Автор: Gustav Haders
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: gelbe Buchreihe
isbn: 9783752907704
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Nachdem wir unser Frühstück verzehrt hatten, sagte ich zu Sims, dass ich Lust hätte, an diesem Morgen der verlassenen Missionsstation einen Besuch abzustatten. Sims erklärte, er habe freie Zeit und werde mich begleiten. Er gab Auftrag, zwei Pferde zu satteln. „Die Missionsstation ist nur etliche Meilen südlich von hier gelegen“, sage er, „in einer guten Stunde können wir dort sein.“
Die Pferde waren frisch, die Hitze war erträglich. Unsere Unterhaltung war sehr lebhaft, und ehe wir uns dessen versahen, waren wir bei der Missionsstation angelangt. Eine schmucke, aus weißem Sandstein aufgeführte Kapelle mit schlankem Turm, dessen Spitze ein weithin sichtbares vergoldetes Kreuz zierte, ein großes, aus Adobes errichtetes Schulhaus und ein halbes Dutzend Wohnhäuser für Lehrer und Missionare, samt den nötigen Stallungen lagen vor uns. Das ganze Anwesen war mitten in der Wüste erbaut worden. Kein Baum noch Strauch weit und breit, nur Kaktusstauden und niedriges Gestrüpp zwischen den Steinen und Felsblöcken. In weitem Umkreise lagen viele Indianerhütten.
„Also hier in der Wüste, mitten unter den Indianern hatten sich die Missionare niedergelassen?“ fragte ich.
„Die Indianer begannen erst hier ihre Hütten aufzuschlagen, nachdem die Missionare etliche Brunnen gegraben hatten. Die Indianer sind viel zu faul, so etwas zu tun. Das Wasser war ihnen willkommen, und noch heute hohlen sie sich ihren ganzen Wasserbedarf aus den Brunnen der Missionsstation. Sieh dort hinüber. Siehst du die beiden Indianerfrauen dort kommen, die auf ihren Köpfen die hohen Krüge tragen? Sie wollen zu den Brunnen der Missionare, um Wasser zu holen.“
Ich sah die Indianerinnen. Es war ein hübsches Bild, diese in leuchtenden Farben gekleideten Frauengestalten durch die so farblose Wüste dahingehen zu sehen.
Jetzt waren die beiden Frauen am Brunnen angelangt und lösten den Eimer, um ihn in die Tiefe hinabzulassen. Ich musste an die Samariterin am Jakobsbrunnen denken und an den Heiland, der am Brunnen saß, als die Frau kam, um Wasser zu schöpfen. Ich konnte es mir nicht anders denken, als dass zu der Zeit, da die Missionare hier noch weilten, diese sich zu den Frauen gesellten, wenn sie zum Brunnen kamen. Aus diesem Gedanken heraus sagte ich zu Sims: „Es sitzt niemand mehr da und kommt auch niemand zu den Frauen, der ihnen lebendiges Wasser des Lebens anböte und reichte.“ Sims verstand mich und antwortete: „Nein, nicht mehr, die Zeiten sind vorüber.“
„Seit wie lange sind die Missionare und Lehrer fort?“ fragte ich.
„Es ist schon reichlich ein Jahr verflossen, seit der letzte Gottesdienst hier gehalten wurde.“
„Und niemand wohnt hier und bewacht das Eigentum?“
„Nein, niemand!“ sagte Sims und setzte hinzu: „Warum fragst du danach?“
„Ich sehe lauter unzerbrochene Fensterscheiben in den Häusern. In meinem zivilisierten Osten wären sicherlich alle die Fensterscheiben zu Zielscheiben für Steinwürfe geworden und bis auf die letzte von bösen Buben zertrümmert worden. Es wundert mich, dass dies hier nicht geschehen ist, wo doch nur Indianer wohnen, ‚Wilde‘, wie man sie zu nennen pflegt.“
„Mich wundert das gar nicht!“ sagte Sims. Wären diese Gebäude Eigentum der Regierung, alle Fenster und Türen wären zertrümmert worden. Die Indianer hassen uns. Aber die Missionare hatten die Zuneigung und das Vertrauen der Indianer. Ihnen würden sie so etwas nicht zu leide tun. Sie hoffen auch, dass die Männer und Frauen eines Tages zu ihnen zurückkommen. Möchtest du in die Gebäude eintreten? Ich habe die Schlüssel mitgebracht. Sie wurden mir zur Aufbewahrung übergeben.“
„Ja gern!“ sagte ich, uns so stiegen wir von unseren Pferden, banden dieselben an einen Zaunpfosten und näherten uns einem der Gebäude.
„In diesem Hause wohnte der Missionar, der als letzter die Missionsstation verließ!“ sagte Sims und schloss die Tür auf. Wir traten ein. Alles war in schönster Ordnung. Das Haus war möbliert. Die Möbel waren, wie Sims erklärte, zumeist Geschenke von Frauenvereinen und Eigentum der Synode.
Wir gingen durch mehrere Räume und gelangten zuletzt in das Arbeitszimmer des Missionars. Die Möbel stammten nicht aus einer Fabrik, sondern waren augenscheinlich von dem Missionar eigenhändig hergestellt worden: ein großer Schreibtisch, etliche Stühle und Bänke und Bücherregale. Ich näherte mich dem Schreibtisch. Dieser war nach der alten Mode gemacht, die Tischplatte war zugleich Deckel eines darunter sich befindenden Kastens, der Zur Aufnahme vom Schreibmaterialien, Heften, Schriftstücken und dergleichen diente. Ich schaute auf die Tischplatte und sah, dass in dieselbe zwei Reihen griechischer Worte eingeschnitzt waren. Das Schnitzwerk war eine sehr sorgfältige und saubere Arbeit. Ich nahm meine Gläser aus der Tasche, setzte sie auf und las:
Ὦ ξεῖν’, ἀγγέλλειν Λακεδαιμονίοις ὅτι τῇδε κείμεθα τοῖς κείνων ῥήμασι πειθόμενοι.
Ich hatte laut gelesen.
„Sind dir die Worte bekannt? fragte Sims.
„Nein“, sagte dieser, ich kann mich nicht erinnern, diese Worte je gehört zu haben.“
Ich wiederholte die Worte in deutscher Sprache: „Fremdling, meld‘ es zu Sparta, dass seinen Gesetzen gehorsam wir erschlagen hier liegen… Es ist die Grabschrift, die die Spartaner dem Lionidas und seinen 300 Getreuen auf das Löwendenkmal in den Thermopylen setzten.
Es ist dies nach meiner Meinung eine der sinnreichsten und vielsagendsten Gedenkschriften, die je in Stein gemeißelt wurden.“
„Ich verstehe das Wort nicht so recht!“ sagte Sims. Ich kann wenigstens nichts besonders Schönes in ihm entdecken.“
„Das Schöne liegt in dem Wort ‚Fremdling‘“, sagte ich. „Der Spartanerkönig Leonidas war im Jahre 480 vor Christi Geburt von seinem Volke mit 300 Spartanern nach den Thermopylen gesandt worden, um diesen Engpass, die Eingangspforte zu Griechenland, gegen die herannahenden Perser zu verteidigen. Sie konnten den Befehl nicht ausrichten, denn der Feind war ihnen an Zahl weit überlegen, aber sie hielten aus und kämpften, bis der letzte Mann gefallen war. Niemand blieb übrig, um Kunde nach Sparta zu bringen. Die Toten müssen den vorüberziehenden Fremdling bitten, das, was geschehen war, in Sparta zu melden.“
„Was mag die alte heidnische Grabschrift hier auf dem Schreibtisch in der Studierstube eines christlichen Missionars zu bedeuten haben?“ fragte Sims.
„Ich weiß nicht“, entgegnete ich, „die Frage bewegt auch mich. Du, der du den Mann gekannt hast, solltest leichter eine Erklärung finden und Antwort auf die Frage geben können als ich.“
Sims suchte zwischen den mitgebrachten Schlüsseln.
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