Название: Multisystem-Erkrankungen erkennen und verstehen
Автор: Sibylle Reith
Издательство: Bookwire
Жанр: Медицина
isbn: 9783754949412
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Schlafstörungen treten auf, Nervosität, innere Unruhe, Motivationsverlust und Stimmungsschwankungen.
Das führt bis hin zu mangelnder Impulskontrolle/Aggressivität, Niedergeschlagenheit, depressiven Episoden. Das Burnout-Syndrom, Depressionen oder Angsterkrankungen können sich entwickeln.
Stressbedingte Sinnkrisen, Identitätsstörungen, Versagensängste werden berichtet.
Dauerstress kann zu gesundheitsschädlichem Suchtverhalten führen: Rückzug, Rauchen, vermehrter Alkoholkonsum, Drogen- und Arzneimittel-Missbrauch.
All diese Auswirkungen spiegeln sich in aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen. Ist es Zufall, dass mit steigender Stressbelastung, die derzeit zu beobachtende Verrohung zunimmt und auch sie sogenannten „Hasspostings“?
3.1.7 Stress und (Epi-)Genetik
Die Wissenschaftsdisziplin Epigenetik wird in Kapitel 28 erläutert. Neuere Forschungen belegen, dass sowohl genetische wie auch epigenetische Faktoren eine wesentliche Rolle bei der Verarbeitung von Stress spielen.
Unsere genetische Konstitution wirkt sich auf unsere individuelle Stressanfälligkeit aus. Abschnitte des Erbgutes, die für die Aktivität der Stresshormone mitverantwortlich sind, (dazu gehören z. B. Polymorphismen der Gene BDNF, COMT, MAOA, FKBP5) stehen im Fokus der aktuellen Forschung. Dazu kommen die epigenetischen Einflüsse, also die Frage, ob vorhandene Gene abgelesen werden oder stillgelegt wurden.
Es gibt nach dem derzeitigen Stand der Forschung weder ein Burnout-Gen, noch ein Depressions-Gen – aber erhöhte Anfälligkeiten, die sich in einem komplexen Zusammenspiel mit anderen Genen, mit unserer Lebensweise und mit Lebensereignissen auf unsere individuelle Stressresistenz auswirken können. |
In einer akuten Stress-Situation werden Kaskaden von Adrenalin und Noradrenalin freigesetzt. Die Werte dieser sogenannten Katecholamine können um das 50-fache ansteigen. Sie binden an die alpha- und beta-adrenergen Membranrezeptoren vieler, sehr unterschiedlicher Zellen im ganzen Körper. Beta-2-Rezeptoren neigen bei chronischer Stimulation, z. B. bei chronischem Herz-Kreislauf Stress zur Desensibilisierung. Ihre Anzahl kann erheblich abnehmen. Die Rolle der Beta-2-Rezeptoren wurde z. B. bei ME/CFS-Patienten untersucht. 3.1.7/1 Wirth, Scheibenbogen
Um die Stresshormone Adrenalin, Dopamin und Noradrenalin abzubauen, werden mehrere Enzyme benötigt. Dr. Kurt E. Müller beschreibt in seinem Positionspapier zur COVID-19 Pandemie u.a. den unguten Zusammenhang zwischen steigender Stresslast und unzureichendem Abbau der Stresshormone.
„Der ursprünglich für Notfallreaktionen vorgesehene Gebrauch von Katecholaminen (KA) erfolgt inzwischen im alltäglichen Leben. Grund hierfür sind Tempo, Zeitdruck, Komplexität des täglichen Lebens, sozialer Stress und Funktionseinbuße des parasympathischen Nervensystems. Die Ansicht, dass deren Produktion nur im ZNS [Zentralnervensystem], der NNR [Nebennierenrinde] und dem sympathischen Nervensystem erfolgt, ist überholt. KA und ihre Rezeptoren werden von einer ganzen Reihe der Immunzellen produziert. Die andauernde Stressreaktion durch KA hemmt die Immunfunktion. [...] Verstärkt wird er bei den Menschen, die eine genetisch geminderte Funktion der Catechol-O-Methyltransferase (COMT) aufweisen, was bei ~15 % der Bevölkerung der Fall ist.“ [Quellenhinweise im Originaltext] 3.1.7/2 Müller
COMT kann in verschiedenen Gen-Varianten vorliegen. Entsprechend werden zwei unterschiedlich aktive Formen des COMT-Enzyms gebildet – „Val“ oder „Met“. Die Val-Variante des Enzyms ist bis zu vierfach aktiver als die Met-Variante. Da jedes Gen in zwei Kopien vorliegt, gibt es Menschen, die zwei Val-Varianten, andere, die zwei Met-Varianten haben, sowie solche, die beide Enzymarten besitzen. Durch eine genetische Untersuchung kann geklärt werden, ob ungünstige Genvarianten vorliegen.
Systemischer Einfluss auf das Immunsystem
Sowohl das angeborene wie auch das erworbene Immunsystem werden durch Katecholamine direkt beeinflusst. B-Lymphozyten, T-Lymphozyten, Natürliche Killerzellen (NK-Zellen), Dendritische Zellen und Makrophagen haben Rezeptoren für diese Botenstoffe. Darüber hinaus können Lymphozyten selbst Katecholamine synthetisieren und freisetzen.
Katecholamine sind, neben ihrer Funktion als Neurotransmitter auch Regulatoren der Immunfunktion: Stresserleben hat direkten Einfluss auf Immunfunktionen, und umgekehrt! |
Andauernde Stressreaktionen hemmen die Immunfunktion: Ein Überschuss an Katecholaminen führt zu einer Verschiebung der Zytokine vom TH-1 zum TH-2-Pfad (d.h. vom „Verteidigungs-System“ zum „Toleranz-System“). } Siehe Kapitel 5.4
COMT und Umweltschadstoffe
Das Enzym COMT wird gebraucht, um bestimmte Medikamente zu verstoffwechseln (z. B. Amphetamine, Methyldopa, Catecholaminhaltige Notfallmedikamente wie Epinephrin) und um Umweltchemikalien wie einfache Phenole, Hydrokarbone, Anthrachinone, Dibenzodioxine und Dibenzofurane abzubauen.
Damit konkurriert der Abbau von Katecholaminen mit dem Abbau von Umweltschadstoffen und Medikamenten. Je weniger COMT zur Verfügung steht, desto weniger Substanzen (Katecholamine, Medikamente oder Umweltschadstoffe) können abgebaut werden.Das bedeutet, dass die heutige Grundbelastung mit Schadstoffen für große Teile der Bevölkerung ein physiologisches Problem darstellt, weil sie bei ungünstigen genetischen Voraussetzungen nicht abgebaut werden können. |
Wer aufgrund einer ungünstigen COMT-Genvariante Katecholamine nicht vollständig abbauen kann, steht ständig „unter Strom“, der Organismus gibt dann ständig „Vollgas“. Diese Variante ist bei ca. 15 % der Bevölkerung zu finden. Bei dieser Konstitution wirken sich Umgebungsfaktoren, die mit unserer modernen, hektischen Lebensweise zusammenhängen, stärker aus, als wenn Betroffene in vorindustrieller Zeit gelebt hätten.
Neurostress
Der Begriff „Neurostress“ umfasst die Gesamtheit aller pathologischen Veränderungen der neuroendokrinen Stressachse und deren systemische Auswirkungen auf die Psyche, auf neurologische, endokrin/hormonelle und auf immunologische Phänomene.
Beschwerden wie Ängste, Unruhe, Motivationsverlust, kognitive Störungen, Fatigue/Leistungsabfall, Überempfindlichkeitsreaktionen, Schlafstörungen oder Schmerzen sowie Erkrankungen wie Depressionen, Burnout oder Migräne können als Funktions-Störungen verstanden werden, die auf neuro-regulatorischen Dysbalancen beruhen. Die Balance zwischen exzitatorischer (erregender) und inhibitorischer (dämpfender) Gehirnchemie ist gestört.
Der Ablauf der Stressantwort kann bei erworbenen multisystemischen Erkrankungen auf mehreren Ebenen gestört sein, z. B. durch ein Ungleichgewicht der Stresshormone, durch Dysfunktionen/Resistenzen bei den Rezeptoren; durch einen gestörten Abbau aufgrund eines (epi/genetischen) Mangels oder eines Überschusses an stressabbauenden oder entzündungshemmenden Enzymen. |
3.1.8 Stressbedingte Erkrankungen
Aus physiologisch wird pathologisch
Wenn der physiologische Ablauf der Stressantwort nicht gewährleistet ist, entstehen als Langzeitwirkungen unterschiedliche stressbedingte Erkrankungen. Stressbedingte Erkrankungen sind in der Regel chronisch-entzündliche Erkrankungen.
Physiologische Reaktion auf stressorische Reize | Pathologische Folgen |
Bereitstellung von Energie, um potenziell flüchten oder angreifen zu können. | Das permanente Abrufen der Katecholamine (Adrenalin, Noradrenalin, weitere) verbraucht viel Energie und baut Substanzen ab (z. B. Proteine, Calcium) � Erhöhtes Risiko für Muskelschwund, Osteoporose.Auf emotionaler Ebene: Angst, Aggression. |
Energie in Form von Blutzucker
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