Deutsches Sagenbuch - 999 Deutsche Sagen. Ludwig Bechstein
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Название: Deutsches Sagenbuch - 999 Deutsche Sagen

Автор: Ludwig Bechstein

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783742749215

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СКАЧАТЬ mehr, denn die Menschen scheuten sich, und so erwuchs

       die Blutlinde zu mächtiger Höhe und Dicke,

       und können den Baum jetzt kaum vier Mann umklaftern.

       Nahebei liegt ein uralt Gehöft, der Graroder Hof,

       von dem eine verwandte Sage geht. Ein junger Grafensohn

       des Lahngaues liebte ein seinem Geschlecht

       nicht ebenbürtiges Mädchen, deshalb stieß ihn sein

       Vater im Zorne von sich, daß er nie wieder vor sein

       Angesicht kommen solle. Das tat denn auch der junge

       Ritter, er ging und folgte dem Zuge seines Herzens

       und seiner Neigung. Aber um den alten Grafen her begann

       ein Sterben – sein Weib starb, seine Töchter

       starben, dann die vielen blühenden Söhne allzumal,

       einer nach dem andern; zuletzt hatte er nur noch

       einen – und auch dieser eine starb. Völlig vereinsamt,

       völlig kinderlos war der Greis, da gedachte er mit

       Schmerz seines verstoßenen Sohnes, wenn doch der

       noch lebte und bei ihm wäre, er wolle ihn gern nicht

       mehr um seiner Liebe willen verstoßen. Und ob er

       wohl noch lebte? – Da machte der alte Graf sich auf,

       den Sohn zu suchen, und suchte ihn ab und zu am

       Rheinstrom und in den Flußtälern, die in diesen münden,

       und in den Seitentälern und auf den Bergen. Da

       kam er einst ermüdet an ein kleines Winzergehöft,

       und da traf er ein Winzerpaar, Mann und Frau und

       wohl auch Kinder, und sahe, wie diese Leute ringsum

       den Felsboden gerodet hatten und hatten Reben gepflanzt

       und gewannen ihr Brot, das sie mit ihm teil-

       ten, denn er war hungrig, und das junge Weib bot ihm

       Trauben aus irdener Schüssel, und der Mann trat

       dazu, auf der Schulter den blinkenden Karst, blinkend

       von stetem, fleißigem Gebrauche. Da erkannte der

       alte Graf mit einem Male seinen Sohn in dem Häcker

       und fiel ihm um den Hals und weinte und segnete.

       Darauf hat der Ritter über sein Weinberggehöft sich

       eine Burg gebaut und sie mit den Seinen bezogen,

       denn er wollte nicht mehr hinweg von dem Stück

       Erde, das er mit seinem Weibe gerodet und bebaut

       hatte. Das nannte man hernach den Grafenroder oder

       kurzweg Graroder Hof, weil ein Graf es gerodet hatte.

       Der alte Graf lebte noch lange Jahre glücklich bei seinen

       Kindern und Enkeln, und der junge Graf nahm

       zum Helmkleinod einen bärtigen Mann im schwarzen

       kurzen Rock, auf der Schulter eine silberne Rodhaue

       tragend, zum Andenken, daß er selbst mit seiner Geliebten

       den Boden gerodet habe. In der alten Kirche

       zu Schierstein am Rhein sind noch Grabmäler des Geschlechts

       zu sehen.

       73. Not Gottes

       Zu Rüdesheim am Rhein bewohnte das mannliche

       Geschlecht der Brömser von Rüdesheim ihre uralte

       graue Feste, deren Aufbau in die Römerzeit fällt, und

       weiter stromabwärts an der Waldberger Höhe ist das

       Kloster gelegen, welches den wunderbarlichen Namen

       Not Gottes trägt. Ein Brömser von Rüdesheim zog

       nach Palästina, tat allda viele mannliche Taten, bezwang

       viele Sarazenen und kämpfte mit einem Drachen,

       den er auch erlegte, aber bei dieser Gelegenheit

       oder bald darauf fiel er in die Hände der Ungläubigen,

       die ihm schwere Ketten zu tragen auferlegten. Da gelobte

       er in seinem Kerker, seine Tochter, die er als ein

       junges Kind verlassen, dem Himmel zu weihen, wenn

       sie am Leben bleibe und er in die Heimat rückkehre.

       Und siehe, des Ritters Ketten fielen von ihm ab, der

       Himmel nahm das dargebotene Opfer an, der Ritter

       entkam und eilte der Heimat zu. Freudvoll empfing

       ihn seine schön erblühte Tochter, und er offenbarte ihr

       sein Gelübde. Da wurde die Tochter bleich wie der

       Tod – sie war in Minne einem jungen Ritter zugetan,

       dessen Hand zugesprochen zu erhalten sie von ihrem

       Vater zuversichtlich gehofft. Aber es halfen nicht Flehen,

       nicht Tränen, der Vater glaubte dem Himmel vor

       allem schuldig zu sein, sein ritterliches Wort zu hal-

       ten. Da enteilte die Tochter laut wehklagend der

       Brömserburg, erklimmte den nächsten Felsen und

       stürzte sich in den Strom hinab. –

       Groß war des Vaters Schmerz, und da er nun sein

       Gelübde nicht halten konnte, und um des teuern Kindes

       Schatten zu söhnen, tat er ein abermaliges Gelübde,

       er wollte ein Kloster erbauen. Es ging aber ein

       Mond nach dem andern hin, und mochte wohl so

       kommen, daß der alte Brömser durch alten Rüdesheimer

       seinen Schmerz hinwegbannte und darob sein

       Gedächtnis etwas schwach ward – da hatte er einmal

       ein nächtliches СКАЧАТЬ