Название: Walther Rathenau - Leben und Werk - Band 126 in der gelben Reihe bei Jürgen Ruiszkowski
Автор: Harry Kessler
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: gelbe Buchreihe
isbn: 9783752916416
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Darauf beruhte wohl auch seine Beziehung zum Kaiser.
Wilhelm II – 1902
Abgesehen davon, dass beide viele verwandte Züge hatten – denn auch der Kaiser war ein „Furchtmensch“, mit dem Grundtrieb, seine Schwäche durch „Führung“ zu maskieren – eröffnet Rathenaus Schrift „Der Kaiser“ einen Einblick in die Art, wie er sich in den Monarchen einfühlte und kritische Bedenken in Mitgefühl weich bettete. Von 1901 an hat Rathenau den Kaiser „durchschnittlich ein bis zweimal im Jahr“ gesehen, „manchmal freilich einige Stunden lang“. „Das erste Mal sollte ich vor ihm einen wissenschaftlichen Vortrag wiederholen, den ich zuvor in einem größeren Kreise gehalten hatte, und der mir daher geläufig war. Der Kaiser saß dicht vor mir, ich konnte ihn genau betrachten.
Wie anders als ich ihn erwartet hatte. Ich kannte die schneidigen Jugendbilder mit breiten Backen, gesträubtem Schnurrbart, drohenden Augen; die gefährlichen Telegramme, die kraftstrotzenden Reden und Denksprüche.
Da saß ein jugendlicher Mann in bunter Uniform, mit seltsamen Würdenzeichen, die weißen Hände voll farbiger Ringe, Armbänder an den Handgelenken; zarte Haut, weiches Haar, kleine weiße Zähne. Ein rechter Prinz; auf den Eindruck bedacht, dauernd mit sich selbst kämpfend, seine Natur bezwingend, um ihr Haltung, Kraft, Beherrschung abzugewinnen. Kaum ein unbewusster Moment; unbewusst nur – und hier beginnt das menschlich rührende – der Kampf mit sich selbst; eine ahnungslos gegen sich selbst gerichtete Natur.
Viele haben es mir seither gestanden: Hilfsbedürftige Weichheit, Menschensehnsucht, vergewaltigte Kindlichkeit, die hinter physischer Kraftleistung, Hochspannung, schallender Aktivität fühlbar wurde, hat sie ergriffen und empfinden lassen: Diesen Menschen muss man schützen und mit starkem Arm behüten, vor dem, was er fühlt und nicht weiß, was ihn zum Abgrund zieht.
Ein Freund fragte nach dem Eindruck der Erscheinung und des Gesprächs. Ich sagte: ein Bezauberer und ein Gezeichneter. Eine zerrissene Natur, die den Riss nicht spürt; er geht dem Verhängnis entgegen.“ („Der Kaiser“ S. 26f.)
Rathenau hätte wahrscheinlich damals eine Staatsstellung haben können. Denn als Ergebnis der gesellschaftlichen Diplomatie, die ihm die Türen zur Hofgesellschaft geöffnet und ihn dem Umkreis des Monarchen genähert hatte, galt er als „kommender Mann“, als möglicher Botschafter, vielleicht sogar Minister. Ein sichtbares Hindernis war nur sein Judentum. Warum er dieses Hindernis nicht beseitigte, indem er sich taufen ließ, ist trotz seiner eigenen Erklärungen nicht ganz klar. Religiöse Hemmungen kommen nicht in Frage. Er war von Gesinnung Christ und bekannte sich als solchen, so in der „Streitschrift vom Glauben“: „Vielleicht haben Sie in meinen Schriften gelesen. Dann wissen Sie, dass ich auf dem Boden der Evangelien stehe.“ Der Grund, den er selber vorgab, war, dass es verächtlich wäre, durch einen Gesinnungswechsel einen persönlichen Vorteil zu erkaufen und dem Unrecht, das den Juden angetan würde, Vorschub zu leisten. So in einem Brief an Frau von Hindenburg, geborene Gräfin Münster, die wünschte, dass er Außenminister werde: „Meine wirtschaftliche Tätigkeit befriedigt mich, meine literarische ist mir Lebensbedürfnis, und dazu eine dritte, die politische, zu gesellen, würde nicht nur meine Kräfte, sondern auch meine Neigungen übersteigen. Hätte ich aber die Neigung, auf politisches Gebiet mich zu begeben, so wissen Sie, verehrte gnädige Frau, dass alle äußern Umstände dies verhindern würden. Wenn auch ich und meine Vorfahren nach besten Kräften unserm Lande gedient haben, so bin ich, wie Ihnen bekannt sein dürfte, als Jude Bürger zweiter Klasse. Ich könnte nicht politischer Beamter werden, nicht einmal in Friedenszeiten Leutnant. Durch einen Glaubenswechsel hätte ich mich den Benachteiligungen entziehen können, doch hätte ich hierdurch nach meiner Überzeugung dem von den herrschenden Klassen begangenen Rechtsbruch Vorschub geleistet.“ – Das ist einleuchtend, aber nicht ausreichend. Sicher sprachen gewichtigere Gründe mit: möglicherweise ein Rest von Unsicherheit, die ihn befürchten ließ, in einer großen Staatsstellung bei den Widerständen, denen er begegnen musste, nicht viel durchsetzen zu können; dann auch das Urteil, das er sich über die Persönlichkeit des Kaisers und das preußisch-deutsche Regierungssystem gebildet hatte, weil sie den Versuch, den Staat von oben auf erreichbare und lohnende Ziele hinzulenken, als wenig aussichtsreich erscheinen ließen; am stärksten aber, bewusst oder unbewusst, die Scheu vor einem endgültigen Bruch nicht nur mit der Religion seiner Kindheit, sondern auch mit den neueren, auf eine dogmenlose Mystik ausgehenden Strömungen des Judentums, denen die auf Innerlichkeit gerichtete Seite seines Wesens ganz besonders zuneigte.
So schwankte er am Rande der Macht, halb hoffend, halb verzagend, weil der Anlauf, den er genommen hatte, nie zum Absprung führte. – Um so stärker wurde das Bedürfnis, geistig zu führen. Bald nach seiner Rückkehr aus Bitterfeld hatte er sich Stützpunkte geschaffen im Brennpunkt des geistigen Berlin. Max Liebermann war sein Vetter. Diejenigen literarischen und künstlerischen Kreise, die in einer heftigen, schon über ein Jahrzehnt währenden Fehde mit dem Kaiser gegen den Allerhöchsten Boykott zur Geltung gekommen waren, waren sein täglicher Umgang: Harden, dessen „Zukunft“ auf der Höhe ihres Erfolges stand, Max Reinhardt, der gerade anfing, und schon offiziell verpönt war, Wedekind, der von Misserfolg zu Misserfolg emporstieg, Hoffmannsthal, Dehmel, Gerhart Hauptmann – wenn sie einmal in Berlin auftauchten – die Kreise des „Pan“ und der „Insel“, der beiden Zeitschriften, die die dem Kaiser verhasste „Moderne“ in Deutschland eingeleitet hatten, Alfred Walther Heymel, der später so schmählich von Otto Julius Bierbaum als „Prinz Kuckuck“ verratene und karikierte, dessen Vetter, der Odyssee-Übersetzer Rudolf Alexander Schröder, und der Mitherausgeber des „Pan“ und Kruppdirektor Eduard Bodenhausen, dazu der Kunstkritiker Meier-Graefe, der Architekt Henry Van de Velde, der Maler Edvard Munch, der Schauspieler Moissi und die Schauspielerinnen Eysoldt und Tilla Durieux. Alle diese gehörten zu denen, die oft und gern in Rathenaus kleinen, noch bescheidenen Fünfzimmerwohnung in der Victoriastraße oder im Automobilklub mit ihm zusammensaßen, um seinen Ausführungen zuzuhören, die, auch wenn es sich um Elektrizitätszentralen oder Bankbilanzen handelte, immer wie Märchen aus Tausendundeiner Nacht klangen oder in ein Brillantfeuerwerk ausliefen. Am besten verstand er sich offenbar mit Maximilian Harden, dessen Geist dem seinigen verwandt war. Aber immer blieb er etwas fremd, wie ein Prinz aus Morgenland, der jede allzu intime Annäherung fürchtet. Widerspruch verstimmte ihn; ein Angriff konnte ihn aus der Fassung bringen. Deshalb sprach er am liebsten selbst. Wie er als Kind zwischen sich und seiner Mutter durch Lächeln und Verschlossenheit eine gläserne Mauer zog, so schmiedete er mit den Jahren bewusst Wort für Wort die glänzenden Zauberformeln, die sein Inneres verhüllen und ihm Macht über die Dinge und die Menschen geben sollten; schmerzlich war es ihm, wenn man daran rührte, ärgerlich, wenn der Zugriff so unzart war, dass Gefahr bestand, der reichgewebte Schleier könnte reißen. Denn er konnte oder wollte seine Ansichten nicht mit Gründen verteidigen. Vielleicht war er zu lange einsam gewesen; vielleicht fürchtete er sich vor der in seinem Innern schlummernden jüdischen Rabulistik; vielleicht glaubte er wirklich nicht an die Wirksamkeit von Beweisen. In der „Physiologie der Geschäfte“ hatte er gesagt: „Es ist nicht möglich, einen Menschen СКАЧАТЬ