Tag 1 - Als Gott entstand. Stefan Koenig
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Название: Tag 1 - Als Gott entstand

Автор: Stefan Koenig

Издательство: Bookwire

Жанр: Философия

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isbn: 9783742724809

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СКАЧАТЬ seine guten Augen einem anderen leihen kann. Seine Spatenhand müsste der Mensch immer bei sich tragen, und sie würde gewiss zu nichts anderem taugen als zum Graben. Und wenn das Ende seiner Tage käme, so wären auch die Tage des Spatens gezählt. Man müsste beide miteinander begraben.

      Dieser geborene Erdarbeiter könnte den Spaten nur dann seiner Nachkommenschaft übergeben, wenn einer seiner Enkel oder Urenkel diese „Hand“ von ihm erben würde, so wie man die Haarfarbe oder die Form der Nase erbt. Das ist übrigens noch nicht alles. Ein lebendes Werkzeug kann sich nur dann bei einer Art erhalten, wenn es für das Tier nützlich und nicht schädlich ist. Wenn die Menschen wie Maulwürfe in der Erde lebten, dann brauchten sie wohl Spatenpfoten. Aber für ein Wesen der Erdoberfläche wäre solch eine Pfote ein überflüssiger Luxus. Um ein neues Werkzeug zu schaffen – ein lebendiges, natürliches, wohlverstanden –, wären Millionen Jahre währende übermäßige „Anstrengungen“ der Natur nötig.

      Glücklicher- (oder zufälliger-)weise ist der Mensch einen anderen Weg gegangen. Er hat nicht gewartet, bis sich ihm ein Spaten an Stelle der Hand entwickelte. Er hat sich den Spaten selbst gemacht, und nicht nur Spaten, sondern auch Messer, Äxte und noch viele andere Werkzeuge bis hin zur Mikrochiptechnik. Den von seinen Vorfahren übernommenen zwanzig Fingern und Zehen und zweiunddreißig Zähnen hat der Mensch noch Tausende der verschiedenartigsten künstlichen Finger, Schneidezähne, Eckzähne, Krallen und Fäuste hinzugesellt – lange, dicke und dünne, scharfe und stumpfe, stechende, schneidende und schlagende. Und letztlich hat er mit der Computertechnik seine Gehirnarbeit erleichtert und erweitert.

      Das ist es, was ihm jene Überlegenheit über die anderen Tiere gegeben hat, so dass sie mit ihm überhaupt nicht mehr konkurrieren können.

      Hier beenden wir die dritte Vorlesung. Wir nähern uns etappenweise dem Ziel, um das Hauptthema nicht mit unnötigen Rückblicken zu belasten und die scheinbar wichtigsten Fragen endlich aufzuwerfen und in der Diskussion zu beantworten: Woher kam Gott? Wo war er vor dem Menschen? Wer hat ihm den Namen Gott verliehen? Und warum? Wir diskutieren die Zählebigkeit Jahrtausende lang gelebter Traditionen und psychosozialer Prägungen; wir diskutieren über die Entwicklung des Sprechens und Denkens, also über die Entwicklung des menschlichen Gehirns und betreten irgendwann im Laufe unserer Vorlesungen jene Epochen, in dem sich der (vorläufig) „voll entwickelte“ Mensch vor 4000 Jahren der Arithmetik, Philosophie, der Medizin und den Göttern zuwendet und irgendwann viel später das erste Geschichtsbuch namens Bibel geschrieben wird. Draußen vor der Tür unsrer vierten Vorlesung warten bereits ungeduldig die Ägypter, Griechen und Römer. Sie haben schon ihre Eintrittskarten – und drängeln trotzdem.

      In der Vorlesung 4 versuchen wir, über die Entwicklungskette „Pithekanthropus-Sinanthropus-Heidel­berger Mensch“ die wichtigsten Etappen zu bezeichnen. Wir berichten über die Entdeckung der „Zeit“. Über das Nahen des Eises. Über den Untergang der Wälder – und wie der Mensch dem Chaos der Natur entkam: dank seiner Werkzeuge, dank jener Begriffe, die wir heute so selbstverständlich nutzen: Arbeit – Ziel – Plan.

      Vorlesung 4

      In der ersten Zeit, als der Mensch gerade begann, Mensch zu sein, stellte er noch nichts her und produzierte nichts, sondern sammelte sich seine steinernen Krallen und Zähne, so wie wir heute Pilze und Beeren sammeln. Auf den Sandbänken der Flüsse suchte er sich Steine, scharfe, abgeschliffene, von der Natur selbst gedrechselte Steine.

      Man findet solche „natürlichen“ Werkzeuge an Stellen, wo sich ein Steinhaufen dröhnend in einem wilden Wasserwirbel gedreht hatte, wie eine riesige Kinderklapper, so dass die Steine zerkleinert und geschliffen wurden. Natürlich kümmerte es den Wasserwirbel wenig, ob seine „Arbeit“ irgendeinen Sinn hatte, daher waren unter Hunderten von Steinen, die die Natur bearbeitete, nur sehr wenige, die dem Menschen nützlich sein konnten. Da begann der Mensch selbst herzustellen, was er brauchte – er fing an, sich Werkzeuge zu machen.

      Hier geschah zum ersten Mal etwas, was sich später in der Geschichte der Menschheit oft wiederholte: Natürliches ersetzte der Mensch durch Künstliches. In einer Ecke der großen Werkstatt Natur richtete der Mensch seine eigene Werkstatt ein, um immer neue Dinge herzustellen, die es in der Natur nicht gibt. So war es mit den steinernen Werkzeugen, so war es auch später – nach Tausenden von Jahren – mit dem Metall: Anstatt reines Metall zu benützen, das nur schwer zu finden ist, schmolz der Mensch es mit Hilfe des Feuers aus den Erzen heraus. Jedes Mal, wenn er dazu überging, das Vorgefundene durch Schöpfungen seiner eigenen Hände zu ersetzen, machte der Mensch einen neuen Schritt zur Freiheit, zur Unabhängigkeit von der harten Gewalt der Natur. Der Mensch entwickelte sich so wie sich alle Lebewesen ihren natürlichen Lebensräumen entsprechend entwickelten.

      Zunächst vermochte der Mensch noch nicht, sich das Material für seine Werkzeuge selber herzustellen. Er gab dem Material, das er fertig in der Natur vorfand, nur eine neue Form. Er nahm den Stein in die Hand und schlug ihn sich mit einem anderen Stein zurecht. So entstand das, was die Archäologen „Faustkeil“ oder „Schlegel“ nennen. Ein solches Werkzeug eignete sich zum Hämmern. Auch die Splitter waren nützlich. Mit ihnen konnte man schneiden, schaben, stechen.

      Die ältesten Werkzeuge, die man in den untersten Erdschichten findet, sind den von der Natur bearbeiteten Steinen noch so ähnlich, dass es oft schwerfällt, zu entscheiden, wer hier der Meister war: der Mensch oder der Fluss oder einfach Hitze und Kälte, die ebenfalls, im Verein mit dem Wasser, Steine zu zersprengen und zerstückeln vermögen. Aber dann wurden andere Werkzeuge gefunden, über die es keinen Zweifel mehr gibt. In den Sandbänken und Uferrändern früherer Flüsse, die heute unter mächtigen Lehm- und Sandschichten begraben sind, fand man die vollständigen Werkzeuge des Urmenschen: sowohl fertige Faustkeile als auch die dazu gehörigen Splitter, die bei der Herstellung abgeschlagen wurden.

      Sieht man sich solch einen Splitter an, so kann man deutlich die Stelle erkennen, auf die der Mensch schlug, um ihn gerade so abzuschlagen, dass der Faustkeil die gewünschte Form bekam. Solche Formen hätte die Natur nicht herstellen können, das vermochte nur der Mensch. Das ist selbstverständlich, denn in der Natur geht alles ohne Ziel und Plan vor sich. Der Wasserwirbel des Flusses schleuderte die Steine ohne jede Absicht gegeneinander. Der Mensch tat das Gleiche, aber bewusst, mit einem Ziel. Das Ziel und der Plan erscheinen so zum ersten Mal in der Welt.

      Allmählich beginnt der Mensch die Natur zu verändern und zu verbessern, indem er den von der Natur geschaffenen Stein korrigiert. So erhob sich der Mensch um eine weitere Stufe über die anderen Tiere, er erhielt noch mehr Freiheit, er war nun nicht mehr abhängig davon, dass die Natur einen geeigneten Stein für ihn bereithielt. Er konnte jetzt sein Werkzeug selbst herstellen.

      Mit Mühe und Not sind unsere Vorlesungen bis hierher fortgeschritten, und wir haben noch immer nicht gesagt, wo und wann unser Protagonist geboren wurde. Noch nicht einmal sein genauer Name wurde genannt. An der einen Stelle bezeichnen wir ihn als „Affenmenschen“, an einer anderen als „Urmensch“, an einer dritten – noch unbestimmter – als „unseren Waldvorfahren“. Wenn wir den ganz frühen Menschen betrachten, der dem Affen noch sehr ähnlich ist, so nennt ihn die Wissenschaft, wie schon einmal erwähnt, Pithekanthropus, Sinanthropus und Heidelberger Mensch. Vom Letzteren ist nur ein Kiefer erhalten, der nahe der Stadt Heidelberg gefunden wurde. Nach diesem Kiefer zu schließen, hat der Besitzer den Namen eines Menschen wohl verdient: Er hat keine tierischen, sondern menschliche Zähne, und die Eckzähne ragen nicht wie beim Affen über die anderen Zähne hinaus.

      Und doch ist der Heidelberger Mensch noch kein richtiger Mensch, sondern im Übergang begriffen, was man deutlich an seinem nach hinten fliehenden Affenkinn erkennen kann. Pithekanthropus, Sinanthropus und Heidelberger Mensch – drei Namen, mit denen unser Protagonist im gleichen Alter und auf der gleichen Entwicklungsstufe bezeichnet wird. Jedoch wollen wir uns nicht mit der wissenschaftlichen Namensgebung zu lange aufhalten. Wir sollten noch berücksichtigen, СКАЧАТЬ