Название: BePolar
Автор: Martha Kindermann
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: BePolarTrilogie
isbn: 9783748590385
isbn:
»In Ihren Rucksäcken befindet sich ein Tablet mit Ihrem Zeitplan, welches stets zu den Unterrichtseinheiten mitgebracht werden sollte. Die Geräte sind personalisiert und somit nur von ihrem Besitzer in Gang setzbar, verstanden?« Die Klasse nickt. »Ein vierstufiger Gong wird Sie an das erste Treffen mit unserer ›Guten Seele‹ Fräulein Hammerschmidt in der großen Halle erinnern und ich bitte um Pünktlichkeit. Sie wird alles Weitere erklären und Ihnen die Räumlichkeiten des Hauses zeigen. Danke.« Sie klemmt ihre Aufzeichnungen unter den Arm, setzt die Brille von der Nase und grinst Herrn Moreno künstlich an, als erwarte sie ein Dankeschön für ihre Ansprache – vergeblich.
»Willkommen in der Akademie und eine gute Zeit!« Das sind Morenos letzte Worte, bevor die Fahrstuhlscheibe die Beiden im Boden verschwinden lässt. Akademie? Vierstufiger Gong? Wann? Wo? Meine Mitschüler springen beinahe panisch auf und verlassen das Atelier. Da ich keinen blassen Schimmer habe, was als Nächstes zu tun ist, folge ich der Meute unauffällig. Das Ufo setzt sich in Bewegung und das Signal erklingt.
Orientierungslos
Dring, dring, dring. Stopp, das waren nur drei Stufen und sie hörten sich auch nicht nach einem Gong an – eher wie ein – Wecker! Ich richte mich ruckartig auf und streife mit dem Kopf die Federn des Traumfängers über meinem Bett. Was für ein skurriler Traum. Ich reibe den Sand aus den Augen und fahre mir mit der Hand über den Nacken. Erholsamer Schlaf ist etwas anderes. Ganz benebelt steige ich in meine Hausschuhe und rutsche auf den Fußboden. An Aufstehen ist noch nicht zu denken, also genehmige ich mir ein paar Sekunden Ruhe. Ich schließe die Augen, konzentriere mich auf die Atmung und lasse die weichen Haare des Teppichs durch meine Finger gleiten. So lebhaft hab ich noch nie geträumt. Gut, dass ich nicht abergläubisch bin, sonst würde ich Rheas Worten womöglich Glauben schenken, was die Erfüllung des ersten Traumes im neuen Bett angeht.
Ich drehe den Kopf zu beiden Seiten, um die Nackenmuskulatur wieder in Gang zu bringen, klopfe meine Wangen wach, ziehe frische Sachen an, drehe einen Knoten in die Haare und schnappe die Schultasche – startklar.
Papa sitzt bereits am Frühstückstisch und liest die Zeitung. Mama bringt die Kanne und gießt ihm seinen zweiten Kaffee ein. Rhea ist natürlich schon ins Krankenhaus gefahren. Hier ist alles beim Alten. Für mich ist es immer eine Überraschung, sie mal beim Frühstück anzutreffen. Entweder schiebt sie Frühdienst oder ist noch in der Nachtschicht und lässt sich nicht blicken.
Ich mampfe mein Müsli und starre aus dem Fenster. Es hat in der Nacht etwas geregnet und nun zieren Nebelschwaden die Felder hinter unserem Haus. Wenn ich diese Szene noch eine Weile beobachten könnte, würde sicher ein Reh vorbeilaufen. Doch es ist Mittwoch und diese Tatsache räumt mir leider nicht mehr Zeit ein als an den restlichen Tagen der Woche.
Nach dem Zähneputzen belege ich mir flink ein Brot und gebe meinen Eltern einen flüchtigen Kuss. Fenja wartet bestimmt schon an der Ecke, denn sie ist im Gegensatz zu mir immer sehr pünktlich.
Wir schlendern die Straße vor bis zum Rathaus und setzen uns an der Bushaltestelle vor der Schule auf eine alte Bank. Sie hat nicht mehr alle Latten und man muss höllisch aufpassen, um sich keinen Schiefer einzuziehen. Gleich wird der Bus vorfahren und den alltäglichen Trubel ins Rollen bringen. Wir genießen die Ruhe vor dem Sturm. Das machen wir schon seit der siebten Klasse so. Jeden Morgen sind wir die Ersten hier und atmen gemeinsam die noch so jungfräuliche Luft des Tages. Keiner kann sie uns nehmen. Wir sitzen einfach nur schweigend nebeneinander. Heute muss ich diese Tradition allerdings brechen, um nicht vor Aufregung zu platzen.
»Letzte Nacht hatte ich einen irren Traum.« Bitte, Bitte, Bitte – lach mich nicht aus. »Ich war in einem riesigen Gebäude, welches sie ›Akademie‹ nannten, trug einen potthässlichen Overall und wurde zusammen mit vierzehn weiteren Freaks in einem gläsernen Zimmer belehrt. Ein extrem gutaussehender Lehrer erzählte uns etwas von ›Ihr seid die Auserwählten‹ und alle anderen schienen diesen Quatsch zu glauben.« Ich berichte ihr von Caris, Frau Prof. Dr. Adaliz Pfefferhauser und dem unfairen Fakt, dass ich heute Morgen viel zu früh aus dieser absurden Traumwelt gerissen wurde.
»Klingt ja irre, Roya. Ich wusste schon immer, dass du zu Höherem berufen bist!« Fenja boxt freundschaftlich auf meinen Arm und grinst wie ein Breitmaulfrosch. Sie verarscht mich – natürlich. Aber dieser Traum war so intensiv und nah. Ich habe immer noch den Duft der Mandelbäume in der Nase und spüre das weiche Leder des Rucksacks zwischen den Fingern.
»Wie sah der ›sexy Lehrer‹ denn aus?«, stichelt Fenja weiter. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, den perfekten Freund für mich zu finden und ist stets auf der Suche nach sachdienlichen Hinweisen meinerseits. Jetzt bekommt sie die Faust in den Arm und wir müssen beide anfangen zu kichern. Glücklicherweise unterbricht der herannahende Bus unser Gespräch, bevor ich rot werden und ihr peinliche Details verraten kann.
Heute ist ›Tag der Orientierung‹ und es haben sich unzählige Offizielle aus Midden in der Schule eingefunden, um uns unsere Perspektiven vorzustellen. Einmal im Jahr haben alle Schüler der elften Klassen die Möglichkeit, sich Vorträge anzuhören, an Workshops teilzunehmen oder sich zum Einzelgespräch mit einem der Zuständigen zu verabreden. Vor zwei Wochen waren uns bereits die Listen für die Anmeldung ausgeteilt worden und somit ist das heutige Programm keine Überraschung mehr. Ich höre zuerst eine Einführung in Soziologie und Sozialpädagogik. Sollte ich diese Veranstaltung unbeschadet überstehen, widme ich mich danach der Medizin und letztendlich der Kunst. Im Anschluss an das ganze Spektakel wird uns das Prozedere der bevorstehenden Elevenauswahl erläutert. Alle sieben Jahre haben wir ›Polarjahr‹, das politische Ereignis schlechthin. Ich gehöre zu den Glücklichen, die im kommenden Wahljahr genau das richtige Alter haben, um an den Auswahltests teilzunehmen. Das erzählt man uns zwar schon seit der Geburt, aber ehrlich gesagt habe ich mich nie für Politik interessiert. Zeit, das zu ändern, schließlich liegt, laut Moreno, genau da meine Bestimmung.
Eine vollschlanke Beamtin mit Schamhaarfrisur hat am Lehrerpult im Klassenzimmer der 11/1 Platz genommen und legt unzählige Broschüren von Hochschulen und anderen Ausbildungsstätten in Fächerform aus. Wir sind circa vierzig Schüler im Raum. Die Bänke wurden am Rand gestapelt und somit ist genug Platz für die doppelte Anzahl an Schülern. Vorwiegend Ökos und Leute mit chronischem Helfersyndrom sitzen mit Bleistift und Papier bewaffnet da und starren Löcher in die Decke. Die Ersten fangen an, künstlich zu husten, um der Dame in vorderster Front ein Startsignal zu geben – zwecklos – dass Gelassenheit zu den typischsten Eigenschaften einer Beamtin gehört, dürfte doch allen bekannt sein.
Ich öffne meinen Haarknoten und beginne kleine Zöpfe zu flechten. Sie werden nicht halten, doch sie vertreiben die Zeit. Eins ist sicher, in Morenos Unterricht könnte ich auf solche Spielereien getrost verzichten.
»Willkommen, liebe Schüler, zum Tag der Orientierung. Ich freue mich über Ihr zahlreiches Erscheinen und hoffe, Sie gehen nach diesen fünfundvierzig Minuten gut informiert in die nächste Veranstaltung.« Fünfundvierzig Minuten? Ihre einschläfernde Stimme klingt jetzt schon wie eine Einladung zum Wegnicken. Leider haben wir keine Tische vor uns, um ein kurzes Nickerchen zu halten. Das haben die so geplant, diese hinterhältigen Halunken. »Ich werde Ihnen die Notwendigkeit der sozialen Berufe verdeutlichen und Sie mit dem Begriff ›Berufung‹ vertraut machen. Nächstenliebe und selbstloses Engagement sind die ersten Stufen auf der Leiter zum Sozialarbeiter, Erzieher, Heilpädagogen oder Streetworker.« Der Text stammt aus einer Broschüre, welche sie im Anschluss austeilt. Entweder sie glaubt, wir seien des Lesens nicht mächtig oder ihr würde Nachhilfe in ›Rhetorik‹, wie СКАЧАТЬ