, und zog den Einsteckkamm aus ihrer Frisur heraus, so daß ihr üppiges blondes Haar bis zu den Hüften herniederwallte.

      »Schöne Haare!« rief der Barbier.

      »Wieviel wollen Sie mir dafür geben?«

      »Zehn Franken.«

      »Gut.«

      Für das Geld kaufte sie ein Tricotkleidchen und schickte dies den Thénardiers.

      Diese geriethen in keine geringe Wuth. Sie hatten Geld haben wollen. Sie gaben das Kleid ihrer Eponine, und die arme Lerche war nach wie vor den Unbillen der Winterzeit ausgesetzt.

      Fantine dachte: »Mein Kind friert nicht mehr. Ich habe sie mit meinen Haaren bekleidet.« Sie trug nun, ihren geschornen Kopf zu verhüllen, ein rundes Häubchen und sah auch so noch niedlich aus.

      Unterdessen vollzog sich in Fantinens Herzen eine unheimliche Verwandlung. Sie empfand, als sie sich nicht mehr ihrer schönen Haare erfreute, einen wüthenden Haß gegen Alles, was sie umgab. Sie hatte lange Zeit die Verehrung Aller für Vater Madeleine getheilt; allein indem sie sich fortwährend wiederholte, daß er sie ihres Broderwerbes beraubt habe und an ihrem Unglück schuld sei, lernte sie auch ihn, ihn ganz besonders hassen. Sie lachte und sang, wenn sie an der Fabrik vorbeikam, und die Arbeiter vor der Thür standen, ihnen zum Trotz.

      »Die nimmt ein schlechtes Ende!« bemerkte einst eine alte Arbeiterin, als sie Fantine bei diesem Gebahren beobachtete.

      Schließlich nahm Fantine sich einen Liebsten, den ersten Besten, einen Mann, aus dem sie sich nichts machte, um die öffentliche Meinung herauszufordern, mit wilder Wuth im Herzen. Es war ein Taugenichts, ein Bettelmusikant, ein Faulpelz, der sie prügelte und sie bald überdrüssig bekam.

      Aber sie liebte ihr Kind und, je tiefer sie sank, je düstrer Alles um sie wurde, desto heller erstrahlte in ihrem Herzen das Bild ihres süßen Engelchens. Dann dachte sie: »Wenn ich mal reich bin, lasse ich meine Cosette kommen«, und freute sich. Der Husten nahm nicht ab, und ihr Rücken bedeckte sich oft mit Schweiß.

      Eines Tages erhielt sie von den Thénardiers einen Brief folgenden Inhalts: »Cosette hat eine Krankheit, die jetzt hier in der Gegend umgeht. Ein sogenanntes Frieselfieber. Die Arznei kostet viel Geld, und wir haben's nicht dazu. Wenn Sie uns nicht binnen acht Tagen vierzig Franken schicken, ist es um die Kleine geschehen.«

      Sie lachte wild auf und sagte zu ihrer alten Nachbarin: »Die sind gut! Vierzig Franken! Weiter nichts! Zwei Napoleond'or! Wo soll ich die denn hernehmen? Nein, was diese Bauern dumm sind!«

      Indessen ging sie auf die Treppe, an eine Luke, und las den Brief noch einmal über.

      Dann eilte sie die Treppe hinunter und lief springend, tanzend und immerzu lachend die Straße entlang.

      Ein Bekannter begegnete ihr und fragte sie: »Was ist Ihnen denn passirt, daß Sie so vergnügt sind?«

      Sie antwortete: »Ich lache über einen dummen Brief, den mir Leute vom Lande geschrieben haben. Denken Sie, die Schafsköpfe von Bauern wollen vierzig Franken von mir haben!«

      Als sie über den Platz ging, sah sie eine große Menschenmenge um einen auffallenden Reklamewagen, auf dem ein roth gekleideter Mann stand und eine Rede hielt. Es war ein Quacksalber, der dem Publikum Gebisse, Opiate, Pulver und Elixire zum Kauf anbot.

      Fantine mischte sich unter die Menge und lachte wie die Andern über den Redner, der, um dem Pöbel sowohl, wie den Gebildeten unter seinen Zuhörern gerecht zu werden, kunstvoll die kanaillösesten Ausdrücke mit großartig wissenschaftlichem Quatsch durch einander mengte. Der Zahnausreißer bemerkte sie bald mit seinen geübten Augen und rief ihr zu: »Sie da, Sie hübsche Kleine, wenn Sie mir Ihre zwei obern Schneidezähne verkaufen wollen, gebe ich Ihnen einen Napoleond'or für jeden.«

      »Pfui, wie abscheulich!« rief Fantine.

      »Zwei Napoleond'or!« brummte eine zahnlose Alte neben ihr. »Hat die ein Glück!«

      Fantine lief davon und hielt sich beide Ohren zu, um nicht die heisre Stimme des Quacksalbers zu hören, der ihr nachschrie: »Ueberlegen Sie Sich die Sache, schöne Kleine! Zwei Napoleond'or sind nicht zu verachten. Wenn Ihnen mein Vorschlag zusagt, so kommen Sie heute Abend in die Herberge zum silbernen Schiff.«

      Fantine rannte nach Hause und erzählte wüthend ihrer Nachbarin, was ihr passirt war. – »Was sagen Sie dazu? Ist so was nicht scheußlich? Wie kann blos die Obrigkeit solche Leute im Lande herumziehen lassen? Meine Vorderzähne ausziehen! Wie würde ich dann aussehen? Haare wachsen wieder, aber Zähne –! Solch ein Scheusal von Mensch! Da würde ich mich lieber fünf Stock hoch aus einem Fenster kopfüber auf das Pflaster stürzen. Heute Abend, sagte er, würde er in der Herberge zum silbernen Schiff zu treffen sein.«

      »Wieviel hat er Ihnen denn geboten?« fragte Margarete.

      »Zwei Napoleond'or.«

      »Das macht vierzig Franken.«

      »Jawohl, vierzig Franken.«

      Sie wurde nachdenklich, und machte sich an ihre Arbeit. Nach Verlauf einer Viertelstunde, stand sie auf und las den Brief der Thénardiers noch einmal auf der Treppe.

      Als sie zurückkam, fragte sie Margarete, die neben ihr arbeitete:

      »Was ist denn das, ein Frieselfieber? Wissen Sie's?«

      »O ja! Eine Krankheit.«

      »Da braucht man viel Arznei?«

      »Gehörig viel!«

      »Wo kommt denn das her?«

      »Es ist eine Krankheit, die man so unversehens kriegt.«

      »Das kriegen also die Kinder?«

      »Besonders die Kinder!«

      »Kann ein Kranker daran sterben?«

      »O, ganz gut!« meinte Margarete.

      Fantine stand auf und las den Brief noch einmal auf der Treppe.

      Am Abend ging sie aus dem Hause und lenkte ihre Schritte der Pariser Straße zu, wo die Herbergen liegen.

      Und als am nächsten Morgen Margarete vor Tagesanbruch – denn sie arbeiteten immer zusammen, um ein Talglicht zu ersparen – sich in Fantinens Zimmer einfand, saß Fantine bleich und halb erfroren auf ihrem Bett. Sie hatte sich nicht schlafen gelegt. Ihre Haube war auf ihre Kniee herabgefallen. Das Licht hatte die ganze Nacht gebrannt, und es war nur noch ein Stümpfchen davon übrig.

      Margarete blieb halb versteinert vor Schrecken über die großartige Verschwendung und rief.

      »Herr des Himmels! das Licht ist ja niedergebrannt! Was ist denn hier passirt?«

      Dann blickt sie Fantine an, die ihren kurzhaarigen Kopf ihr zugewendet hielt. Die Unglückliche sah СКАЧАТЬ