Название: MPU Protokolle
Автор: Helge Hanerth
Издательство: Bookwire
Жанр: Сделай Сам
isbn: 9783847609162
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Alkohol spielte erst wieder bei der Marine eine Rolle. Während meines ersten Bordkommandos auf einem Minensuchboot wurde der langjährige Kommandant wegen seiner Gelbsucht vom Borddienst befreit. Ursache sei eben die <Seemannskrankheit> gewesen. Dass gehöre zu einem Seefahrerleben dazu wie der Tripper, war seine offene Überzeugung. Einige Wochen zuvor hatte er noch mit einigen Mitstreitern eine Löschschaumschlacht mit der Wache des gegenüber an der Schwimmpier festgemachten Bootes gemacht. Danach musste der Verlierer einen Kasten Bier springen lassen, der sogleich gemeinschaftlich getrunken wurde, um den Waffenstillstand gebührend zu feiern.
War ich hier noch unbeteiligter Zuschauer, so konnte ich mich bei meinem zweiten Bordkommando dem Zwang der Decksgemeinschaft nicht ganz entziehen. Auf der Fregatte traf ich auf Kameraden, die mit ganzer Kraft genau die Vorurteile bestätigten, die ich in der Schule mit trinkenden Mitschülern gemacht hatte. Sie waren eine Horde sich unheimlich stark fühlenden Besserwisser, die Andersdenkende nicht nur nicht tolerieren konnten, sondern gerne gröhlend vorführten und lächerlich machten. Ich habe verhalten mitgetrunken, so zurückhaltend wie möglich. Berauscht war ich nie. Das war wichtig. Unter anderen Umständen wäre ich vielleicht neugierig geworden, wie sich das anfühlte. In dieser Situation musste ich aber absolut die Kontrolle behalten. Die Angst vor gewalttätigen Eskalationen lag immer in der Luft, und die waren schließlich in der Mehrheit. Mein Widerwille gegen die Typen wuchs, wenn wir auf See waren. Mit zollfrei erstandenem Whisky aus dem Bordladen feierten sie und erzählten dann wilde Heldengeschichten von ihren Großvätern in der Wehrmacht. Ein falscher Kommentar meinerseits in dieser Runde, führte zwangsläufig zu einer höchst willkommenen Keilerei.
Die hier gemachten Erfahrungen waren so einschneidend, dass ich den Rest meines Lebens Alkohol in Gesellschaft meide. Ich lernte so aber auch die Vorteile zu schätzen, wenn man bei zurückhaltendem Genuss in einer Gruppe die Kontrolle behielt und taktieren konnte. Danach blieb mein Konsum bis auf eine Silvesterfeier über Jahrzehnte nahezu alkoholfrei.
Die Silvesterfeier fand in meiner Unterkunft statt. Der einzige Gast war ich. Bedingt durch meinen Tausch des Wachdienstes, hatte ich nicht wie die Soldaten meiner Einheit über die Feiertage frei.
„Warum trinken Sie allgemein so wenig?“
„Meine <One-Man-Party> war nur kurz lustig. Danach schlief ich schnell ein ein, um mit heftigstem Kater am nächsten Morgen aufzuwachen. Fast wäre mein Plan für eine große Unternehmung an diesem freien Tag geplatzt, weil mich der Kater bis in den Nachmittag lähmte. Die Unternehmung war immerhin der Grund für meinen Wachtausch gewesen. Der Ausgang dieses Alkoholereignisses lieferte keinen Grund zur Wiederholung. Das Thema Alkohol als Spaßmacher war damit abgehakt. Der Alkohol hatte meine Erwartungen nicht nur nicht erfüllt, sondern meine Pläne gefährdet. In meinem weiteren Leben etablierte sich gerade Alkoholfreiheit als ein Qualitätsfaktor für Selbstbestimmung und Unabhängigkeit. Nur alkoholfrei konnte ich meine Pläne und mein Tageswerk verrichten. Nur alkoholfrei konnte ich meine Sinne so beisammen halten, dass ich Ideen und Kreativität entwickeln konnte. Die Kraft der Arbeit war stärker als Alkohol, weil sie sinngebend war. Ich erfüllte durch sie eine Aufgabe an mir selbst und gab Nutzen. Ich machte keine dauerhaften Kompromisse am Sinn. Ich arbeite nicht nur, um den Lebensunterhalt zu verdienen. Deswegen suchte ich auch nach Feierabend noch Herausforderungen, die mir Wahrnehmungstiefe und das befriedigende Gefühl gaben Nutzen zu stiften. Während eines Tages rief ich mir immer wieder mein Tagesprogramm ins Bewusstsein. So behielt der Tag eine Struktur, die ich auch noch permanent optimieren konnte. Mit meinem Handeln gab ich mir Sinn. Das brachte mich gut drauf und machte mich dankbar für jeden Tag. Ich freute mich über das, was ich schon erledigt hatte, prüfte Planänderungen und checkte mein Timing. Wenn ich mehr als die Hälfte meines Tageswerks geschafft hatte, wurde ich bei meinen Planspielen schon mal euphorisch. Wenn die Zielgerade in Sicht kam, wuchs die Lust neue Pläne zu stricken. Nichts war befriedigender, als mit einem Rückblick auf einen erfolgreichen Tag abends möglichst total erschöpft ins Bett zu sinken.“
„Also Alkohol ist Ihnen nicht das Wichtigste?“, kam die nächste Frage.
„Das Wichtigste?“ wiederholte ich ungläubig. „Alkohol ist doch beileibe nicht das Wichtigste. Dafür kann Alkohol zu wenig. Alkohol brauchte Jahrzehnte um wieder eine Chance bei mir zu finden. Und da war er nur Ersatzspieler für andere Leidenschaften, die vorübergehend brachlagen. Der Alkohol sprang ein, um eine betrunkene Zufriedenheit zu schaffen, in der es mir relativ egal wurde, dass wichtige Dinge vorübergehend ungeregelt blieben. Das war doch auch schon so bei meiner Silvesterparty alleine auf der Bundeswehrstube gewesen, wo ich auf diese Weise Langeweile und Einsamkeit für eine Nacht tötete. In jedem Rausch bleibt die Sehnsucht nach einem mehr, das nicht durch mehr Alkohol befriedigt werden kann. Das lässt mich lieber nach Alternativen suchen. Das Surfereignis am Tag nach der Silvesterfeier war so eine Alternative. Wichtige Leidenschaften bieten eben mehr. Deswegen musste Sehnsucht zurückbleiben, wenn ich stattdessen während der Schwangerschaft meiner Frau zum ersten Mal Alkohol täglich trank. Vor allem aber blieb unter Alkoholeinfluss die Sehnsucht nach Bedeutung oder wie es der Wiener Psychologe Viktor Frankl (Frankl, Viktor E.: „… trotzdem Ja zum Leben sagen“, Kiesel Verlag 2009) formuliert hat, die Suche nach einem weitergehenden Sinn unbefriedigt. Dem Alkohol genügt der Moment. Alkohol feiert nur sich selbst. Jede Bedeutung ist aufgeplustert und jeder interessante Gedanke ist einen Moment später wieder vergessen. Am Tag darauf kann man auf nichts Substanzielles mehr zurückgreifen. So wurde mir der größte Nutzen vom Alkohol, dass er mich gut einschlafen ließ. Damit war mein Drang etwas zu unternehmen erst mal aufgelöst und alle Hoffnungen auf Taten einfach nur vertagt.
Stärker als Alkohol war immer ein aktiver Kick. Nur aktive Kicks schaffen das Bewusstsein, das Erkenntnisfähigkeit braucht. Nur sie machen geistige Verliebtheit möglich. Musik zu hören konnte wunderschön sein. Musik zu spielen oder nach Musik zu tanzen war aber eine viel tiefer gehende Erfahrung. Alkohol schaffte es nicht diese Gefühlszustände nachzubilden. Alkohol konnte nicht mal den Genuss der rein vom Band gehörten Musik verbessern, weil mit zunehmender Alkoholwirkung die musikalisch, harmonischen Details verblassten. Alkohol verstärkte nur die allgemeine musikspezifische Stimmung. Ich hatte z.B. kein Gehör mehr für Anschlag und Phrasierung des Pianisten. Bestimmte Hirnbereiche, die dafür sensibilisiert sind, fingen an zu rebellieren. Sie forderten ihr Recht auf einen musikalischen Genuss. Ruhigstellen konnte ich sie nur, in dem ich sie auf Morgen vertröstete, wenn mich Alkohol und Kater verlassen hatten. Erst dann würden wieder nachhaltige Aktivitäten möglich sein, an die man sich gerne zurück erinnerte. Alkohol feierte nur den Moment. Ich konnte mich an kein einziges Erlebnis in meinem Leben erinnern, bei dem Alkohol eine Rolle gespielt hat, das in meinen Erinnerungen angenehm nachwirkte und wenigstens ein nostalgisches Gefühl hinterlassen hat.
Alkohol tötete nach kurzem Höhenflug jede Kreativität. Schon nach etwa einer dreiviertel Stunde wurde das Denken anstrengend. Die Ideen waren weg und mit ihnen jede Muße. Man konnte nur noch passiv genießen.
Solange es noch Restenergie gab, verrichtete ich lieber leichte Tätigkeiten. Dies war der Moment, wo ich entweder meine Reisekostenabrechnung machte, oder das Haus putzte. Solange man nichts Wichtigeres erledigen musste, konnte ich mich mit diesem Procedere vorübergehend abfinden. Ansonsten trieb mich der Ärger über unerledigte Angelegenheiten am nächsten Tag zu masochistischen Handlungen, bei denen ich mir bewies, dass mein Geist und dessen Wille die oberste Instanz in meinem Körper sind. Entschlossenheit und Leidensfähigkeit waren immer wesentlicher Teil meiner Erfolge gewesen. Das kannte ich schon vom Sport nicht anders.“
„Sie haben alkoholisiert geputzt?“, kam eine amüsierte Nachfrage.
„Ja natürlich. Beim Putzen erlebte ich mein Haus. Ich nahm es als Habitat war. Ich befühlte mit dem Putzen was ich bewohnte. Ich entdeckte, dass das was ich hatte, schön war und freute mich gerade beim Putzen hier an diesem Ort zu sein. So gewann die banale Tätigkeit eine Zen-Dimension. Nur das Bürsten der einzelnen Fliesen und das Imprägnieren des Parketts (im ganzen СКАЧАТЬ