Название: Walther Rathenau - Leben und Werk - Band 126 in der gelben Reihe bei Jürgen Ruiszkowski
Автор: Harry Kessler
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: gelbe Buchreihe
isbn: 9783752916416
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Die Reihenfolge der Briefe ist nicht mehr festzustellen: die meisten sind undatiert; die hier folgenden stammen aber aus der Zeit von 1906 bis 1911.
* * *
„Ihr schöner, ernster Brief bewegt mich und begleitet mich seit gestern.
In Schreiberhau, auf dem Weg nach Agnetendorf, habe ich in vollkommener Wahrheit Ihnen gesagt, was mich den Menschen problematisch macht, und was selbst die, die mich am meisten lieben, zwingt, mich zu fürchten und zu hassen. Das erste ist, dass ich keinem Menschen ganz gehören kann. Ich bin im Besitz von Mächten, die, gleichviel ob sie mich zum Guten oder zum Bösen führen, ob sie mich im Spiel oder Ernst beherrschen, mein Leben bestimmen. Es kommt mir so vor, als ob ich nichts aus mir heraus willkürlich tun kann, als ob ich geführt werde, sanft, wenn ich mich füge, rau, wenn ich widerstehe.
Verfolge ich mein vergangenes Leben, so finde ich äußere Wahrzeichen nicht außer in meinen Gedanken, die – ich weiß nicht, ob stärker oder schwächer – mir immerhin anders erscheinen als die der andern (die für meinen Blick sich meistens gleichen), und die mir im realen Leben manche seltsame Erfüllung, im geistigen Leben manche neue Lösung gegeben haben. Aber auch meiner Gedanken bin ich in keiner Weise Herr; Sie selbst kennen die verzweifelten Zeiten meines Verlöschens.
Zum zweiten: Es ist wahr, dass mein Empfinden polyphon ist. Die Melodie schwebt klar als Diskant über den Stimmen, aber sie ist fast niemals unbegleitet. Und im Bass, im Tenor, da rollen andere Klänge, zuweilen sich fügend, zuweilen im reinen Gegensinn des Gesanges. Ich kenne unvergleichlich Größere, ja Große, denen ich das gleiche Spiel aus jedem Wort und Gedanken nachfühle: Hierin finde ich mich nicht vereinsamt. Ja, zuweilen will es scheinen, als sei es gerade diese Kraft oder Schwäche, die einer Muschel gleicht, die das ganze Brausen der Welt, verloren zwar, wiedertönen lässt. Indessen das reine Schalmeienspiel einer einfacheren Empfindung mir einförmig, lieblich und etwas flau erscheint.
Deshalb nun werden die Menschen an mir irre, weil sie aus diesem Stimmengewirr keine Melodie erkennen. Aber ich erkenne sie und weiß, dass sie da ist, und dass sie alles leitet.
Der Beweis aber ist der: wenn alles trügt, so trügt das Leben nicht. Betrachten Sie mein Leben. Kennen Sie ein anderes, ernsteres, entsagenderes? Und das liegt wohl nicht an Unempfindlichkeit und Stumpfheit. Es liegt auch nicht an irgendetwas, das ich will. Denn ich will nichts. So sehr ich mein Inneres zerquält habe, ich habe nie Weltliches gefunden, das ich will. Ich will, was ich muss, sonst nichts. Und was ich muss, das sehe ich wie ein nächtlicher Wanderer mit der Laterne nur wenige Schritte voraus. Dass dieses mein Leben ein Opfer ist, das gutwillig und freudig den Mächten gebracht wird, nicht um Lohn noch um Hoffnung, das darf ich sagen und das wissen Sie selbst; dass mir die Liebe der Menschen dabei zerbrochen ist, das weiß ich und empfinde es hart.
Wenn ich nun gesagt habe, dass Ihr Leben ein Spiel ist, so meint das nicht, es sei frivol, sondern vielmehr, es sei kein Opfer. Sie sind um Ihrer Schönheit und Ihres Griechentums willen geschaffen worden, und meinem Nordseegeblüt konnte nur dies eine Licht geschenkt werden und kein anderes.
Bleiben Sie, was Sie sind, und bleiben Sie mir, was Sie mir sind. Adieu, ich verreise heute nach Köln. Leben Sie wohl!
Ihr W.“
* * *
Was wollen Sie denn eigentlich von mir? Mit der Natur, mit meinem Gott und mit mir stehe ich ganz gut, das wissen Sie. Auch Sie haben mich manchmal ganz gern und verwöhnen mich ab und zu. Was soll's denn da noch weiter? Was hab' ich da mit den Menschen zu schaffen? Soll ich Ihnen eine Fensterscheibe in meinen Brustkasten setzen, damit Sie mir hinterher für die „Anregung“ quittieren? Oder soll ich ein paar Jahre meines Lebens daran setzen, um mir ein Etikett zu beschaffen, damit man mich nicht geradeweg als einen Hanswurst ansieht?
Mit zwei Sachen tun Sie mir unrecht. Selbstüberschätzung! Ich kenne meine Grenzen sehr genau und habe sie immer respektiert. Aber Sie kennen sie nicht, denn einen Menschen erschöpft man nicht im Gespräch. Und abhängig sind Sie trotz allem von dem etablierten Urteil: „geistreich, fein und kalt“. Gleichviel.
Aber dass Sie, Sie mir gerade Kälte und Empfindungslosigkeit vorwerfen, das empört mich. Das tut Ihr Egoismus, der über alle Reflexionen hinausgeht.
Gottlob. Jetzt dürfen Sie zanken, was Sie wollen. Denn schließlich lass' ich mich doch lieber von Ihnen schelten, als von anderen loben.
Herzlichst der Ihre W. 29. Juli 1906.
Wir haben jetzt den dritten dieser verspäteten Sommertage, wolkenlos und von einer kühlen Wärme; ein Sommer ist ungenossen vorübergegangen. Ihr Brief hat mich sehr traurig gemacht; ich las ihn morgens früh und seitdem sind diese leeren Tage noch wesenloser.
Auch die vier Lieder, die Sie für mich niederschrieben, sind bedrückend traurig. Aber sie sind schön, zart und weich wie alles Gute in der Kunst empfindender Juden, sie erinnern mich an Ihre Brüder, zumal an Robert. Vor solchen milden und warmen Gebilden komme ich mir vor wie ein wüster Urzeitmensch, dessen Hände zerreißen und zerbrechen, nicht fügen und flechten. Nur in sichtbaren Dingen gelingt mir vielleicht das feinere: Ich habe alle diese Abende mit Stift und Papier gebaut und sechs Entwürfe für das Haus gemacht, die mir gefallen. Ich will noch drei oder vier andere machen und Ihnen das Ganze zeigen. Aber dies ganze Schaffen kommt mir unbefriedigend vor, es ist zu leicht und ohne tiefere Verantwortung, fast Frauenarbeit.
Ich weiß, dass Sie leiden und quäle mich, und möchte Ihnen etwas Liebes und Tröstliches sagen und kann es nicht. Nun werden Sie an Kälte und Herzlosigkeit denken, das ist es beides nicht. Hier leiden wir beide an dieser jahrelangen Gebundenheit, die sich nur frei träumen kann im Spiel. Und wenn ich nochmal Voraussetzungen und treibende Kräfte prüfe, so war es auf andere Art unmöglich. Hier liegen Unfreiheit und Widersinn beisammen, und wenn wir hier und da vor einander erschrecken, so ist es, weil wir uns eben nur planetenhaft anblitzen und Bahn und Umlauf unharmonisch bleibt. Das andere, kleinere, liegt in den Naturen, die sich nicht fügen wollen.
So scheint es mir jetzt; aber ich will hierüber nicht mehr schreiben, so unklar es klingen mag, weder jetzt noch später.
Leben Sie wohl, sagen Sie mir, dass es Ihnen besser geht. Wenn Sie in dem, was ich Ihnen geschrieben habe, kalte Analyse sehen, so habe ich keine Hoffnung, mich verständlich zu machen. Lesen Sie es in Ruhe; Sie müssen mich verstehen.
Von Herzen der Ihre W.
Ich habe noch eine Stunde zu arbeiten versucht und wollte eben zu Bett gehen. Ich komme im Esszimmer an dem großen schwarzen Schrank vorbei und betrachte noch einen Augenblick den schönen Tannenzweig mit den sieben Zapfen, den Sie mir geschenkt haben. Nun denken Sie: ein wahrhaftiges Wunder! Der Zweig blüht! Allenthalben brechen aus den Nadelblättern die spitzen hellen Blüten hervor. Gute Nacht! Dies wollte ich Ihnen noch erzählen.
W.
Was fällt Ihnen nur ein, dass Sie sich verkleinern und von mir reden als könnte ich Ihnen etwas geben, da Sie so viel reicher und lichtvoller sind? Mein ganzer Wert ist, dass ich Sie liebe, mit dem, dass Sie meiner sicher sind. Es ist mir zumut, als hätte ich nie durch Sie gelitten und könnte nie durch Sie leiden, sondern nur durch mein Herz СКАЧАТЬ