Название: Deutsches Sagenbuch - 999 Deutsche Sagen
Автор: Ludwig Bechstein
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783742749215
isbn:
158. Das Wunderkorn von Stavoren und der
Frauensand
Bei den Einwohnern der groß und reich gewordenen
Stadt Stavoren ging es gerade so wie bei denen der
Stadt Zevenbergen an der Südersee, sie führten ein
üppiges Leben und kannten ihres Übermutes nicht
Maß noch Ziel. Da war eine Zeit, in der das Korn sehr
teuer wurde, und eine reiche Witwe rüstete ein Schiff
aus und sandte es nach Danzig, dort Korn zu holen,
und gebot dem Schiffer, ihr zugleich von dort das
Köstlichste mitzubringen, was nur dort zu haben sei.
Als nun das Schiff in See war, fiel das Getreide sehr
schnell, und dem geizigen Weibe wurde bange, daß
sie an ihrem Einkauf mächtig Schaden erleiden werde.
Da nun das Schiff aus Danzig zurückkam, ging die
Witwe alsbald an Bord und fragte den Schiffer, was
er ihr Köstliches mitgebracht habe nächst dem Korn,
das ohnedies nichts mehr wert sei, als ins Wasser geworfen
zu werden. Der Schiffer neigte sich und
sprach: Vieledle Frau, den schönsten Weizen bracht'
ich Euch mit, den je ein Menschenauge hat erschauen
können. – Was, Weizen? Und nichts Besseres? rief
die Frau zornig aus. Von welcher Seite nahmst du den
in das Schiff? – Von der Backbordseite, entgegnete
der Schiffer. – Ei so wirf ihn ins Teufels Namen von
der Steuerbordseite ins Meer, und das Korn dazu! Ich
befehle es! – Der Schiffer gehorchte, da brauste es in
den Tiefen, und die Wellen hoben sich und teilten
sich, und es wuchs ringsum vor den Hafen eine mächtige
breite Düne von Sand, Hügel auf Hügel, und auf
der Düne lagen Korn und Weizen und keimten und
schossen auf in Ähren, die blühten auf, aber taub, und
trugen nimmer Frucht. Die Witwe kehrte in die Stadt
zurück, um deren Hafen sich nun die Düne zog, daß
kein Schiff mehr in den Hafen einlaufen konnte und
trug den Fluch der verarmenden Stadt und starb in
Kummer und Elend. Aber auf der Düne, welche bis
auf den heutigen Tag der Frauensand heißt, erwächst
Jahr auf Jahr das taube Korn, der Dünenhelm oder
Dünenhalm genannt, und weht und wiegt sich im
Winde.
159. Stavorens Untergang
Das große Zeichen, das der Herr getan, als er die
Sanddüne aus dem Meeresgrunde aufwachsen ließ,
besserte noch lange nicht die Ruchlosigkeit der Einwohner
von Stavoren, denn solcher Leute, wie jene
gottlose Witwe war, gab es dort nur noch allzuviele.
Da war eine reiche und übermütige Jungfrau, die hatte
viele Schiffe in See und des Gutes so viel, daß sie
nicht wußte, wie viel. Die beauftragte auch einen
Schiffer zur Zeit, wo große Hungersnot im Lande war,
ihr das Kostbarste und Wertvollste, was er in fernen
Landen nur immer zu finden vermöge, mitzubringen.
Und der Schiffer fuhr hinweg und kam bald wieder,
und als die Jungfrau fragte, was er Köstliches für sie
mitbringe, da er so bald zurück sei, sie habe ihn noch
nicht erwartet, sprach der Schiffer: Meine Jungfrau,
das Köstlichste ist jetzt, was der Mensch zum Leben
braucht; ich bringe den schönsten Weizen. – Die
Jungfrau aber hatte reichen Schmuck, Gold, Perlen
und Diamanten erwartet und zürnte: Weizen! Was
soll mir dieses elende Zeug? Gleich über Bord
damit! – Das hörte eine Schar hungernder Armen, die
flehten die Jungfrau kniefällig an, doch ihnen das Getreide
zu geben, es nicht verderben zu lassen! – Aber
die stolze Jungfrau blieb bei ihrem harten Sinne. Der
Schifführer sprach: Meine Jungfrau, bedenket Euch
wohl, es könnte Euch reuen! Gott hört und sieht
Gutes und Schlimmes, er lohnt und rächt. Ein Tag
könnte kommen, wo Ihr, hungrig und arm gleich diesen
Elenden, gern die Körnlein einzeln aufläset, die
Ihr jetzt in das Meer wollt schütten lassen! – Frecher
Knecht! zürnte da die Jungfrau und schlug ein satanisches
Gelächter auf. Gleich wirf den Weizen ins
Meer, und diesen goldnen Ring werfe ich hinterdrein!
So wenig werde ich verarmen, so wenig ich diesen
Ring jemals wiedersehe! Und so geschah die gottlose
Tat.
Und wie die Jungfrau handelte, so handelten in anderer
Weise freventlich auch die meisten Einwohner
von Stavoren. Am andern Tage aber traf die Jungfrau
die Nachricht, daß viele ihrer Schiffe auf der Heimfahrt
aus dem Morgenlande gescheitert seien; am
zweiten Tage die weitere Nachricht, daß ihre übrigen
СКАЧАТЬ