MPU Protokolle. Helge Hanerth
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Название: MPU Protokolle

Автор: Helge Hanerth

Издательство: Bookwire

Жанр: Сделай Сам

Серия:

isbn: 9783847609162

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СКАЧАТЬ bildet mit Kontrolle. Reflektion und philosophische Redundanz sind die Basis für autonomes Handeln. Nur wenn sie gegeben sind, fühle ich mich sicher und souverän. Deswegen lasse ich mich nicht auf ein Abenteuer ein, dessen Ausgang ungewiss ist. Ich schließe ungerne eine Tür hinter mir, wenn ich nicht weiß, was mich erwartet. Beim Surfen in der Brandung oder beim Fallschirmspringen beispielsweise, gibt es deswegen klare Grenzen. Aber gerade beim Gleitschirmfliegen wo ich weniger Erfahrung habe, sehe ich mich deswegen als bekennenden Sonntagsflieger, der natürlich nur bei Schönwetter fliegt.“

      Ich erzählte weiter, dass Kontrolle mir Freiheit gebe. Wenn die sich gehen lässt, läuft sie Gefahr sich in Freiheit zu verlieren und trotz maximaler Freiheit sich auf die eine Freiheit, zum Beispiel sich zu betrinken, zu reduzieren. Friedrich Nietzsche hat das bestätigt mit seinem Zitat, dass erst das bewusste Beschränken der Freiheit, also ihre Kontrolle den Blick freihält für die Freiheit neben der Freiheit (Vgl. Nietzsche, Friedrich: „Sämtliche Werke“, hrsg. v. G. Colli und M. Montinari, Berlin 1980).

      Mit solchen Erkenntnissen schaffe ich durch Kontrolle die Sicherheit, die ich im Leben brauche. Das tue ich schon von Kindheit an. Als Kind half mir Kontrolle Fehler zu vermeiden und Leistungen zu optimieren. Zur katholischen Fastenzeit vor Ostern half mir Kontrolle die Erwartungen der Erwachsenen zu erfüllen. Natürlich verweigerte ich vier Wochen lang sämtliche Süßigkeiten. Das musste niemand überwachen. Ich hatte geradezu Spaß an Kontrolle und somit eher ein Problem damit aufzuhören. Ich fühlte Macht in mir, wenn ich Kontrolle hatte.

      Kontrolle ist bei mir ein mächtiges Instrument, mich vor selbstverschuldeter Unmündigkeit zu schützen. Ich genieße es. Ich genieße diese Kraft, die einen mentalen Ursprung hat. Ihr fehlt etwas das Körperliche. Das geht aber in Ordnung. Als Teenager mochte ich keinen Sex. Meine leidenschaftlichen Gefühle machten mir Angst. So bin ich tatsächlich bei einer ersten Möglichkeit auf Sex aus dem Zimmer einer Freundin geradezu geflüchtet. Danach habe ich auf Jahre meine Enthaltsamkeit fortgesetzt. Mit Leistungssport gelang es mir gut, Leidenschaft, die mein Hirn und meine Kontrolle auszuschalten drohten, zu bändigen.

      Das besondere an der Leidenschaft im Sport ist, das sie andere Farben hat. Sie macht wach und aufmerksam. Man ist ganz besonders konzentriert. Ich kann dann leichter knifflige Aufgaben lösen. Heute ist Sex für mich okay. Es ist mir eine Routine geworden. Routinen geben in ihren Wiederholungen Kontrolle. Wenn die sichergestellt ist, darf es auch wieder kleine Ausbrüche von Leidenschaft geben. Das wirkt sich auch auf mein Trinkverhalten aus. Auch deswegen kann ich nicht so einfach weitertrinken, wenn ich den gewohnten Pegel erreicht habe.“

      Ich erzählte nochmals von meiner Panik vor Kontrollverlust bei meiner Trunkenheitsfahrt. Das Ereignis war mir gerade deswegen zum Trauma geworden, weil die Kontrolle entglitt. Das Außergewöhnliche an der Situation war, das sie sich von anderen Situationen, in denen ich Angst gehabt hatte, unterschied. Beim Bergwandern in schwierigen, stark ausgesetzten Klettersteigen hatte mich Angst nie gelähmt. Sie hat mich stattdessen hellwach und aufmerksam gemacht. Sie hat mich noch vorsichtiger agieren lassen. Sie generierte sogar eine Art Befriedigung als Risikomanager fungieren zu können. In der Panik der Trunkenheitsfahrt aber merkte ich, wie in mir etwas anderes die Regie übernehmen wollte. Der Verstand gab seine Autonomie an eine andere Institution ab. Die Entscheidung vielleicht weiterzufahren, konnte ich nicht mehr treffen, weil der Verstand nicht die Entscheidungsgewalt hatte. Die Panik hatte das Sagen und die sagte Nein. Das machte mich ja so wütend gegenüber Vorwürfen, ich hätte in berechnender Absicht das Ziel verfolgt, betrunken nach Hause zu fahren. Da wurde, vielleicht unwissend, unterstellt, was nicht möglich war.

      „Wie empfinden sie Abstinenz?“

      Ich musste lange überlegen. „Ich verbinde mit meiner praktizierten Abstinenz kein Gefühl. Sie ist eher passiv. Ich bin einfach mit meinem aktiven Leben so beschäftigt, dass ich an anderes nicht denken mag. Es ist wieder alles so wie vorher. Mein Leben ist so, wie fast mein ganzes Leben immer war. Seit frühester Kindheit ist mein Leben geprägt durch so viele ansteckende Aktivitäten. Neben dem Musizieren und Leistungssport sind da noch das Entwickeln meiner Fotos, früher im eigenen Labor und heute am PC, Fernreisen mit dem Rucksack, das Schreiben und jetzt auch noch Frau und Kind.“

      „Ist das auch so die Reihenfolge? Ich meine das Frau und Kind zuletzt kommen?“

      „Ja“, musste ich eingestehen. Vor allem Sport und Musik bedeuteten mir noch mehr als Frau und Sohn. Nichts anderes lässt mich so sehr mich erleben. Musik und Sport sind transzendal. Ich freue mich sehr gerade mit dem wiedergewonnenen Sport mein Leben wieder vollständig zu haben. Andererseits hatte ich das während meiner feierabendlichen Trinkphase auch immer erwartet, dass das wieder so wird. Ich konnte mir das Trinken nur erlauben, weil ich wusste, dass ist rein temporär. Ich wusste, dass mein Leben stark deterministisch geprägt ist. Das gibt doch den Rahmen vor. Fast alles, was ich heute noch tue, ist eine Fortsetzung der Ideen und Träume, die ich als Kind und Jugendlicher entwickelt habe. Da drin gab es keinen Alkohol. Das Trinken konnte deshalb nur ein Intermezzo sein. Natürlich beeinflusst mich auch mal was Neues, schließlich lebe ich nicht isoliert in dieser Welt. Aber meine Interaktionen fördern nur wenig grundlegend Neues. Meist sind es Variationen alter Leidenschaften aus der Kindheit. Ich bin Naturwissenschaftler geworden weil, ich als Kind Fossilien aus dem Kalkstein gehauen habe und im Wald Tiere beobachtet habe mit meinem Spektiv. Meine berufliche Tätigkeit ist auf dem ersten Blick primär betriebswirtschaftlich ausgerichtet, ihr liegen aber biochemische Produkte und Anwendungen zu Grunde. So ist mein Beruf letztlich eine Variation eines in der Kindheit generierten naturwissenschaftlichen Interesses. Selbst meinen Kindheitstraum vom Fliegen lebe ich beim Drachen- und Gleitschirmfliegen noch heute aus. Auch das Salsa tanzen ist nur eine neue Variante meiner alten Leidenschaft für Musikmachen. In dieser Kontinuität gebahnter, neuronaler Prädispositionen ist Abstinenz so irrelevant, weil sie automatisch da ist. Ich muss nicht an ihr arbeiten.

      „Woher haben sie das neurobiologische Vokabular?“

      „Das war Teil meines molekularbiologischen Schwerpunkts und ist noch Hintergrundwissen für spezielle Fragen der Pharmakologie in meinem Job.“

      „Das ist sehr spannend, aber uns bleibt keine Zeit mehr das zu vertiefen. Mein Gott ist das spät. Ein Glück, dass niemand mehr nach Ihnen kommt. Wir können das jetzt leider nicht weiter ausführen. Für weitere Fragen bleibt keine Zeit. Ich breche hier mal ab. Im Prinzip sind wir ja durch.“

      Ich sah wie die Gutachterin am PC durch ihre Mitschrift blätterte. Suchte sie doch noch nach weiteren Fragen? Mein Blick auf die Uhr bestätigte ihre Vermutung. Ich hatte reichlich überzogen. Sie ging noch schnell einige meiner Aussagen durch, um wie sie meinte, Missverständnisse auszuschließen.

      „Wir sind soweit durch“, sagte sie nach einigen Minuten nochmal und blickte auf. Dann fügte sie an: „Es sind noch weitere Überlegungen anzustellen, aber wahrscheinlich wird das Ergebnis meiner Untersuchung negativ ausfallen.“

      Ich reagierte nicht und sie erklärte weiter, dass für eine positive Bewertung der Nachweis einer Abstinenz über einen Zeitraum von mindestens einem Jahr zwingend erforderlich ist. Außerdem falle es ihr leichter eine positive Haltung einzunehmen, wenn bereits eine Therapie gemacht wurde. Die positive Prognose eines Therapeuten sei immer eine überzeugende Unterstützung bei ihrem Urteil.

      Das war es also. Mit diesem Ende hatte ich nicht gerechnet. Ich konnte also von Anfang an diese MPU nicht schaffen. Es fehlten Voraussetzungen. Ich hatte kein Ergebnis einer Therapie vorliegen und konnte auch nicht ein ganzes Jahr Abstinenz dokumentieren. Dabei hatte ich die ganze Zeit das Gefühl, ich hatte alle Fragen zufriedenstellend beantwortet. Das schien wohl nicht genug zu sein. Wieso hatte sie das nicht gleich am Anfang gesagt? Wieso hatten wir uns auf diese Untersuchung eingelassen, wenn etwas von Anfang an fehlte. Warum hatte sie die Untersuchung durchgeführt, wenn nichts dabei rauskommen konnte? Wenn es nichts nützte, mich aufs Persönlichste zu erklären, dann will ich das auch nicht tun. Schließlich СКАЧАТЬ