Multisystem-Erkrankungen erkennen und verstehen. Sibylle Reith
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Название: Multisystem-Erkrankungen erkennen und verstehen

Автор: Sibylle Reith

Издательство: Bookwire

Жанр: Медицина

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isbn: 9783754949412

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СКАЧАТЬ gefährdet.

      Die erschöpften Stress-Achsen: Cortisolmangel (Hypo-Cortisolismus)

      In der Widerstandsphase wird mehr Cortisol produziert, um den Dauerstress zu bewältigen. Die Nebennieren verausgaben sich und geraten deshalb in der Erschöpfungsphase in einen bedauernswerten Zustand. Im englischsprachigen Sprachraum spricht man von „Adrenal Fatigue“, im deutschsprachigen Raum von sekundärer Nebennierenrinden- oder -mark-Insuffizienz. Im Ärztealltag wird nur der extreme Cortisol-Mangel (Morbus Addison), bzw. der extreme Cortisol-Überschuss (Morbus Cushing) als pathologisch bewertet.

      Die individuelle Stressresistenz

      Wir reagieren individuell sehr unterschiedlich auf Stress: Es gibt Menschen, die über Jahrzehnte in der Widerstandsphase verbleiben, andere werden schon durch scheinbar unbedeutende Stressfaktoren dauerhaft aus der Bahn geworfen. Wieder andere erleben abwechselnd Widerstands- und Erschöpfungsphasen, bei manchen lässt die Stressresistenz über lange Zeiträume allmählich nach.

      Biologische Parameter

      Dass Personen unterschiedlich empfindlich auf Stressreize reagieren, hängt auch stark von biologischen Parametern ab, z. B. von der Aktivität des sogenannten Glucocortcoid-Rezeptors. Er nimmt eine Schlüsselfunktion in der Feedback-Regulation der Stressantwort ein, weil er die vielfältigen Botschaften des Cortisols in die Zelle weitergibt. Die Sensitivität dieses Rezeptors kann (wie bei den Beta-2-Rezeptoren) aufgrund genetischer Varianten, aber auch durch (embryonale, frühkindliche oder spätere) Umwelteinflüsse gesteigert oder vermindert (Glucocorticoid-Resistenz) sein.

      Abb. 3.1.3/1 Die individuelle Stress-Resistenz/-Toleranz

      3.1.4 Das Burnout-Syndrom

      In der Erschöpfungsphase gelingt es den Nebennieren kaum noch, ausreichend Cortisol zu produzieren, es entsteht ein Mangel (Hypo-Cortisol). Cortisol wird nachts gebildet, die Werte sind bei Gesunden frühmorgens am höchsten – unter Dauerstress sind jedoch schon die morgendlichen Werte auffallend niedrig. Die chronische Belastung führt nun zu eingeschränkter bis erschöpfter Kompensationsfähigkeit. Diese Konstellation findet sich typischerweise beim „Burnout-Syndrom“.

Das Burnout-Syndrom ist der (reversible) Ausdruck einer „Überdosis“ an Dauerstress.

      Die Liste der Beschwerden beim Burnout-Syndrom ist umfassend und individuell sehr unterschiedlich: Sie reicht von Erschöpfung, Energiemangel, Schlafstörungen über Konzentrations- und Gedächtnisprobleme, Ruhelosigkeit bis hin zu Gleichgültigkeit und Verlust an Empathie. Auch Verbitterung, Partnerschaftsprobleme, das Gefühl mangelnder Anerkennung und nicht zuletzt körperliche Beschwerden wie Enge in der Brust, Rückenschmerzen oder Übelkeit werden von Betroffenen berichtet. Die Beschwerden können sich aufschaukeln und Betroffene können in einen Teufelskreis geraten, in dem sie sich nicht mehr als selbstwirksam erleben. Das kann zu purer Verzweiflung führen oder zu Suizidgedanken. Burnout ist ein Risikofaktor für das Auftreten von Depression, Herzinfarkt, Schlaganfall, Osteoporose und Diabetes mellitus.

      Das Burnout-Syndrom kann als direkte Folge einer Erschöpfung der Zellkraftwerke verstanden werden. Uschi Eichinger und Kyra Hoffmann zeigen diesen Sachverhalt in dem lesenswerten Buch Der Burnout-Irrtum: Ausgebrannt durch Vitalstoffmangel – Burnout fängt in der Körperzelle an.

      3.1.5 Dauerstress und Trauma

      Dauerstress

      Dauerstress entsteht durch die Aneinanderreihung von akuten Stress-Ereignissen. Da dabei langfristig die Erholungsphase fehlt, hat permanenter Dauerstress (auch „toxischer Stress“) pathologische körperliche und seelische Auswirkungen.

      Abb. 3.1.5/1 Dauerstress und Traumata

      Dauerstress und Traumata korrumpieren die Selbstheilung

      Trauma

      Der Begriff „Trauma“ kommt aus dem Griechischen und bedeutet „Verletzung“. Im Alltag wird der Begriff Trauma medizinisch unpräzise für Alltagsbelastungen verwendet. Ob ein Ereignis oder Geschehen zu einem Trauma wird, hängt einerseits von dessen Schwere und Ausmaß ab (zum Beispiel Naturkatastrophen, schwere Unfälle, Vergewaltigungen, Terroranschläge, Kriegserlebnisse oder Entführungen), zum anderen, ob das Ereignis oder Geschehen nachhaltige psychische oder körperliche Verletzungen bei den betroffenen Personen hinterlässt. In Kapitel 11 finden Sie Informationen zum Posttraumatischen Belastungs-Syndrom/PTBS.

      Weniger geläufig sind

       Mechanische Traumen, (z. B. durch Unfall, Gewalt),

       Chemische Traumen (z. B. durch Verätzung, Vergiftung) oder

       Physikalische Traumen (z. B. durch Strahlung, Kälte, Druck, Schall)

      Alle Arten von Dauerstress und Traumen – also nicht nur, aber auch, psychosozialer Stress – hinterlassen ihre Spuren, sie verändern nachhaltig unsere Physiologie, die Zellkommunikation und den Stoffwechsel und können zu chronischen Erkrankungen führen.

      Early Life Stress

      Frühkindliche (auch schon embryonale) Stress-Erfahrungen können langanhaltend schädigend auf das sich entwickelnde Immun- und Stress-System wirken. Je instabiler die Stress-Achsen durch frühe Lebensereignisse „eingestellt“ sind, desto stärker können Stressoren lebenslang (!) einwirken. Das lässt sich mit der Grundeinstellung eines Thermostats vergleichen. } Siehe Kapitel 34

      Early Life Exposom-Stress

      Psychosoziale Early Life Stress-Faktoren sind gut untersucht. Doch die sich entwickelnden Feten und Kinder sind vielen weiteren Faktoren ausgesetzt, deren Gesamtheit als Exposom bezeichnet wird. } Siehe Kapitel 3.2.3 Dazu gehören z. B. Chemikalien. Auch diese Stressoren können die Stress- und Immunregulation nachhaltig negativ beeinflussen – ggf. lebenslang. } Siehe Kapitel 34

      3.1.6 Stress verändert unser Verhalten

      Unter Dauerstress verändern sich Gehirnstrukturen: Die Dendriten der Amygdala verzweigen sich und werden durch die dauerhafte Beanspruchung „stärker“.

Wenn die Amygdala das Zepter übernimmt, handeln wir weniger vernunftgelenkt, sondern impulsiver, triebhafter, das Denken ist beeinträchtigt oder „blockiert“.

      Das kognitive Gehirn und das emotionale Gehirn fallen auseinander, statt Kohärenz entsteht Chaos. Konkret bedeutet das, dass bei Überforderung automatisiertes Handeln zunimmt, während das reflektierte, variable Reagieren auf Situationen abnimmt. Die Nervenfortsätze des Präfrontalen Kortex verkümmern: Neurone bauen Verbindungen ab, wenn sie nicht gebraucht werden.

       Das führt zu Entfremdung: Mit zunehmender Überforderung entfremden wir uns von uns selbst. Der Politikwissenschaftler Hartmut Rosa beschreibt die fehlende Weltbeziehung soziologisch: Wer unter Stress steht, kann nicht mehr mit anderen Menschen und mit der Umwelt in Resonanz treten.

       Zwischen Außenwelt und Innenwelt entsteht ein Spannungsfeld: Dazwischen steht „Eigentlich“. „Eigentlich“ würde ich gerne mehr Zeit haben für meine Familie, СКАЧАТЬ