Название: Tag 1 - Als Gott entstand
Автор: Stefan Koenig
Издательство: Bookwire
Жанр: Философия
isbn: 9783742724809
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Als unsere Vorfahren noch auf den Bäumen lebten, lernten sie schon, die Hände anders zu gebrauchen als die Füße. Mit den Händen griffen sie nach Früchten und Nüssen, bauten sie ihre Nester auf den Stämmen. Die gleiche Hand aber, die eine Nuss greifen konnte, vermochte auch einen Stein und einen Stock zu greifen. Und einen Stein oder einen Stock in der Hand zu halten, das bedeutete eine KRÄFTIGERE und LÄNGERE Hand.
Mit einem Stein kann man eine Nuss zerschlagen, deren Schale so hart ist, dass die Zähne sie nicht mehr aufknacken können. Mit dem Stock vermag man in der Erde nach essbaren, proteinhaltigen Wurzeln zu graben. Und nun begann der Menschenvorfahr, sich die Nahrung immer häufiger mit den neuen Hilfsmitteln zu verschaffen. Mit dem Stock grub er aus der Erde Knollen und Wurzelgemüse. Mit Hilfe des Steines zerbröckelte er morsche Baumstümpfe und verschaffte sich die Larven von Insekten.
Aber damit die Hände arbeiten konnten, mussten sie von anderen Tätigkeiten freigehalten werden. Je mehr die Hände beschäftigt waren, desto häufiger mussten die Füße versuchen, allein zu gehen. So wurden die Füße von der Hand gezwungen, gehen zu lernen, und die Hand wurde von den Füßen vom Gehen befreit, um arbeiten zu können. Auf der Erde erschien ein neues Wesen, das es früher nicht gegeben hatte, das sich auf den Hinterbeinen bewegte und mit den Vorderbeinen arbeitete.
Äußerlich war dieses Wesen einem Tier sehr ähnlich. Aber könntet ihr sehen, wie es mit einem Stock oder einem Stein hantierte, würdet ihr sofort sagen: Dieses Tier müsste man eigentlich als einen vorzeitlichen Menschen bezeichnen. In der Tat, nur der Mensch versteht es, mit Werkzeugen umzugehen. Tiere haben keine Werkzeuge.
Wenn eine Springmaus oder ein Maulwurf in der Erde graben, so tun sie das nicht mit einem Spaten, sondern mit ihren eigenen Pfoten. Wenn eine Maus die Wurzel eines Baumes durchschneidet, so tut sie das nicht mit einem Messer, sondern mit ihren Zähnen. Und wenn der Specht die Borke des Baumes abmeißelt, so benutzt er keinen Meißel, sondern seinen Schnabel.
Unser Vorfahre hatte weder einen Meißel-Schnabel noch Spaten-Pfoten noch Nagezähne, scharf wie Messer. Er hatte etwas viel Besseres als alle Schneide- und Eckzähne. Er hatte seine Hand, mit der er sich aus einem vom Boden aufgelesenen Stein eine Schneide und aus einem vom Baum gebrochenen Ast einen Grabstock machte.
Während all dieser Ereignisse änderte sich allmählich auf der Erde das Klima. Vom Norden rückte das Eis langsam nach Süden vor. Die Berge drückten sich die Schneekappen tiefer in die Stirn. Dort, wo unsere Waldvorfahren lebten, wurden die Nächte immer kühler, die Winter immer kälter. Noch war das Klima warm, aber man konnte es nicht mehr heiß nennen. Auf den Nordabhängen der Hügel machten die immergrünen Palmen, Magnolien und Lorbeerbäume den Eichen und Linden Platz. Noch heute findet man in den Strandablagerungen Abdrücke von Eichen- und Lindenblättern, die irgendwann durch starke Regefälle in die Flüsse gespült wurden.
Der Urmensch mied die kalten Winde, er zog sich in Höhlen auf den südlichen Abhängen zurück, wo noch Feigenbaum und Weinstock wuchsen. Die Grenze der tropischen Wälder zog sich immer weiter nach Süden zurück. Und gemeinsam mit diesen Wäldern zogen auch ihre Bewohner. Der urzeitliche Elefant ging fort, und immer seltener wurde der Säbeltiger Machairod.
Wo einst undurchdringliches Dickicht war, traten die Bäume auseinander und bildeten Lichtungen, auf denen gigantische Hirsche und Nashorne weideten. Manche Affen zogen fort, andere starben aus. Im Wald fanden sich immer weniger Weintrauben, immer seltener wurden die Feigen- und Nussbäume. Es war auch nicht mehr so leicht, sich durch den Wald zu bewegen. Er lichtete sich: von einer Baumgruppe zur anderen konnte man nicht mehr springen, man musste über die Erde laufen. Für einen Baumbewohner war das nicht ohne Gefahr. Jeden Augenblick konnte es geschehen, dass ihn die Zähne irgendeines flinkeren Raubtieres packten.
Aber da war nichts zu machen. Der Hunger jagte unsere Vorfahren von den Bäumen. Immer häufiger mussten sie auf die Erde steigen und dort auf Nahrungssuche gehen. Was bedeutet es aber für ein lebendiges Wesen, aus seinem gewohnten Käfig heraus zu treten, aus der Welt des Waldes, an die es sich Jahrtausende lang angepasst hat?
Es bedeutet die Durchbrechung der Gesetze des Waldes, die Zerreißung der Ketten, die das Tier an seinen Platz in der Natur fesseln.
Gewiss verändern sich auch Land- und Wassertiere und Vögel. Nichts in der Welt ist unveränderlich. Aber es ist nicht so einfach, sich zu verändern. Millionen Jahre vergingen, ehe jenes Waldtierchen mit den Krallen an den Pfoten zum Pferd wurde. Jedes Kind unterscheidet sich nur wenig von seinen Eltern. Viele Generationen sind nötig, damit sich eine neue Art bildet, die sich von der früheren unterscheidet.
Nun, und unsere Vorfahren?
Wenn es ihnen nicht gelungen wäre, ihre Tätigkeiten und Gewohnheiten zu ändern, so wären sie genötigt gewesen, gemeinsam mit den Affen nach Süden zu ziehen. Zu jener Zeit aber unterschieden sie sich von den Affen schon dadurch, dass sie sich ihre Nahrung mit Hilfe von künstlichen „Eckzähnen“ und „Krallen“ verschaffen konnten, die sie aus Steinen und Ästen machten. Notfalls konnten sie ohne jene saftigen Südfrüchte auskommen, die in den Wäldern immer seltener wurde. Dass sich die Wälder lichteten, war daher für sie nicht so schlimm. Da sie auch schon gelernt hatten, auf den Füßen zu laufen, hatten sie keine Angst mehr vor den offenen, unbewaldeten Stellen. Und wenn ihnen ein Feind begegnete, begann die ganze Horde der Urmenschen sich mit Steinen und Stöcken zu verteidigen. Die harten Zeiten, die unser affenähnlicher Vorfahr durchmachte, konnten ihn weder vernichten noch zwingen, sich gemeinsam mit den tropischen Wäldern zurückzuziehen; sie beschleunigten nur seine Umwandlung zum Menschen.
Und was geschah mit jenem Teil unserer Vorfahren, die Affen blieben? Sie blieben Waldbewohner und wichen mit den Wäldern nach Süden aus. Da sie die Entwicklung der Urmenschen nicht durchgemacht hatten, konnten sie keine Werkzeuge benutzen. Die geschicktesten unter ihnen lebten weiterhin in den obersten Etagen der Wälder, lernten noch besser auf den Bäumen zu klettern und sich an den Ästen schwingend zu bewegen.
Ganz anders war das Schicksal der Affen, die nicht so flink waren und sich dem Baumleben nicht weiter anpassen konnten. Von ihnen sind nur die größten und kräftigsten am Leben geblieben. Aber je massiger und größer ein Tier war, desto schwerer fiel es ihm, auf dem Baum zu leben. Wohl oder übel mussten diese großen Affen auf die Erde herunterkommen. So leben zum Beispiel auch die heutigen Gorillas in den unteren Stockwerken des Waldes. Gegen Feinde verteidigen sie sich auf der Erde, aber nicht mit Steinen und Stöcken, sondern mit riesigen Eckzähnen, mit denen ihre mächtigen Kiefer bewaffnet sind.
So gingen die Wege des Menschen und seiner verschiedenen Verwandten auseinander.
In der nächsten Vorlesung werden wir erkunden, wie die Urmenschen wohnten, wie sie arbeiteten und lebten – und dann schon nähern wir uns zusehends jenem Zustand, in dem sie sich ihrer selbst, ihrer Eigenexistenz bewusst werden und sich als Schöpfer von Werkzeugen und „Produkten“ begreifen – lasst uns erkunden, ob wir vielleicht hier auf die Spur des Schöpfungsgedankens kommen. Aber nicht zu stürmisch, bitte. Noch befinden wir uns Jahrtausende vor diesen Entwicklungen …
Vorlesung 3
Bisher beschäftigten wir uns mit der Umwelt und den Vorfahren und Seitenlinien des Urmenschen, mit den Schimpansen, Gorillas und anderen Affen. Wir verfolgten ihre Lebenswege bis zu dem Zeitpunkt vor 5 Millionen Jahren, als sich die Wege des Menschen und seiner verschiedenen Verwandten trennten. Die Haupttrennlinie war folgende: Durch den Rückzug des Waldes nach Süden waren jene Affen, die ausschließlich auf den Bäumen wohnten und Hände und Füße gleichermaßen zum Laufen und Pflücken nutzten, gezwungen СКАЧАТЬ