Название: Geschichte meines Lebens
Автор: George Sand
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
isbn: 9783754183267
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Nürnberg, den 29. Vendémiaire, Jahr XIV.
„Seit gestern Abend sind wir hier, meine geliebte Frau, nachdem wir den Feind vier Tage lang ohne Aufhören verfolgt haben. Wir haben die ganze östreichische Armee gefangen genommen; es sind kaum einige Mann davon übrig geblieben, um diese Nachricht und das Entsetzen darüber in Deutschland zu verbreiten. Der Prinz Mürat, der uns kommandirt, ist sehr mit uns zufrieden, und wird morgen oder späterhin für mich und drei andere Offiziere der Division, das Kreuz vom Kaiser erbitten.
„Ich werde Dir von den Anstrengungen und Gefahren dieser zehn Tage nichts erzählen. Das sind die Widerwärtigkeiten des Handwerks. Aber was sind sie im Vergleich zu den Besorgnissen und Schmerzen, welche mir Deine Abwesenheit bereitet. Ich erhalte keine Nachrichten von Dir! es heißt sogar, daß keiner unserer Briefe nach Frankreich gelangt ist, weil der Feind unsern linken Flügel fortwährend beunruhigt hat. Denke Dir meine Qual, meine Angst! Weiß ich denn, ob Du Dich nicht furchtbar um mich kümmerst? ob Du das Geld erhalten hast, das ich Dir geschickt habe? Ob meine Aurora sich wohl befindet? — So getrennt zu sein von dem, was mir das Liebste auf der Welt ist! nicht ein Wort von ihnen erhalten zu können! Sei muthig, meine Geliebte! bedenke, daß die Trennung unsere Liebe nicht stören kann. Welch ein Glück, uns wiederzusehen, um uns nicht mehr zu trennen! Mit welchem Entzücken werde ich in Deine Arme eilen, sobald der Feldzug beendigt ist; dann reiße ich mich nie mehr von Dir los und werde Dir und Aurora alle meine Sorgfalt, jeden meiner Augenblicke weihen. Dieser Gedanke kann mich allein gegen den Kummer und die Sehnsucht kräftigen, die mich fern von Dir umlagern. Mitten aus den Schrecknissen des Krieges versetze ich mich zu Dir, und Dein sanftes Bild läßt mich den Wind, die Kälte, den Regen und alles Elend vergessen, dem wir hier ausgesetzt sind. Denke auch Du an mich, meine Geliebte! Bedenke, daß ich Dir die zärtlichste Liebe geweiht habe, die nur der Tod in meinem Herzen verlöschen kann. Bedenke, daß die geringste Kälte von Deiner Seite den Rest meines Lebens vergiften müßte, und daß ich Dich nur verlassen konnte, weil Beruf und Ehre mir eine heilige Pflicht daraus machten.
„Morgen früh um fünf Uhr verlassen wir Nürnberg, um uns nach Regensburg zu begeben, wohin wir in drei Tagen kommen werden. Der Prinz Mürat befehligt unsre Division noch immer.“
Dritter Brief.
Von meinem Vater an meine Mutter.
Wien, den 30. Brumaire, Jahr XIV.
„Mein Weib! mein theures Weib! dieser Tag ist der schönste meines Lebens. Von Unruhe zerrissen, von Anstrengung erschöpft komme ich mit der Division nach Wien. Ich weiß nicht, ob Du mich noch liebst, ob Du Dich wohl befindest, ob meine Aurora traurig oder vergnügt ist, ob mein Weib noch immer meine Sophie ist. Ich eile nach der Post, mein Herz schlägt vor Hoffnung und Furcht — und ich finde einen Brief von Dir! ich öffne ihn mit Entzücken — ich zittere vor Glück, indem ich die süßen Ausdrücke Deiner Zärtlichkeit lese. Ja, ja! theures Weib, für das Leben bin ich Dein; nichts in der Welt kann die glühende Liebe mindern, die ich Dir weihe, und so lange Du sie theilst, will ich dem Geschick, den lächerlichen Ungerechtigkeiten trotzen. Um die Verdrießlichkeiten meines Lebens ertragen zu können, war es sehr nöthig, daß ich einen Brief von meiner Frau zu lesen bekam.
„Nachdem ich mich als guter Soldat geschlagen und hundert Mal mein Leben für den Erfolg unserer Waffen gewagt habe, nachdem meine theuersten Freunde an meiner Seite gefallen sind, habe ich den Kummer gehabt, unsre glänzendsten Waffenthaten ignorirt oder durch das militärische Bedientenvolk entstellt und verdunkelt zu sehen. Ich weiß, was ich damit sagen will, und Du mußt es auch wissen und mußt die Höflinge erkennen. Ich war ohne Unterlaß an der Spitze der Regimenter unsrer Division und da habe ich gesehen, daß Muth und Unerschrockenheit überflüssige Eigenschaften sind, und daß nur die Gunst Lorbeeren ertheilt. Mit einem Worte: vor zwei Monaten waren wir unsrer Sechstausend, jetzt sind wir nur noch unsrer Dreitausend. Wir haben dem Feinde fünf Fahnen genommen, worunter zwei russische waren, wir haben fünftausend Gefangene gemacht, haben zweitausend Mann getödtet, haben vier Geschütze erbeutet — das Alles im Zeitraum von sechs Wochen, und nun sehen wir täglich in den Rapporten die Leute nennen, die nicht das Geringste gethan haben, während wir in Vergessenheit bleiben. Aber die Achtung und Zuneigung unserer Kameraden trösten mich; ich werde wieder ein armer Teufel sein, aber umgeben von Freunden, die ich auf dem Schlachtfelde gewonnen habe, und die aufrichtiger sind, als die Herren vom Hofe. Nun belästige ich Dich mit meiner düstern Laune, aber wem kann ich meine Sorgen mittheilen, wenn nicht meiner Sophie, und wer kann dieselben besser theilen und mildern als sie?
„Da unsere Soldaten ganz erschöpft sind, und da wir uns seit acht Tagen ohne Aufhören mit den Russen geschlagen haben, hat man uns endlich aus Mähren hierher geschickt, damit wir uns etwas ausruhen sollen. In der Affaire von Haslach [Während dieser ruhmvollen Affaire hatten sich die Oestreicher in Albeck auf die Bagagewagen der Division Dupont geworfen, hatten sich derselben bemächtigt und hatten so, wie Thiers sagt, einige gewöhnliche Trophäen gewonnen; ein elender Trost für die Niederlage von 25,000 Mann gegen 6000.] habe ich Alles verloren, aber ich habe mich dafür auf Kosten eines Dragoner-Offiziers von Latour entschädigt, den ich aus dem Sattel hob.
„Man verspricht uns lauter schöne Dinge, aber Gott mag wissen, wann es dazu kommt! Meine Mutter schreibt mir, daß es Dir an Nichts fehlen soll und daß ich darüber ruhig sein kann. Aber sage nur, mit welcher neuen Thorheit Du mich wieder regalirt hast? Debaix hat bis zu Thränen darüber gelacht. Demoiselle Roumier ist meine alte Bonne und meine Mutter giebt ihr eine Pension, weil sie mich großgewartet hat. Sie war vierzig Jahre alt, als ich zur Welt kam. Wahrlich ein schöner Gegenstand zur Eifersucht. Ich erzähle diese Thorheit allen meinen Freunden.
„Heute Morgen habe ich Bilette gesehen. Sein Anblick, der mich an die Rue Meslée erinnerte, hat mir eine unendliche Freude gemacht. Ich habe ihn umarmt, wie meinen besten Freund, denn ich konnte von Dir mit ihm reden und er konnte mir darauf antworten; obwohl er mir von Deinem Befinden keine directen Nachrichten brachte, habe ich ihn so viel gefragt, daß ich ihm gewiß langweilig geworden bin.
„Man spricht davon, uns bald nach Frankreich zurück zu schicken, denn der Krieg muß hier aufhören, da es an feindlichen Kämpfern fehlt. Die Oestreicher wagen nicht mehr, sich mit uns zu messen; die Russen sind im vollen Rückzuge.
Man betrachtet uns hier mit Verwunderung, die Einwohner Wiens können an unsere Gegenwart kaum glauben.
„Uebrigens ist diese Stadt ziemlich nüchtern. Seit vier und zwanzig Stunden bin ich hier und langweile mich wie in einem Gefängnisse. Die reichen Leute sind entflohen, die Bürger zittern und verstecken sich, das Volk ist starr vor Entsetzen. Man sagt, daß wir in drei bis vier Tagen aufbrechen werden, um nach Ungarn zu marschiren, um die Ueberreste der östreichischen Armee zu zwingen, die Waffen zu strecken und auf diese Weise den Abschluß des Friedens zu beschleunigen.
„Sei immer verstimmt in meiner Abwesenheit, mein theures Weib, denn so liebe ich Dich in der Ferne zu wissen. Laß Dich nicht sehen, denke nur daran, unser Töchterchen zu pflegen, und ich werde so glücklich sein, wie ich das fern von Dir zu sein vermag.
„Lebe wohl! Geliebte; ich hoffe Dich bald in meine Arme drücken zu können. Tausend Küsse für Dich und für meine Aurora!“
Dies Gerücht von einem neuen Marsch nach Ungarn war der Vorläufer der Schlacht von Austerlitz, welche am 4. December 1805 geschlagen wurde. Ich weiß nicht, ob mein Vater dabei war, aber ich glaube es nicht, obwohl es von mehreren Personen behauptet und durch seinen Nekrolog bestätigt wird, denn die Division Dupont war durch die Wunder, welche sie bei Haslach und Diestern verrichtet hatte, so erschöpft, daß sie in Wien bleiben mußte, um sich zu erholen. Auch befinden sich Dupont's Name in keinem der Berichte, welche ich über die Schlacht von Austerlitz gelesen habe.
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