Название: Walther Rathenau - Leben und Werk - Band 126 in der gelben Reihe bei Jürgen Ruiszkowski
Автор: Harry Kessler
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: gelbe Buchreihe
isbn: 9783752916416
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Grade die Erinnerung an Frankreich treibt mich fort, denn sie ist eng mit dem verknüpft, was mir besonders das Leben verleidet und was alle meine sonstigen quälenden Sorgen zu gleichgültigen Nebendingen stempelt. – Auch die Erinnerungen an meine Freunde halten mich nicht zurück, obgleich sie meistenteils recht heiter, wirklich außerordentlich heiter sind. In der Tat, meine Freunde und meine Erinnerungen an sie sind das amüsanteste, was ich mir denken kann.
Mme. Trocard:
Ich hätte nie gedacht, dass gerade ein Mann wie Sie mit Trauer seiner Heimat gedenken könne, der kaum zu wissen schien, was es hieße, einen Wunsch unerfüllt zu sehen, – verwöhnt vom Glück, verwöhnt von seiner Umgebung, bei allen beliebt, von so vielen beneidet ...
Berthier:
Sie hätten es nie gedacht, das glaub' ich wohl; aber Sie begreifen es. Begreifen Sie doch auch, dem Himmel sei's geklagt, dass eine Frau jung, schön und reich sein kann und dabei doch unglücklich. Und wie viel seltsamer klingt das!
Mme. Trocard:
Ich weiß nicht, wie ich Ihre Worte deuten soll.
Berthier:
Ja, gnädige Frau, Ihr Schicksal ist dem meinen ähnlich; und ich muss es gestehen, ich finde einigen Trost darin. Dass ich Sie unglücklich gefunden habe, ist zwar mir das traurigste, was ich empfinde; aber ich weiß nicht, was ich getan hätte, wenn ich Sie glücklich gesehen hätte.
Mme. Trocard:
Sie irren sich, Herr Berthier, ich bin nicht unglücklich. Warum glauben Sie es? Wirklich, Sie irren sich.
Berthier:
Dem Anscheine nach, allerdings, sind Sie glücklich. Ihre Worte sind nicht anders als die einer glücklichen Frau. So ist auch Ihr Lächeln und der Klang Ihrer Stimme – vielleicht sogar etwas heiterer – aber ich bin zu sehr mit Ihrem Geschicke verwandt. Ich kenne die Unterschiede und Nuancen.
Mme. Trocard:
Glauben Sie nicht, dass ich Komödie spiele. Ich brauche es nicht zu tun. – Warum könnte ich mich unglücklich fühlen?
Berthier:
Wie oft haben Sie sich diese Frage selbst gestellt, und wie oft haben Sie sie beantwortet! Ich aber habe kein Recht dazu.
(Kurze Pause)
Mme. Trocard:
Ich weiß, was Sie meinen, Herr Berthier, und wage es auszusprechen. Sie glauben, dass mein Mann mich vernachlässigt. Aber Sie irren sich. Mein Mann ist rücksichtsvoller als er zu scheinen wünscht. Glauben Sie es mir nicht? Angenommen aber, er wäre es nicht – hätte ich dann ein Recht, mich zu beklagen oder unglücklich zu sein? Auf keinen Fall. Ich darf nicht vergessen, dass ich nichts war, bevor mein Mann mich zur Frau nahm, und dass ich durch ihn erst kennengelernt habe, was Rücksichten sind.
Berthier:
Ist das auch seine Ansicht?
Mme. Trocard:
Ich weiß es nicht.
Berthier:
Wenn Sie es wünschen, will ich gerne glauben, was ich nie bemerkte, aber auch nie bestritt, dass Trocard sich bewusst ist, dass er der besten Frauen eine die Seine nennt. – Umso mehr muss es tieferer, verborgener Kummer sein, der sich von Ihrem Glücke nährt und aus Ihrem Herzen die schöne sich selbst unbewusste Fröhlichkeit ausgetilgt hat.
Mme. Trocard:
Um Himmels willen – was meinen Sie damit?
Berthier:
Haben Sie noch dasselbe Vertrauen zu mir, wie vormals in Paris? Nicht wahr, Sie haben es noch? Und ich bin Ihnen von Herzen dankbar dafür.
Warum sollten wir nicht offen miteinander sprechen? Nach langer Trennung sehen wir uns wieder. Durch unheilvolle Umstände, die ich Ihnen nicht gestehen kann, ohne Sie tief zu verletzen, ist meine Lebensfreude zerstört. Durch Verhältnisse anderer Art, an denen Sie aber unschuldig sind, ist es die Ihre. Wir beide kennen diese Verhältnisse und empfinden sie gleich tief. Warum also sie wegleugnen? Wenn es Ihr Wunsch ist, soll über Ihren Kummer kein Wort mehr verlauten. Ihn zu teilen werden Sie mir nicht verbieten.
Mme. Trocard:
Sagen Sie mir, Herr Berthier, was Sie wissen. Ich bitte Sie darum. Lassen Sie mich alles erfahren.
Berthier:
Ich weiß nicht mehr, nicht weniger als Sie.
Mme. Trocard:
(mit gesteigerter Unruhe und Aufregung)
Und wenn ich es wüsste ... Sagen Sie es mir, um mich zu beruhigen. Ich bitte darum. Ich mag die Ungewissheit nicht. – Betrifft es meinen Mann?
Berthier:
Verzeihen Sie mir, verehrte Frau, Sie sehen ein, dass Sie aus meinem Munde nichts erfahren dürfen.
Mme. Trocard:
Lassen Sie mich nicht in der Ungewissheit verzweifeln. Sagen Sie mir, ob außer ihm ... Sagen Sie mir, ob eine Frau ... Ich bitte so sehr drum ... Nennen Sie einen Buchstaben ihres Namens ...
Berthier:
Wozu das Wortspiel? Nun denn, es sei. Ich dachte an Madame Rozan.
Mme. Trocard:
(in Tränen ausbrechend)
O mein Gott, dass es so offenkundig ist!
Wie in diesem Dialog, wie in den weiteren Gesprächen zwischen Berthier und der früheren Operettendiva, zwischen dieser und Blanche, zwischen Blanche und ihrem Mann, die tragische Situation durch die einfachen, gleichgültigen Worte hindurchleuchtet, als seien sie untermalt und die Untermalung nicht zuzudecken, wie sie dann allmählich deutlicher wird und zum Ausbruch kommt und schließlich ohne Lösung bleibt, – wie im Leben – das beweist nicht nur Walther Rathenaus dichterische Begabung, sondern mehr noch sein natürliches Talent zur inneren Nachschöpfung alles dessen, was zwischen Menschen in ihren Beziehungen zueinander Kühle oder Wärme, Nachgeben oder Starrheit, Schwäche oder Macht, Aufstieg oder Niedergang bedingt.
In der Tat gehört Rathenau zu der in Deutschland sehr kleinen Gruppe von Schriftstellern, die in Frankreich als „Moralisten“ bezeichnet werden: Weltleute, Philosophen, Staatsmänner, wie La Rochefoucauld, La Bruyère, Vauvenargues, Chamfort, Rivarol, die in die Geheimnisse des menschlichen Herzens und des gesellschaftlichen Lebens mit Geist, mit Feingefühl, mit schöpferischer Phantasie eingedrungen sind und mit blitzblank geschliffenen Sätzen hineinleuchten; meistens unsichere, oder durch äußere Umstände unsicher gewordene Naturen, wie unser deutscher Lichtenberg, die in ihrem Abbild der Welt einen inneren Halt gegen die wirkliche Welt suchen. Aber woher auch immer im einzelnen Fall die Gabe zu solchen Durchleuchtungen des Gesellschaftskörpers stammen mag, im Endergebnis kommt es darauf an, ob die Einblicke, die sie erschließen, brauchbar sind. Und Rathenau hat mit Recht auf diese Gabe unter allen seinen Gaben den größten Wert gelegt. Man könnte aus seinen Werken eine Auswahl von knappen, farbigen Bildern zusammenstellen, СКАЧАТЬ