Название: Deutsches Sagenbuch - 999 Deutsche Sagen
Автор: Ludwig Bechstein
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783742749215
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Das Haus lag dicht am Berg, auf dem die alten
Schlösser Kammerberg und Rheinberg stehen. Einer
Zeit geschah es, daß die Müllerin eine Stimme hörte,
als wispere ihr jemand in das Ohr, und sahe doch niemand
– und dann wisperte es von neuem: Gehe hinauf
auf Kammerberg, hebe den Schatz im Turm – er ist
dir bestimmt – der Schlüssel steckt am schwarzen Kasten.
– Die Frau, dadurch beunruhigt, erzählte ihrem
Manne, was sie immer um sich flüstern und wispern
hörte, der aber sagte: Passen! Träumerei! Hirngespinste
– kehre dich nicht an solche Dinge – unser Schatz
ist der weiße Mehlkasten! – Aber die Frau hörte die
Wisperstimme fort und fort und hatte keine Ruhe
mehr und hatte auch Lust zum Schatz, wenn der ihr
doch einmal beschert sei – und eines Morgens, da der
Müller weit oben im Tale am Wehr in der Wisper zu
bauen hatte und nicht so bald nach Hause zu kommen
gedachte, ging die Frau mit ihrem jüngsten Kinde,
einem Säugling, in aller Stille hinauf auf den Kammerberg.
Der Müller aber vollendete sein Geschäft
früher und kam nach Hause, es war gerade Mittag und
Essenszeit, aber die Müllerin fehlte. Wie er nun nach
der Mutter fragte, so sagte ihm sein ältester Knabe,
daß seine Mutter mit dem Jüngsten auf dem Arm
schon vor ein paar Stunden den Berg hinaufgegangen
sei. Eilend rann der Müller hinauf, und als er in die
Trümmer eintrat, hörte er die Stimme seines wimmernden
Kindes, die aus der Öffnung eines halbverfallenen
Turmgewölbes drang, stieg hinab und fand
darin sein Weib leblos am Boden liegen. Eilend zieht
er Frau und Kind aus dem Gemäuer und trägt und
schleppt beide hinab in sein Haus. Dann ist nach langer
Ohnmacht die Müllerin zu sich gekommen und
hat erzählt, die Wisperstimme habe ihr Tag und
Nacht keine Ruhe gelassen, sie habe hinaufgemußt,
und die Stimme habe ihr auf dem Wege noch zugewispert,
sie solle ganz ohne Furcht und Bangen sein,
es werde ihr nichts geschehen, nur reden solle sie um
keinen Preis. Sie stieg in das Turmgewölbe hinab –
da stand der Kasten, da stak der Schlüssel, sie öffnete
– da lag das blanke Gold – sie durfte nur nehmen –
da hört sie plötzlich ihren ältern Knaben hinter sich
rufen: Mutter! Mutter! und antwortet unwillig: Was
gibt's?, und da tut es einen entsetzlichen Krach, als
berste der Turm und stürze das Gemäuer auf sie und
ihr Kind nieder, und eine Stimme ruft aus: Weh! weh!
Warum redest du? Nun bin ich wieder unerlöst auf
aber hundert Jahre! – und da ist es der Müllerin
schwarz vor den Augen geworden. – Und als sie das
alles ihrem Mann erzählt gehabt, ist sie in eine tiefe,
schwere Krankheit verfallen, und nach drei Tagen ist
sie eine Leiche gewesen. So hat es der Wispermüller
selbst erzählt im Jahr des Herrn achtzehnhundertundvierzehn.
76. Die glühenden Kohlen
Im Städtchen Lorch am Rhein, da, wo die Wisper in
den Strom fällt, steht an der Stadtmauer auch eine
Mühle, deren Räder die raschen Wellen der Wisper
treiben. Einer Nacht erwachte die Magd in dieser
Mühle sehr früh, es war ganz hell, und sie meinte
schon, sich verschlafen zu haben, und eilte, das Feuer
in der Küche zu schüren. Da gewahrte sie, wie sie
durch das Küchenfenster in den Hof hinabsah, einen
Haufen glühender Kohlen und ging eilend hinab, um
davon um so schneller für ihr Herdfeuer Brand zu gewinnen.
Drunten lagen um das Kohlenfeuer einige ihr
unbekannte fremde Männer, sie aber fuhr, ohne sich
an diese Männer zu kehren, mit ihrer Schaufel in die
Kohlen hinein und kehrte mit der Schaufel voll in das
Haus zurück. Aber als sie die Kohlen auf den Herd
schüttete, so glühten sie nicht mehr, sondern waren
erloschen. Sofort lief die Magd noch einmal hinaus
und holte wieder eine Schaufel voll – es ging aber gerade
wie beim ersten, die Kohlen waren tot. Und
nochmals rannte die geschäftige Magd hinaus, da
sprach einer der Männer mit tiefer Stimme: Du, höre,
dieses ist das letzte Mal! – Die Magd erschrak, und
befiel sie ein Bangen, doch sprach sie kein Wort und
eilte nur, daß sie wieder an ihren Herd kam. Aber die
Kohlen waren abermals erloschen – und jetzt hob die
Turmuhr auf der Stadtkirche aus und schlug – und die
Magd horchte und wollte gern wissen, wie früh es
wäre, und zählte drei – vier – sechs – sieben – so spät