Название: Geschichte meines Lebens
Автор: George Sand
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
isbn: 9783754183267
isbn:
Meine Großmutter hatte vielleicht nie die ernstliche Absicht gehabt, gerichtlich gegen ihren Sohn einzuschreiten, und hätte sie auch diesen Plan gefaßt, so würde ihr der Muth der Ausführung gefehlt haben. Wahrscheinlich wurde sie von der Hälfte ihres Schmerzes befreit, als sie ihre feindseligen Versuche einstellte, denn wir verdoppeln unser Leid, wenn wir unsre Lieben mit Härte behandeln. Sie wollte indessen noch einige Tage vergehen lassen, ohne ihren Sohn zu sehen, vielleicht um das Widerstreben ihres Sinnes zu besiegen oder um neue Erkundigungen über die Schwiegertochter einzuziehen. Aber mein Vater entdeckte ihren Aufenthalt in Paris; er begriff, daß sie Alles erfahren haben mußte und übertrug es mir, seine Sache zu führen. Er nahm mich in seine Arme, stieg in einen Fiaker, hielt vor dem Hause, wo meine Großmutter abgestiegen war, gewann mit wenigen Worten das Wohlwollen der Pförtnerin und übergab mich dieser Frau, die sich in folgender Weise ihres Auftrages entledigte:
Sie begab sich in die Wohnung meiner Großmutter und verlangte unter irgend einem Vorwande mit ihr zu sprechen. Als sie vorgelassen war, sagte sie ihr, ich weiß nicht was, unterbrach sich aber plötzlich in ihren Plaudereien, um zu bemerken: „Sehen Sie mal, Madame, welche hübsches kleines Mädchen ich hier habe. Ich bin ihre Großmutter; ihre Amme hat sie mir heute gebracht und ich bin so glücklich darüber, daß ich mich keinen Augenblick von ihr trennen kann.“
„Ja, sie ist sehr frisch und kräftig.“ sagte meine Großmutter, indem sie ihre Bonbonnière suchte; sogleich legte mich die gute Frau, die ihre Rolle vortrefflich spielte, auf den Schooß der Großmutter, die mir Süßigkeiten reichte und anfing mich mit Erstaunen und einer gewissen Bewegung zu betrachten. Plötzlich stieß sie mich zurück und rief: „Sie täuschen mich, dies Kind gehört nicht Ihnen! Es sieht Ihnen nicht ähnlich — ich weiß, ich weiß, was es ist!“
Es scheint, daß ich, erschreckt über die Bewegung, die mich von dem mütterlichen Schooße entfernte, anfing, nicht zu schreien, sondern wirkliche Thränen zu vergießen, die bedeutenden Eindruck machten. „Komm, mein guter, kleiner Liebling,“ sagte die Pförtnerin, indem sie mich wieder hinnahm; „man will Dich nicht haben, wir gehen fort!“
Meine gute Großmutter war besiegt: „Geben Sie mir die Kleine wieder,“ sagte sie; „das arme Kind! ihre Schuld ist es ja nicht! aber wer hat sie hergebracht?“— „Ihr Herr Sohn selbst, Madame; er wartet unten und ich will ihm seine Tochter wieder bringen. Verzeihen Sie, wenn ich Sie beleidigt habe, aber ich, ich wußte nichts! ich weiß nichts! Ich dachte Ihnen eine Freude zu bereiten — eine schöne Ueberlaschung ...“ „Gehen Sie, gehen Sie, meine Liebe, ich zürne Ihnen nicht,“ sagte meine Großmutter: „holen Sie meinen Sohn und lassen Sie mir das Kind.“
Mein Vater sprang die Treppe in großen Sätzen herauf, fand mich auf dem Schooße, in den Armen meiner Großmutter, welche sich weinend bemühte, mich zum Lachen zu bringen. Man hat mir nicht erzählt, was zwischen den Beiden vorging, und da ich erst acht oder neun Monate alt war, ist es wahrscheinlich, daß ich nichts davon verstand. Eben so wahrscheinlich ist es, daß sie miteinander weinten und sich dann um so inniger liebten. Meine Mutter, welche mir dies erste Abenteuer meines Lebens mittheilte, hat mir gesagt, daß ich, als mich der Vater zu ihr zurückbrachte, einen schönen Ring mit einem großen Rubin in den Händen hielt; meine Großmutter hatte ihn sich vom Finger gezogen, hatte mir aufgetragen, ihn meiner Mutter anzustecken, und mein Vater sorgte dafür, daß ich dies pünktlich vollführte.
Es verging indessen noch einige Zeit, ehe meine Großmutter einwilligte, ihre Schwiegertochter zu sehen; aber schon verbreitete sich das Gerücht, daß mein Vater eine unpassende Verbindung geschlossen hätte und ihre Weigerung, meine Mutter zu empfangen, mußte nothwendigerweise zu nachtheiligen Folgerungen über dieselbe und also auch über meinen Vater Anlaß geben. Meine Großmutter erschrak über den Schaden, der aus ihrem Widerwillen entstehen konnte; sie empfing die zitternde Sophie und wurde durch ihre naive Unterwürfigkeit, durch ihre zärtlichen Liebkosungen vollständig entwaffnet. Die kirchliche Trauung wurde im Beisein meiner Großmutter gefeiert, und darauf besiegelte ein Familiendiner die Anerkennung meiner Mutter, sowie die meinige.
Ich wurde später, wenn ich meine eignen Erinnerungen, die mich nicht irre leiten können, zu Rathe ziehe, den Eindruck schildern, welchen diese beiden in Gewohnheiten und Ansichten so ganz verschiedenen Frauen auf einander machten. Für den Augenblick beschränke ich mich darauf zu sagen, daß das Benehmen Beider vortrefflich war, daß sie sich Mutter und Tochter nannten, und daß die Heirath meines Vaters vielleicht für einen engern Kreis ein Aergerniß abgab, daß jedoch die Gesellschaft, welche mein Vater besuchte, sich nicht darum kümmerte und meine Mutter aufnahm, ohne nach ihren Ahnen und ihrem Schicksal zu fragen. Aber sie liebte die Gesellschaft nie und ließ sich an Mürat's Hofe nur vorstellen, weil sie durch das Amt, das mein Vater späterhin bei diesem Fürsten bekleidete, gleichsam dazu gezwungen wurde.
Meine Mutter fühlte sich weder gedemüthigt noch geehrt, wenn sie mit Leuten zusammentraf, die sich über sie erhaben dünken konnten. Sie verspottete auf feine Weise den Hochmuth der Einfältigen, die Eitelkeit der Emporkömmlinge, das Gefühl ihrer Abstammung vom Volke durchdrang sie bis zu den Fingerspitzen, und darum hielt sie sich für adliger, als alle Patrizier und Aristokraten der Erde. Sie pflegte zu sagen, daß die Abkömmlinge ihres Stammes ein rötheres Blut und weitere Adern hätten, als die der andern, und ich möchte das fast glauben, denn wenn es wahr ist, daß die Vortrefflichkeit der Geschlechter auf der moralischen und physischen Thatkraft beruht, so läßt sich auch nicht leugnen, daß sich dieselbe bei allen Familien vermindert, welche aufhören sich in Arbeit, in Muth und in Leiden zu üben. Dieser Satz kann gewiß nicht ohne Ausnahme gelten und man kann hinzufügen, daß ein Uebermaß von Arbeit und Leid die Organisation eben so entkräftet wie ein Uebermaß von Weichlichkeit und Unthätigkeit. Aber im Allgemeinen ist es gewiß, daß das Leben aus den untern Schichten der Gesellschaft hervorströmt und sich um so mehr verliert, je mehr es sich dem Gipfel nähert, wie das auch bei dem Safte der Pflanzen der Fall ist.
Meine Mutter gehörte nicht zu jenen kühnen Intriguantinnen, deren geheimes Verlangen ist, gegen die Vorurtheile ihrer Zeit zu kämpfen und die sich zu erhöhen glauben, wenn sie sich an die falsche Größe der Welt anklammern, auf die Gefahr hin tausendmal zurückgewiesen zu werden. Sie war viel zu stolz, um sich nur einer kalten Begegnung auszusetzen; ihre Haltung war so zurückhaltend, daß sie schüchtern zu sein schien — aber wenn man sie durch herablassende Mienen zu ermuthigen suchte, wurde sie mehr als zurückhaltend, wurde sie kalt und schweigsam.
Ihr Benehmen gegen Personen, die ihr eine gegründete Achtung einflößten, war ausgezeichnet, das heißt sie war zuvorkommend und liebenswürdig; aber von Natur war sie lustig, neckisch, rührig und vor Allem dem Zwange feind. Große Diners, lange Abendgesellschaften, gewöhnliche Besuche, Bälle sogar waren ihr verhaßt. Sie war für die Häuslichkeit geschaffen, oder für einen raschen, heitern Spaziergang. Aber im Hause und bei ihren Streifereien bedurfte sie der Vertraulichkeit, der Unbefangenheit, eines vollständig zwanglosen Umganges und der gänzlichen Freiheit in ihren Gewohnheiten und im Gebrauch ihrer Zeit. Sie lebte daher immer zurückgezogen und ließ es sich viel angelegener sein, genante Bekanntschaften zu СКАЧАТЬ