Название: MPU Protokolle
Автор: Helge Hanerth
Издательство: Bookwire
Жанр: Сделай Сам
isbn: 9783847609162
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Nach einigen stillen Augenblicken, in denen der Arzt seine Aufzeichnungen nachdenklich betrachtete, fragte er abschließend: „Das waren jetzt sämtliche Angaben?“ Ich antwortete mit einem nachdrücklichen: „Ja“.
„Sie haben viel erzählt. Wir sind zwanzig Minuten über der Zeitvorgabe. Sie haben sehr kurzweilig erzählt, aber genügend Alkoholfakten sind für mich nicht dabei zusammengekommen.“
Entschuldigend sagte ich schnell, dass ich viele Hobbys und wenig Zeit zum rumhängen habe. Aktive Kicks machten einfach mehr Spaß. Die gingen so nah und wirkten lange nach. So fehle mir komplett eine pubertäre Alkoholprägung. Mein Leben wird durch andere Aktivitäten bestimmt. Am durchdringensten geschieht das durch den fast täglichen Leistungssport über Jahrzehnte. Rückblickend war ich von mir selbst überrascht, wie ich das zwischendurch ausgehalten hatte, über ein halbes Jahr die Feierabende mit TV und Alkohol zu verbringen. So etwas mag ich mir nicht zu einer Lebensaufgabe machen.
MPU – der erste Versuch. Die psychologische Exploration
Die abschließende psychologische Begutachtung nennt sich Exploration. Zu dieser Exploration lud mich etwa zwanzig Minuten später die Psychologin in ihr Büro, das dem Sekretariat sehr glich, inklusive dem Kaffeeduft. Es war angenehm wie sie versuchte, eine lockere und entspannte Atmosphäre zu schaffen. Sie fragte, ob ich mir vor Beginn draußen am Automaten nicht noch einen Kaffee ziehen wolle. Ich lehnte dankend ab.
„Ah, dann haben sie also schon Kaffee getrunken.“
Ich verneinte abermals.
„Wie kommt das?“, fragte sie nach.
Ich erklärte, dass ich gar keine Heißgetränke trank, weder Kaffee noch Tee.
„Wie werden sie dann morgens wach?“, wollte sie nun wissen.
Also erzählte ich, dass ich nicht lange schlafen konnte. Morgens trank ich dann immer kalte Frischmilch, wie ich das schon seit Lebzeiten tat. Wenn ich mich morgens beim Frühstück kurzfasste, reichte manchmal noch die Zeit zum Joggen.
„Sie frühstücken bei der Arbeit?“, fragte sie überrascht nach.
Ich verneinte abermals und erklärte, dass ich zwar schon Hunger verspüre, aber meistens siege mein Tatendrang. Wenn ich erstmal in der Arbeit steckte, vergaß ich den Hunger schnell. Sie schloss das <Warm Up> ab mit einem: „Ist ja interessant. Na dann lassen sie uns anfangen.“
Ihre erste Frage lautete: „Welche bei der ärztlichen Untersuchung aufgeführten Trinkereignisse als Teenager müssen wir noch ergänzen? Bei ihnen ist das ja schon lange her. Da gibt es natürlich Erinnerungslücken. Trotzdem ist das hier wichtig. Pubertät ohne Alkohol ist so wahrscheinlich wie ein Jackpot im Lotto. Das ist leicht erklärbar, wenn man bedenkt, dass der Weg zur Adoleszenz durch die Pubertät eine Sturm und Drang Zeit ist. Aktuelle Untersuchungen bestätigen, dass weit über neunzig Prozent der Teenager Erfahrung mit Alkohol haben.“
Ich zeigte mich überrascht und sagte: „Ich habe nicht gedacht, dass das so viele sind. War das auch schon so zu meiner Zeit? So Rituale wie Komatrinken, dachte ich, seien eine neuzeitliche Erscheinung.“
„Es mag da kleine Abweichungen geben“, antwortete sie und schaute mich wieder fragend an. Ich spürte, dass ich hier mit weiteren Trinkmengen eine Erwartungshaltung befriedigen konnte. Der wohlwollende Frageton zeigte mir, dass der Mut zu einem solchen Eingeständnis positiv ausgelegt werden würde. Ich befand mich also wieder in dem gleichen Konflikt wie beim Arzt, als der nach den Trinkgewohnheiten bei der Bundeswehr fragte. Ich zögerte. Ich hatte schon wegen meiner Antworten beim Arzt Bauchschmerzen. Ich hatte weiterhin Zweifel an meinen Angaben, zu denen ich mich ihm gegenüber hatte hinreißen lassen. Dann entschied ich mich, nicht zu <pimpen> (aufzumotzen), auch wenn die Wahrheit viel mehr Überzeugungsarbeit benötigte. Das war in erster Linie keine taktische, sondern eine Gewissensentscheidung. Die Wahrheit durfte nicht wieder auf der Strecke bleiben.
Also holte ich weit aus und begann meine Antwort statt mit zusätzlichen Trinkmengen, mit einem Rückblick auf eine traumhafte, alkoholfreie Kindheit. Die verbrachte ich in der Nähe einer Kleinstadt umgeben von Äckern, Weiden und Wald. Astrid Lindgren hätte unsere Siedlung vielleicht Bullerbü genannt, denn etwa so wie in ihrem Buch der Kinder von Bullerbü, erlebte auch ich meine Kindheit. Ich hatte meinen eigenen Gemüsegarten, half im Spätsommer bei der Obsternte, ging Bauern beim Heumachen zur Hand, tobte durch den Wald, baute Baumhütten, fing Frösche und Molche und spielte mit anderen Rabauken Fußball auf der Straße oder Eishockey im Winter auf einem gefrorenen Fischteich. Hier entschied ich, dass ich später Naturforscher werden wollte und dass ich Expeditionen und Reisen in die Südsee unternehmen würde. Aber vor allem wollte ich später einmal wie die Bussarde, die ich oft im Gras liegend beobachtete, fliegen.
Diese Wünsche und viele andere aus dieser Zeit, sollten später tatsächlich wahr werden. Ich arbeitete kontinuierlich daran. Meine Träume sollten keine Schäume bleiben. Einige Träume bestimmen mein Leben noch heute so sehr, das ihre Umsetzung in Arbeit ist.
Etwa in der siebten Klasse wurde an meiner heilen Welt gekratzt. Vor allem von progressiven Lehrern die mich in die Pubertät zwingen wollten und von Freunden, denen die Pubertät den Kopf verdreht hatte. Ich wollte von all dem nichts wissen. Ich fand die Zeit für etwas Neues war für mich noch nicht reif. Das machte mich in der Schule zum Außenseiter und Streber und in unserer Siedlung zum Eigenbrötler. Während die anderen neuerdings sich mit Mädchen im Jugendzentrum trafen, zimmerte ich eben alleine an Nistkästen für Meisen oder Bilche und baute Dämme in einem Graben, um die Entwässerung einer Feuchtwiese zu verhindern, in der Ringelnattern lebten.
Ich möchte betonen, mich störte nicht was die anderen machten. Manche von den Anderen hatten auch ganz nette Seiten. Es störte mich aber sehr, dass ihre Cliquen und vor allem ihre kraftmeiernden Anführer sich gewaltig an jedem Nonkonformisten aufrieben. Da ich nie einlenkte, sondern aggressiv meine Freiheit verteidigte, wurden die Fronten immer härter. Ich wollte mich nicht an ihr Gehabe und ihre Anschläge gegen mich gewöhnen. Sie waren einfach nur peinlich, ganz besonders wenn Alkohol ins Spiel kam. Ein Zwischenfall nachts im Herbergszimmer der Jungen während einer Klassenfahrt, ärgerte mich so sehr, das ich alle weiteren Ausflüge bis einschließlich der zehnten Klasse boykottierte. Ich fand es so unmöglich, dass die Jungs in ihrem Alkoholrausch überhaupt nicht erreichbar waren. Was ich auch versuchte, wurde mit blödem Kichern beantwortet. Das zog sich über Stunden hin. Mir war keine Gegenwehr möglich und verpfeifen ging natürlich auch nicht. Solche Ereignisse entwickelten eine Aversion in mir gegen diese Schüler und gegen den Alkohol, der sie so machte. In solcher Gemeinschaft mochte ich nicht mittun. Die waren mir zu krass. Die waren doch nicht sie selbst. Jeden Genuss von Alkohol meinerseits hätte ich als Verrat meiner Identität empfunden. Für sie wurde ich so zum <Unberührbaren>. Mir wurde es egal, denn schließlich hatte ich mich und das was ich wollte. Ich war zufrieden und ganz im Reinen mit mir, gerade ohne pubertäre Bedrohung. Verbiegen mussten sich die anderen, wenn sie unbedingt <hipp> sein wollten. Ich wollte von ihrer Welt und von den Attributen ihrer Welt nichts wissen. In dieser Zeit wurde Alkohol für mich zum Symbol für pubertierende Spinner.
Parallel zu diesen Erlebnissen begegnete ich im Sportverein und der Musikschule netten Teenagern, mit denen ich eine gemeinsame Leidenschaft teilte und Alkohol nie eine Rolle spielte. Ich empfand Glück im aktiven Tun um ein Interesse. Sportliche Erfolge verstärkten meinen Ehrgeiz für ein Anliegen zu kämpfen.
Bis СКАЧАТЬ