Walther Rathenau - Leben und Werk - Band 126 in der gelben Reihe bei Jürgen Ruiszkowski. Harry Kessler
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СКАЧАТЬ in seinem Innern als ausgefochten ansähe. Der Geist mit seinem Glanz und Elend, mit seiner Sklavenseele, bleibt, wie in unserer Zivilisation, so auch in ihm der mächtigste von allen Antrieben, gegen den die Eigenschaften, die, wie er sich ausdrückt, den „Adel der Seele ausmachen“, bestenfalls ständig rebellieren können.

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      Freundschaften

       Freundschaften

       Rathenau war von Natur leidenschaftlich und, wie aus seiner künstlerischen Veranlagung und Sehnsucht nach Schönheit zu folgern ist, sinnlich. Aber in der ungeheuren Vielstimmigkeit seines Wesens war die Sinnlichkeit mit allen von ihr abgeleiteten Regungen nie mehr als eine von den vielen Stimmen, die gleichzeitig in ihm tönten. Vor allem nie so stark, dass sie seine mächtigsten Triebe, sein Selbstgefühl, seinen Hang zur Verschlossenheit, seinen Widerwillen gegen jede Form der Abhängigkeit, seinen wie eine Naturkraft in ihm wirkenden Verstand, zum Schweigen bringen konnte. Man findet daher in seinen Schriften und Briefen viel Sehnsucht nach Hingegebenheit, nach Freundschaft, nach Versunkenheit in der Liebe, viel zarte Einfühlung in die Regungen liebender oder verehrender Herzen, wie schon in seiner frühen Dichtung „Blanche Trocard“, aber kein Zeugnis für irgendeinen Augenblick, wo alle vielen Stimmen seines Wesens vor dem einen reinen Ton der Liebe geschwiegen hätten. Wenn das Liebesmotiv als süßes Flötensolo anheben soll, geigt irgendwo der Paganini des Verstandes wie toll weiter; und man ahnt, wie verzweifelt, wie erfolglos der Kapellmeister abklopft, um Ruhe für sein Flötensolo herzustellen. In den Briefen, deren Worte der Leidenschaft am nächsten kommen, verrät immer zum mindesten die Schrift, die stets geschäftsmäßige, gleiche, etwas floskelhafte, nie und nirgends erregte Schrift, eine Zurückhaltung, die nicht einen Augenblick den Schleier von der Seele ganz lüften will oder kann. Nie geht die Leidenschaft mit Rathenau durch. Nie besiegt die Gier der erotischen Inbesitznahme die Angst vor dem Gefangenwerden in fremdem Netz. Nie täuscht ihm die Sinnenlust die Möglichkeit des Ineinanderschmelzens zweier Seelen vor. „Ich kenne diese Sehnsucht“, schreibt er an Lore Karrenbrock, „und fühle sie Ihnen nach, und weiß doch, wie vergeblich sie ist. Vereinigung gibt es nur im Bereich der Sinne, und da ist sie flüchtige Täuschung. Die Seelen aber stürzen hintereinander her wie die bewegten Sterne und können doch ihre Bahn nicht verlassen und begegnen sich nicht.“ (Brief 645.)

       Er konnte manchmal sehr unbedeutende Menschen seiner Freundschaft für wert halten; dann mussten sie allerdings blond sein, mit einem Siegfried-Typus, der seiner romantischen Bewunderung für die nordische Rasse einen Gegenstand bot. Ja, wenn sie beschränkt waren, dann verstärkte das in seinen Augen ihre Ähnlichkeit mit dem nordischen Ideal-Typus. In solchen Freundschaften zeigt sich bei ihm manchmal fast bis zur Karikatur, wie eigenartig aus Erotik und Theorie sein Gefühlsleben gemischt war. Und auch dem Dämonischen gegenüber versagte deshalb seine Einfühlung, ja sogar manchmal seine Vorsicht. Der Vergleich mit Lassalle drängt sich auf. Auch bei diesem die Hemmung, die allzu laute Begleitmusik des Verstandes: „Ich bin, wie Ihnen vielleicht nicht entgangen sein wird,“ schreibt Lassalle an Lina Duncker, „nicht ein Mensch wie andere. Ich bin, um mich so auszudrücken, ein durch und durch theoretisches Wesen. Ich lebe mit dem Geiste, ich kann nur gleichgestimmte Wesen lieben. Beeinträchtigen, zerstören Sie meine theoretische Schätzung Ihres Geistes und besonders Ihres Charakters, und meine Liebe ist verflogen, unaufhaltsam und unwiederbringlich.“ Aber Lassalle ist primitiver, roher als Walther Rathenau; in einem gewissen Augenblick bezwang seine Sinnlichkeit doch seinen Verstand: da entführte er Helene von Dönniges. Rathenau kommt über das Hindernis nie fort; er bringt es nur bis zur Sehnsucht. „Ich kenne diese Sehnsucht“: die Sehnsucht nach dem Gefühl der vollen Hingabe, die seine Kompliziertheit ihm nie gestattete. Er begreift, sozusagen als Dichter, die volle Hingabe, fühlt sich in sie ein, besitzt für sie auch den Ausdruck in Worten, kann sie aber hinter den Worten nicht rein aufbauen. Diese Hemmung macht seine Erotik in den Augen anderer geheimnisvoll und problematisch, enttäuscht die, die nach seinen Worten volle Hingabe erwartet hatten, und gibt ihm selbst das Gefühl der Vereinsamung, weil die Brücke, die er zwischen sich und andere durch Hingabe bauen möchte, nie ganz das andere Ufer erreicht.

       Eine opferbereite, in die feinsten fremden Regungen sich einfühlende und sie zart streichelnde Freundschaft scheint daher auch Frauen gegenüber das stärkste Gefühl gewesen zu sein, das seine Natur ihm gestattete; ein Gefühl, das er fast in gleicher Wärme Männern wie Frauen entgegenbringen konnte. In den veröffentlichten Briefen an Wilm Schwaner, Ernst Norlind, Constantin Brunner kommen Stellen vor, deren Gefühlston nicht weniger stark ist als der von Briefen, die fast Liebesbriefe sind, an Frauen. Alles was zu einer solchen Freundschaft führen kann, die für ihn das ihm unzugängliche tiefste erotische Erlebnis ersetzt, ergreift er mit einer inneren Erregung, die manchmal fast den Eindruck der Naivität macht. Dann folgt bald, meist auf beiden Seiten, die Enttäuschung; und die angebahnte Freundschaft erkaltet. Beziehung folgt auf Beziehung, mit Männern und Frauen, mit bedeutenden und unbedeutenden, mit berühmten und unberühmten, mit anspruchsvollen und rührend anspruchslosen, mit naiven und schlauen, meistens nur auf Tage, Wochen, Monate und ohne eine Spur zu hinterlassen, so dass nicht ganz ohne Recht jemand, der das Jahr für Jahr mit ansah, von ihm halb bedauernd, halb spöttisch sagen konnte, er sei „nur ein Don Juan der Freundschaft“. In einem Falle, der Freundschaft mit Harden, ist die Enttäuschung beim andern Teile zum unversöhnlichen Hass bis über den Tod hinaus geworden, in vielen anderen zu einer etwas geringschätzigen Gleichgültigkeit; einige haben sich mit dem abgefunden, was er geben konnte, und seiner Hilfsbereitschaft, seinem Zartgefühl trotz mancher Enttäuschungen eine dauernde Zuneigung entgegengebracht; im ganzen aber hat ihm dieses so eigenartig gehemmte und gestörte Gefühlsleben mehr Feinde als Freunde gemacht und einen Kern von Missvergnügten geschaffen, von dem ausstrahlend Hass gegen ihn in weite Schichten hinausgetragen wurde.

       Diese sozusagen halbseitige Lähmung seines Gefühlslebens durch die Vielseitigkeit seiner Natur erklärt auch seine Einstellung zur Kunst. Er hat ein „Grundgesetz der Ästhetik“ formuliert, und zwar mit den Worten: „Ästhetischer Genuss entsteht, wenn eine verborgene Gesetzmäßigkeit empfunden wird.“ (Ges. Schr., Bd. 4, S. 49.) Diese Formel setzt eine Hemmung des Gefühlslebens als selbstverständlich schon voraus; denn Gesetze erkennt man durch den Verstand. Wem die Ahnung einer verborgenen Gesetzmäßigkeit als letzte Wirkung eines Kunstwerkes genügt, nicht bloß als Vorstufe zu seiner Inbesitznahme durch alle Seelenkräfte, der bleibt an der Schwelle stehen; – wie in der Erotik derjenige, welcher die Liebe nur als Einkleidung der Fortpflanzung empfindet, und nicht als eine alle Kräfte der Seele in sich einsaugende und überwältigende, in jedem Falle wieder neue und einzigartige Erschütterung zu Zweien. Denn wie die Liebe ist die Kunst in jedem Falle, wo ein Künstler und ein Liebhaber durch das Werk miteinander eins werden, eine solche Erschütterung zu zweien, in der auch beim Liebhaber nicht die bewusste oder unbewusste Tätigkeit seines Verstandes, sondern die Ergriffenheit seiner ganzen Seele durch das Kunstwerk das Wesentliche ist; und diese tiefe Erschütterung entstammt in der Kunst, ebenso wie in der Liebe, nicht dem Geist, sondern der Sinnlichkeit, die allein von ihren primitivsten bis zu ihren verfeinertsten Formen die ganze Seele restlos durchglühen kann. Naturen, denen die Tiefe des erotischen Erlebnisses aus inneren, nicht bloß äußeren Gründen verschlossen ist, sind daher selten Liebhaber großer Kunst. Und auch Rathenau war trotz unzweifelhafter Begabung für Malerei und Architektur – seine Bleistiftskizzen sind nicht die eines Dilettanten – seine Wiederherstellung des Schlösschens Freienwalde und sein Grunewaldhaus, das er selbst entwarf, zeigen einen feinen, wenn auch kühlen Geschmack – auch Rathenau war als Kunstliebhaber durch seine Anlage gehemmt. Er liebte Gilly, Schadow, Schinkel, die anmutige, etwas provinziale, wie zu zarten Eisblumen erfrorene Antike des preußischen Klassizismus, die vom pathetischen Empire sich so rein abhebt. Er hatte Freude an hübschen, übersichtlichen, sauberen Kunstwerken, die nach einem historisch erprobten Stil und leicht durchschaubaren Regeln hergestellt waren. Darüber hinaus versagte sein Kunstgefühl. An seine Freundin schreibt er: „So sehr ich das Gewaltsame in der Kunst oder vielmehr das Gewaltsame, durch Kunst gebändigt, dankbar hinnehme: Gewaltsame, aufgeregte, steile Kunst ist mir nicht gemäß.“ Van Gogh war ihm ein Ärgernis. Unter den Werken, СКАЧАТЬ