Название: BePolar
Автор: Martha Kindermann
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: BePolarTrilogie
isbn: 9783748590385
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Zwei Mitschülerinnen verabreden sich im Anschluss mit Frau – ich hab mir nicht einmal ihren Namen gemerkt – zu einem Einzelgespräch. Streber, schießt es mir in den Kopf. Die beiden Scheinheiligen aus der 11/5 werden sicher ihr gesamtes Geld den Armen spenden und abgeschieden in einer Waldhütte leben. Mir wird schlecht bei der Vorstellung von so viel Nächstenliebe und sozialem Engagement. Ha – es ist doch etwas hängengeblieben.
Ich schleiche mich auf den Gang und halte Ausschau nach Fenja und Tarik, welche sich der Philosophie hingegeben hatten. Ich entdecke sie, an eine Säule gelehnt und mit Broschüren bewaffnet.
»Und, wie war es? Habt ihr eure Wahl bereits getroffen?«, frage ich die beiden und blicke in vier verdrehte Augen.
»Ich hatte angenommen, das sei die Veranstaltung mit dem geringsten Geräuschpegel und der sicherste Ort für ein Schläfchen. Aber nein, Pustekuchen. Wir waren nur drei Schüler aus der 11/5, einer aus der 11/3, Fenja und ich.« Tarik greift sich an die Stirn und rauft seine Haare. »Dieser Typ hat uns die ganze Stunde Fragen über die philosophischen Tiefen der Welt gestellt und rundherum abgefragt. Ich bin fix und fertig und es ist noch nicht einmal neun Uhr.« Er täuscht einen Ohnmachtsanfall vor und fällt Fenja in die Arme, die ihn gerade noch halten kann. Herr Jakob, unser Klassenlehrer, gesellt sich zu uns und zieht ein ernsthaft besorgtes Gesicht.
»Ist mit Tarik alles in Ordnung?«, fragt er und sieht ehrlich betroffen aus.
»Ihm hat die Philosophie wohl ein wenig zugesetzt«, entgegnet Fenja, »aber er wird in zehn Minuten wieder völlig hergestellt sein, keine Sorge, Herr Jakob.« Beruhigt verschwindet er zur nächsten Schülergruppe und wir können uns vor Lachen kaum noch halten. Tarik sollte sich ernsthaft mit Schauspielerei beschäftigen oder zum Zirkus gehen – nur bitte keine Clownschule. Clowns finde ich gruselig. Die Mehrzahl von ihnen hat auch fernab der Manege eine rote Nase und man kann sie meilenweit gegen den Wind riechen – nichts für Tarik!
Die Pause ist um und alle Schüler verteilen sich neu auf die vorbereiteten Räume. Nächster Punkt: Medizin. Ein wenig in Rheas Hemisphäre hineinschnuppern. Dieser Beamte ist deutlich kompetenter und auch der Kunstworkshop kann sich sehen lassen. Ich bin trotzdem froh, dass ich nicht gleich morgen eine Entscheidung treffen muss, sondern noch ein paar Monate frei und ungebunden sein darf.
Ein Signal ertönt und alle Schüler werden in die Aula gebeten.
Wo sind nur die anderen? Ich warte eine Weile, bis der Gang fast vollständig leer ist. Als ich ein Kichern hinter der Säule vernehme, ist meine Suche beendet.
»Los, ihr Rumtreiber, eure Zukunft ruft. Macht euch bereit für eine neue ›Orientierung‹!« Doch Fenja und Tarik kommen mit gesenkten Gesichtern zum Vorschein.
»Roya«, Tarik hat sein lieblichstes Stimmchen aufgesetzt, »du Roya, wir haben heute aber gar keine Lust auf die Zukunft und wollen uns lieber an der Natur orientieren.« Wer kann diesen Hundeaugen widerstehen. Ich lasse mich also in den Bann der Faulheit und Trägheit ziehen und gehe mit den beiden in den Park. Auf zwei, drei Schüler mehr oder weniger wird es sicherlich nicht ankommen. Den ganzen Elevenkram erfahren wir schon noch früh genug.
Tarik hat, wie immer, eine Decke im Rucksack, also legen wir uns gemeinsam auf den Boden und starren in den Himmel. Kein Wölkchen ist zu sehen. Die Luft riecht nach Nichtstun mit einer frischen Brise Langeweile. Doch gleich wird Tarik uns mit einem seiner Einfälle vertraut machen und den Nachmittag verplanen. Bis dahin schließe ich für einen winzigen Moment die Augen und hole auf, was in der vergangenen Nacht zu kurz gekommen ist.
»Roya, fang!«
Ein Hacky Sack landet direkt neben meinem Gesicht. Ich bin eingenickt und habe einen nassen Fleck auf Tariks Decke hinterlassen. Geschieht ihm nur recht, immerhin muss ich gerade seinen Hacky Sack verkosten.
Ich öffne die Augen und will wütend aufstehen, als ich etwas entfernt zwei Gestalten erspähe. Ein Mann mit kurzem weißblondem Haar um die vierzig und ein Junge in unserem Alter, der mit hängendem Kopf hinterher dackelt. Sein Gesicht ist durch die dunklen Locken beinahe gänzlich verdeckt und macht den Anblick nur noch geheimnisvoller.
»Roya, schieß den Hacky wieder zurück!« Tariks Stimme schallt durch den ganzen Park. Die Leute gaffen zu uns rüber und für eine Sekunde sehe ich dem fremden Jungen genau in die Augen. Mein Herz macht einen kleinen Satz. Nicht schwach werden, Roya. Diese mädchenhaften Gefühle hast du sonst nie! Möglicherweise ist es auch nur die Neugier. Ich muss wissen, warum in aller Welt er überhaupt etwas in mir auslöst! Wer ist er? Wo kommt er her? Ist er lediglich ein Tourist auf der Durchreise? Wir haben eine Gesamtschule, welche er definitiv nicht besucht und wenn doch, dann müsste er just in der Aula sitzen, um sich zu ›orientieren‹.
Ich liege weiterhin in meinem Sabberfleck und muss ein skurriles Bild abgeben, wie ich zu ihnen hinüber glotze. Sie gehen weiter. Ich richte mich auf und schaue ihnen nach. Wer bist du? Meine innere Stimme sagt mir, dass ich es noch herausfinden werde. Schließlich sieht man sich immer zweimal im Leben.
»Träumst du? Gib jetzt endlich den Hacky her, du Schlafmütze!« Tarik kommt etwas genervt auf mich zu und ich gebe ihm den Gegenstand seiner Begierde. Wir kicken noch eine Runde und bummeln dann gemütlich nach Hause.
Meine Gedanken hängen an einem unbekannten Jungen aus dem Park. Hach, ein wenig Träumen ist ja wohl erlaubt. Immer nur das fünfte Rad an Fenjas Wagen zu markieren, kann nicht die Dauerlösung sein.
Die Eltern sind unterwegs und Rhea sicherlich bei ihrem mystischen Lover. Keiner hat ihn je zu Gesicht bekommen. Ich weiß nur, er muss ein netter Typ sein, denn er raubt meiner Schwester jede freie Minute. Vielleicht schalte ich irgendwann einen Detektiv ein, um ihn aufzuspüren, bevor wir ihn am Hochzeitstag auf den südlichen Inseln kennenlernen.
Ich hole einen Joghurt aus dem Kühlschrank und setze mich auf die Hollywoodschaukel in den Garten.
Keine zwei Minuten später schaut Rhea zur Terrassentür hinaus und beendet die Einsamkeit.
»Gute Idee«, sagt sie und setzt sich, ebenfalls mit einem Joghurt bewaffnet, zu mir. »Na, kleine Schwester, wie war deine erste Nacht? Bist du einem Prinzen begegnet und nun froher Erwartung, dass der Traum Wirklichkeit wird?« Sie blickt mich schelmisch von der Seite an. Ha, ha, Prinz, da muss schon noch ein bisschen mehr passieren als ein viel zu alter Lehrer in einer skurrilen Fantasieschule oder ein Unbekannter im Park.
»Nein«, antworte ich, »es ist alles ruhig geblieben, leider.« Nach Fenja's Reaktion heute Morgen habe ich ehrlich gesagt keine Lust, meine Erinnerungen mit einem weiteren Lebewesen zu teilen, um danach aufgezogen zu werden. Also lenke ich vom Thema ab und drehe den Spieß um. »Warum bist du heute nicht bei Entin? Hat er dich versetzt?«
»Na, hör mal!«, sagt meine Schwester mit künstlichem Entsetzen, »Darf ich nicht ein Mal eher nach Hause kommen, um Zeit mit dem Nesthäkchen zu verbringen?« Sie stellt ihren Joghurt ab und drückt mich fest an sich. Wir sind eigentlich beide zu alt dafür, aber ich habe diese Momente schon immer genossen. Es ist ein wahres Privileg, Rhea für mich zu haben. Sie ist elf Stunden täglich auf Arbeit und wenn sie nicht aus purer Bequemlichkeit noch zu Hause wohnen würde, käme sie vielleicht nur zu den Feierlichkeiten vorbei.
Wir schaukeln eine Weile vor uns hin und dann hole ich tief Luft und СКАЧАТЬ