Название: Tag 1 - Als Gott entstand
Автор: Stefan Koenig
Издательство: Bookwire
Жанр: Философия
isbn: 9783742724809
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Heute und in der Folgevorlesung wollen wir erkunden, wie die Urmenschen lebten, wie sie wohnten und arbeiteten, wie sie den Gebrauch des Feuers und damit hochwertigere Proteine entdeckten, wie sich dadurch und durch die aufrechte Haltung und durch den Blick in die Ferne und durch das Fertigen immer komplizierterer Werkzeuge in Hunderttausenden von Jahren ihr Gehirn weiterentwickelte. Im später folgenden Vorlesungen geht es sodann um die Fragen, die uns immer näher und näher an unser Thema heranführen: Wie sich der Mensch als Produzent selbst entdeckte. Wie er sich des Unterschieds zu den anderen Lebewesen bewusst wurde. Wie er die Zeit entdeckte und wie er die planetarischen Weltuhren, Sonne und Mond, als lebenswichtige „Lebewesen“ empfand und sie verehrte. Wie er seine Lebensmittel bewusst entdeckte, wie er sie anzubauen, zu schätzen und zu ehren wusste und wie er diesen Lebensmitteln erste Opfergaben darbrachte. Noch kennt er keine Götter, noch reicht weder seine Phantasie noch sein Wissen so weit, dass er „andere Lebewesen“ hinter allem vermutet. Aber dann lernt er nachbarschaftliche Verwandtenstämme kennen und beginnt zu ahnen, dass seine Welt aus mehr als nur ihm und dem Ort seiner Geburt besteht. Nun stehen unsere Vorfahren kurz vor der Geburt Gottes.
Der Mensch lernte nicht plötzlich auf zwei Füßen zu gehen. In der ersten Zeit ging er wahrscheinlich nur zeitweilig und unbeholfen aufrecht. Wie hat der Mensch – oder richtiger: der Affenmensch – damals ausgesehen? Lebend ist der Affenmensch nirgends erhalten geblieben. Aber sind nicht wenigstens seine Knochen erhalten?
Wenn man diese Knochen nur finden würde, fragten sich bereits vor rund 160 Jahren die Zoologen, die Biologen, Archäologen und Philosophen, dann könnte man endgültig beweisen, dass der Mensch vom Affen abstammt. Der Affenmensch ist der urälteste Mensch, das Verbindungsglied in jener Kette, die vom Affen zum heutigen Menschen führt. Und dieses Glied soll spurlos in Lehm und Sand, in den Ablagerungen der Flüsse verloren gegangen sein?
Die Archäologen verstehen sich darauf, in der Erde herumzuwühlen. Aber bevor man zu graben anfängt, muss man wissen, wo man graben soll, wo dieses verschwundene Kettenglied zu suchen ist. Es ist wohl noch schwieriger, die Knochen des Urmenschen in der Erde als eine Stecknadel im Heuhaufen zu suchen. Am Ende des 19. Jahrhunderts hat der Naturforscher Ernst Haeckel erstmals die Vermutung ausgesprochen, dass die Knochen des Affenmenschen – oder, in der Sprache der Wissenschaft: des Pithekanthropus – wahrscheinlich in Südasien zu finden wären. Und er bezeichnete auch die Gegend, in der nach seiner Meinung die Knochen des Pithekanthropus erhalten sein könnten: die Malaiischen Inseln.
Haeckels Gedanke schien vielen zu schwach begründet. Aber es fand sich doch einer, der so fest daran glaubte, dass er alles stehen und liegen ließ und beschloss, nach dem Malaiischen Archipel zu reisen, um den dort vermuteten Pithekanthropus zu suchen. Das war Dr. Eugen Dubois, der bis dahin Vorlesungen über Anatomie an der Amsterdamer Universität gehalten hatte. Viele seiner Arbeitskollegen und die Professoren der Universität schüttelten die Köpfe: Ein Mensch mit normalen geistigen Fähigkeiten dürfe doch nicht so leichtfertig sein. Es waren eben würdevolle Leute, und die einzige Reise, die sie dazumal zu machen pflegten, war der tägliche Weg durch die ruhigen Amsterdamer Straßen mit dem Regenschirm in der Hand von Zuhause in die Universität und zurück.
Um seinen kühnen Gedanken zu verwirklichen, verließ Dubois die Universität, trat als Militärarzt in den Dienst der holländischen Kolonialtruppen und fuhr von Amsterdam ans „Ende der Welt“ – nach der Insel Sumatra. Sobald er dort angekommen war, machte er sich auf die Suche. Ganze Berge wurden nach seinen Anweisungen umgegraben und durchwühlt. Es verging ein Monat, ein zweiter, ein dritter, aber die Knochen des Pithekanthropus waren nicht zu finden.
Wenn ein Mensch sucht, was er verloren hat, so weiß er wenigstens, dass der verlorene Gegenstand irgendwo ist und dass man ihn bei genügend eifrigem Suchen finden kann. Dubois aber war wesentlich schlechter dran: Er konnte ja nicht mit Sicherheit behaupten, sondern nahm nur an, dass die Knochen des Pithekanthropus existierten. Dennoch setzte er seine Suche mit unerschütterlicher Hartnäckigkeit fort. Es vergingen ein, zwei, drei Jahre, aber das verschwundene Zwischenglied war noch immer nicht gefunden. Jeder andere hätte die vergebliche Suche längst aufgegeben. Dubois plagten zwischenzeitlich Zweifel. Aber er gehörte nicht zu den Menschen, die sich von einmal gefassten Entschlüssen so leicht abbringen lassen.
Da Dubois den Pithekanthropus in Sumatra nicht fand, beschloss er, sein Glück auf einer anderen Insel des Malaiischen Archipels zu versuchen – auf Java.
Und hier hatte er endlich Glück.
Unweit des Dorfes Trinil fand er eine Schädeldecke, den Rest eines Unterkiefers, einige Zähne und einen Schenkelknochen des Pithekanthropus. Später wurden noch einige Fragmente von Schenkelknochen gefunden. Dubois versuchte, das Gesicht seines Ahnen zu rekonstruieren und man erkannte eine niedrige, nach hinten fliehende Stirn, dicke Augenbrauenbögen, unter denen die Augen geschützt lagen. Dieses Gesicht ähnelte eher dem eines Affen als dem eines Menschen – aber es war eben auch kein „reines“ Affengesicht mehr. Die nähere Untersuchung der Schädeldecke überzeugte ihn davon, dass der Pithekanthropus klüger gewesen sein musste als ein Affe: sein Gehirn war wesentlich größer als das Gehirn der dem Menschen am nächsten stehenden Affen.
Ein Schädeldach, Zähne, einige Knochentrümmer – das ist nicht viel. Und doch gelang es Dubois, aus diesen Bruchstücken vieles zu rekonstruieren – und er wurde später durch weitere Funde, durch andere Expeditionen und Forscher in allem bestätigt. Die heutige DNA-/RNA-Forschung bestätigt all diese „Hardware“-Funde. Als Dubois den Schenkel und die kaum sichtbaren Ansatzstellen der Muskeln und Sehnen untersuchte, kam er zu dem Schluss, dass der Pithekanthropus zur Not auf zwei Beinen zu gehen vermochte. Das ist schon kein Affe mehr, aber auch noch kein richtiger Mensch. Dubois beschloss, seinem Findling einen Namen zu geben und taufte ihn: „Pithekanthropus erectus“, der Aufrechte. Im Vergleich mit den Affen ging er tatsächlich – wie sich im Fortgang der Funde bestätigte – aufrecht.
Das Ziel schien erreicht. Pithekanthropus war gefunden. Aber nun begannen gegen Ende des 19. Jahrhunderts für Dubois erst die schwierigsten Tage und Jahre. Es ist leichter, sich durch eine zähe Lehmschicht hindurch zu graben, als die Zähigkeit menschlichen Aberglaubens und menschlicher Vorurteile mit Jahrtausende alter Prägungs- und Glaubenstradition zu durchdringen. Alle jene, die nicht anerkennen wollten, dass der Mensch vom Affen abstammt, begegneten Dubois‘ Entdeckung mit zahlreichen Einwänden. Archäologen in Priesterröcken suchten zu beweisen, dass der Schädel, den Dubois gefunden hatte, dem Gibbon-Affen gehöre und dass der Schenkel der eines gewöhnlichen Menschen sei. So verwandelten Dubois‘ Gegner den Affenmenschen in die arithmetische Summe eines Affen und eines Menschen, und selbst dabei ließen sie es nicht bewenden. Sie zogen das Alter des Fundes in Zweifel und behaupteten, die von Dubois gefundenen Knochen hätten nicht viele hunderttausend, sondern nur wenige Jahre in der Erde gelegen. Mit einem Wort, man tat alles, um den Pithekanthropus aufs Neue zu begraben, ihn wieder in die Erde einzuscharren und der Vergessenheit anheimfallen zu lassen.
Dubois verteidigte sich tapfer. Diejenigen, denen die Bedeutung seiner Entdeckung für die Wissenschaft einleuchtete, unterstützten ihn. Er antwortete seinen Gegnern, dass der Pithekanthropus-Schädel keineswegs dem Gibbon gehören könne: der Gibbon besitzt keine Stirnhöhlen. Beim Pithekanthropus aber sind sie vorhanden.
Die Jahre vergingen, und die Echtheit des Pithekanthropus wurde noch immer bezweifelt. Da fanden die Naturwissenschaftler plötzlich einen neuen Affenmenschen, ganz ähnlich dem Pithekanthropus. 1912 ging ein Naturforscher durch die Straßen Pekings; er trat in eine Apotheke, um die chinesischen Arzneien kennen zu lernen. Da lagen auf dem Ladentisch sehr sonderbare Sachen: eine Heilwurzel, ganz ähnlich einer menschlichen Figur, die Zähne verschiedener Tiere und allerlei Knochen und СКАЧАТЬ