Walther Rathenau - Leben und Werk - Band 126 in der gelben Reihe bei Jürgen Ruiszkowski. Harry Kessler
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СКАЧАТЬ Zustimmung erfolgt ist.“

      „Wenn man erwägt, wie oft ein Spaziergang, ein Mittagessen, ein Kopfnicken oder ein Gähnen über das Entstehen und Schicksal großer Unternehmungen entscheidet, so ist es zweifelhaft, ob man über die Stärke oder über die Schwäche der Menschen erstaunen muss.“

      „Ich pfeife auf das, was man die ‚großen Ideen‘ nennt. Sie liegen auf der Straße. Sie kommen zu Dutzenden, dieses Gesindel, wenn wir träumen, wenn wir verdauen, oder wenn wir Erholung suchen. Und das ist ihre rechte Zeit und ihr rechter Ort ... Ich stelle mir vor: ein Industriekönig liest in seiner eigenen Biographie, wie der ‚große Gedanke‘ seines Lebens erklärt, erläutert und gefeiert wird. Wie muss der Ehrliche über die Gläubigkeit der Chronisten lachen! Denn die große Idee war, als er sie aufgriff, eine zehnmal breitgetretene Plattheit, ein Erbstück, ein Gemeingut aller Vernünftigen gewesen: was gefehlt hatte war der Mann, der Wille, der Fleiß, die Ausdauer. Und war Genialität dabei nötig, so war es die Genialität der tausend Mittel, der tausend Auswege und Umwege, der Überzeugungskraft und der Halsstarrigkeit.

      Ich hasse die geistreichen Gedanken und misstraue den brillanten und paradoxen Worten.“

      „Wenn du Menschen findest, die sich mit Erfolg in eine Organisation einfügen, so sind es Germanen oder Angelsachsen. Von allen Rassenüberlegenheiten erscheint mir diese die wichtigste. Juden sind niemals Beamte. Selbst in der unbedeutendsten Stellung sind sie Unternehmer und Geschäftsleute auf eigene Faust.“

      „Ein junger Mann aus guter Familie lobte mir seine Begabung und fragte mich, was er im kaufmännischen Beruf verdienen könne, unter der Bedingung, dass er täglich nur fünf Stunden arbeite. Ich antwortete ihm, dass in Geschäften die Arbeitszeit nur von der siebenten Stunde aufwärts bezahlt werde und veranlasste ihn, in den Staatsdienst zu treten.“

      Entscheidend für die weitere Entwicklung von Rathenaus Ideen sind die Anschauungen, die in den letzten Aphorismen der kleinen Sammlung formuliert sind:

      „Plutokratie. („Reichtumsherrschaft“ – Geldherrschaft – Geldadel) Es gibt nichts Betrübenderes als die Erkenntnis, dass wir der Plutokratie rettungslos verfallen sind. Noch widerstehen ihr drei oder vier germanische Staaten; auf wie lange?“

       „Auflehnung. Ich sehe die Herrscher der kommenden Zeit und ihre Kinder. Hässliche Menschen mit großen Schädeln und stechenden Augen, Menschen, die beständig sitzen, sitzen und zählen, rechnen, beraten. Jedes Wort eine Tatsache, jeder Blick ein Urteil, jeder Gedanke auf das gerichtet, ‚was ist‘. Vielleicht werden sie etwas mehr Kultur als ihre Brüder von heutzutage besitzen, wahrscheinlich weniger Gesundheit. – Und ihre Nachkommen! – Alles hat sich vererbt, nur nicht Geist und Kraft. Ein mattes, nervenschwaches Gesindel, krankhaft, verwöhnt, launisch und willenlos. Eine Drachenbrut, liegen sie auf überkommenen Schätzen, zu faul, sie zu mehren und zu schwach, sie zu erhalten. Und die von ihnen werden die Besten sein und sich den Dank der Besonnenen erwerben, die durch Spiel, Verschwendung und Leidenschaft einen Teil dessen der Welt erstatten, was der Welt gehört. – Unaufhaltsam naht das goldene Gespenst.“

      „Euplutismus. Wenn es nun doch bei der Anhäufung der Schätze fürs erste sein Bewenden haben muss, so gestehe ich, dass das Zepter des Reichtums in den Händen von Männern wie des alten Krupp, Pullmans oder Montefiores mir ungefährlicher scheint, als die Insignien politischer Macht bei legitimen und konstitutionellen Fürsten von der Art Louis Philippes oder Friedrich Wilhelms des Vierten.

      Der erträglichste und deshalb erstrebenswerteste Zustand der Geldherrschaft scheint mir daher erreicht zu sein, wenn die Tüchtigsten, Fähigsten und Gewissenhaftesten auch die Reichsten sind. Ich möchte für diesen Zustand der Kürze halber das Wort Euplutismus gebrauchen. Nach Euplutismus strebt in dunklem und verworrenem Drang der Volkswille und die Gesetzgebung aller Länder. Warum sollte dies Streben nicht endlich einmal ehrlich ausgesprochen und mit geeigneten Mitteln verfolgt werden?

      Nur annähernd wird der Zustand des Euplutismus erreichbar sein. Mit ähnlicher Annäherung vielleicht, wie es uns heute gelingt, die Weisesten zu Volksvertretern, die Tapfersten zu Heerführern, die Gerechtesten zu Richtern und die Edelsten zu Herrschern zu machen. Ist aber das Ziel an sich erstrebenswert, so ergeben sich die Wege von selbst.

       Solcherlei Wege sind: Progressive Einkommensteuer, Hohe Abgaben auf Erbschaften, Mitgiften und Schenkungen, Besteuerung des nichtarbeitenden Vermögens, in erster Linie der fremden Anleihen, Verringerung der zufälligen Monopole durch Verstaatlichungsrechte auf Bergwerke, Verkehrsunternehmungen und städtischen Grund und Boden, Vernichtung der Monopole für Staatslieferungen, Staatliche Kontrolle der Konventionen, Syndikate und Trusts.“

      In diesen Sätzen ist Rathenaus künftiges Programm schon enthalten. Aber hinter ihnen steht noch mehr: das deutliche Bild einer Welt, deren Daseinsfragen nicht mehr national, sondern international sind, der neuen Welt des zwanzigsten Jahrhunderts, die die des neunzehnten bereits verdrängt hat. Die systematische Einfühlung in die Wirklichkeit hat Rathenau, der Zeit seines Lebens in Neigungen und Idealen ein Stockpreuße geblieben ist, soweit er nicht ein alttestamentarischer Jude war, gegen sein Herz zu einem Vertreter des europäischen, ja kosmopolitischen Gedankens gemacht. Und von hier aus ist er dann zwangsläufig zu den Anschauungen fortgeschritten, die seine großen theoretischen Hauptwerke tragen, und von denen seine beiden welthistorischen Leistungen ausgingen: die Organisierung der deutschen Rohstoffversorgung zu Anfang des Krieges und, nach dem Zusammenbruch, die Grundlegung einer neuen deutschen Außenpolitik: der sogenannten „Erfüllungspolitik“, der Deutschland den Beginn seines Wiederaufstiegs, Europa den Anfang einer wirtschaftlichen Wiederherstellung und moralischen Befriedung verdankt.

      * * *

      Gesellschaftliches Zwischenspiel

       Gesellschaftliches Zwischenspiel

      „1899, nach siebenjährigem Aufenthalt in der kleinen Fabrikstadt Bitterfeld“, sagt Rathenau, „fingen die Unternehmungen an zu prosperieren. Ich beschloss, mich von der Industrie zurückzuziehen, um literarisch zu arbeiten. Die A. E. G. schlug mir vor, in ihr Direktorium einzutreten und die Abteilung für den Bau von Zentralstationen zu übernehmen. Ich übernahm die Arbeit drei Jahre, baute viele Zentralen, u. a. in Manchester, Amsterdam, Buenos Aires und Baku. Die Leitung der elektrochemischen Werke behielt ich bei und wurde zugleich Delegierter eines großen ausländischen Elektrizitätstrusts ... 1902 verließ ich die A. E. G., um in der Finanz zu arbeiten. Ich trat in das Direktorium einer unserer Großbanken, der „Berliner Handelsgesellschaft“, ein und reorganisierte einen großen Teil ihrer Industrieunternehmungen. Ich bekam einen Einblick in die deutsche und ausländische Industrie und gehörte damals nahezu hundert Unternehmungen an.“

       Mit seiner Rückkehr nach Berlin beginnt der gesellschaftliche Aufstieg Walther Rathenaus; und gleichlaufend ein weiteres Fortschreiten auf dem „Wege des Geistes“, jetzt als Weg der gesellschaftlichen Diplomatie und der Einfühlung in den „neudeutschen“ Geist in seinem Brennpunkt Berlin und seinen typischen Vertretern, den Berliner Bankiers, der Berliner Hofgesellschaft und dem Kaiser. Wer Walther Rathenau in diesen Jahren gekannt hat, wird sich eines schlanken, sehr großen jungen Mannes erinnern, der durch seine anormale Kopfform, die mehr negerhaft als europäisch aussah, auffiel: tiefliegende, kühle, rehbraune, langsame Augen, gemessene Bewegungen, eine tiefe Stimme, eine pastorale Sprechweise bildeten die etwas unerwartete, künstlich wirkende Fassung für eine blitzende Gedankenfülle. Man stieß auf ihn in der Hofgesellschaft, wo jeder jeden kannte, zunächst als Fremden; aber wenn man ihn einmal bemerkt hatte, vergaß man nicht sein Aussehen und auch nicht den eigenartigen Eindruck, der von ihm ausging: den einer massiven Kraft und zugleich irgendeiner Schwäche, vielleicht, man wusste nicht, einer überzarten Haut. Er war interessant und etwas geheimnisvoll. Man konnte bei seinem Anblick an Stendhals Julien Sorel mit seinem СКАЧАТЬ