Название: BeTwin
Автор: Martha Kindermann
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: BePolar-Trilogie
isbn: 9783748590392
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»…gol-de-ne Drücker!« Ein circa zehn Zentimeter großer Fernsteuerungsstab kommt zum Vorschein und Centa Jünger klatscht den Gebrüdern Selten belustigt auf die Schultern.
»Oh wow, ein großer Moment für mich, glauben Sie mir. In meiner Zeit als Eleve hatte ich wahnsinnige Panik vor diesem unschuldigen Ding. Jedes Mal war er für den Rausschmiss eines Kandidaten verantwortlich, um schlussendlich die Finalisten zu krönen. Darf ich?« Ingmar gibt den Drücker wie eine Reliquie an die Präsidentin ab und beäugt sie mit hochgezogenen Augenbrauen. »Er fühlt sich gar nicht so angsteinflößend an. Wollen wir doch einmal sehen, wer heute Abend als Erster oder Erste am Drücker ist. Film ab.«
»Ingmar, ich glaube, wir können Feierabend machen, für den Unterhaltungsfaktor sorgt Madame schon ganz alleine.« John klemmt seinen kleinen Bruder unter den Arm und will gehen, als das Bild auf einem überdimensional großen Bildschirm zu flackern beginnt und Julius, der Pressemann, darauf erscheint.
»Hallo, Ingmar? John? Könnt ihr mich hören?« Auf Stichwort bleibt John stehen und dreht Ingmars Hinterteil ins Bild. Dieser zappelt wie ein gerupftes Huhn, befreit sich aber nach einigen Mühen aus der Umklammerung.
»Julius, du – hier – wirklich?« Ingmar zieht einen Geldschein aus der Sakkotasche und reicht ihn beleidigt seinem Bruder.
»Tja, Julius, er hat unsere Wette verloren.«
»Wette?«, fragt der junge Journalist.
»Ingmar hat das Taschengeld des ganzen Monats darauf verwettet, dass du nach einem Tag schlappmachst und den erfahrenen Kollegen das Feld überlässt. Du weißt schon, die zickigen Mädchen, die überheblichen Jungs und der ständige Druck als junger Mensch den Fernsehbossen zu gefallen… Umso schöner, dass du noch da bist und deine kleine Sammlung mit uns teilst.« Oh ja, langsam kann es mal losgehen.
»Danke für dein Vertrauen John. Ingmar, dir werde ich jetzt wohl beweisen müssen, wie wenig mich zickige Siebzehnjährige oder arrogante Machoteenager beeinflussen können. Frau Präsidentin, Sie sehen, nebenbei gesagt, heute Abend ganz zauberhaft aus.« Würg.
»Ach Sie Charmeur, fangen Sie schon an.« Sie lächelt peinlich berührt in die Kamera und drückt anschließend überdeutlich den ›Gol-de-nen Drücker‹.
Auf der Mattscheibe werden im Zeitraffer sämtliche Schulen des ganzen Landes eingeblendet und die Anzahl der Teilnehmer dazu notiert. Die Konkurrenz ist enorm, auch wenn mir das längst bewusst war und meine Nervosität steigt. Was, wenn Elsika mit ihrer Einschätzung völlig daneben lag und mein Interview dem Cutter zum Opfer gefallen ist. Nur die wahrlich spannenden Entdeckungen finden heute Abend Platz in der Show und erhalten die Chance, auch ohne passendes Testergebnis den Einzug in die Warte zu schaffen. Daumen drücken! Fenja greift meine Hand, um nicht an ihren Nägeln zu kauen, und im gleichen Moment stoppt das Bild, wird wie eine überflüssige Wand von Julius beiseitegeschoben und schafft Platz für seine Performance.
»Wenn das mal kein cooler Effekt war. Leute, ich prophezeie euch, dass heute die beste Realityshow aller Zeiten startet und ihr beide ein Teil davon werden könnt.« Elvis halluziniert, obwohl wir nicht mal Alkohol auf dem Tisch stehen haben.
Julius greift in ein überdimensionales Fischglas, welches aus dem Nichts aufgetaucht ist, zieht ein Foto heraus und schnipst es wie durch Zauberhand ins Sichtfeld. Nun wird ein todschicker Schulhof in Midden sichtbar und Julius steigt ins Foto, erhält ein Mikrofon vom Kameramann und lockt seinen ersten Interviewpartner zu sich heran. Ein unglaublich gutaussehender Kerl mit dunkler Surferfrisur, pechschwarzen Augen und einem Wahnsinnslächeln steht ihm nun gegenüber und genießt seinen ganz persönlichen Moment. Er trägt den Rucksack lässig über der Schulter und hat das rote T-Shirt mit V-Ausschnitt tief in die Jeans gesteckt, sodass wir das Spiel seiner stattlichen Bauchmuskeln darunter erahnen können.
»Whoohoo!« Es purzelt Fenja einfach so aus dem Mund. Als Elvis ihr daraufhin einen verachtenden Blick zuwirft, macht sie sich kurzerhand ganz klein und sucht Schutz an meinem starken Arm. »Stimmt's, er ist eine Wucht, Roya.« Sichtlich nervös wischt sie die Hände an ihrem gepunkteten Rock ab. »Kile, diesen Namen werden wir wahrscheinlich nicht so schnell vergessen.«
»Natürlich Fenja, aber es ist nicht nett, deinen Freund damit zu konfrontieren«, flüstere ich ihr ins Ohr und unterdrücke ein Lachen in der Hoffnung, die beiden Jungs nicht noch mehr vor den Kopf zu stoßen.
»Ach, der soll sich mal nicht so haben. Ich bin kein Hündchen an der kurzen Leine und darf doch wohl ein bisschen träumen.«
Während wir dem Sunnyboy hinterhergeifern, erfreuen sich Tam und Elvis am folgenden Beitrag: Sly! Vor lauter Verblüffung springe ich auf und falle Tam zu meiner Rechten um den Hals. Im selben Moment wird mir die Ungeheuerlichkeit dieser Kurzschlussreaktion bewusst und mein Magen krampft sich zusammen. Ich entschuldige mich tausendfach, um danach in den Sofakissen zu verschwinden. Was sollte das denn gerade? Tam lässt mich nicht aus den Augen und versucht in meinen Gedanken zu lesen. Ein verständnisvoller Blick folgt und die Schamesröte in unserer beider Gesichter zieht sich langsam zurück. Das ist so verdammt peinlich. Hassen will ich ihn und ich gebe mir alle Mühe, diesen Vorsatz einzuhalten, aber für den Bruchteil einer Sekunde sah ich seinen Zwilling neben mir sitzen und mein freudiges Hirn setzte aus. Sly ist ein gemeinsamer Freund, doch meine Loyalität Tristan gegenüber sollte über all dem stehen. Ich schäme mich. Wenn ich einen Wunsch frei hätte, wäre es eine Zeitmaschine, mit der ich diese Blamage rückgängig machen und mein Gewissen erleichtern könnte.
Auch wenn Julius und seine Kollegen einen Jugendlichen nach dem anderen interviewen und jeder einzelne von ihnen Starpotential mitzubringen scheint, zieht die Show wie im Nebel an mir vorbei. Ich spüre heiße Tränen auf meiner Wange und lasse sie meinen Hals hinunterlaufen, ohne etwas dagegen zu unternehmen. Selbst wenn ich das Ticket in die nächste Runde ergattern sollte, ist alles sinnlos, solange Tristan irgendwo da draußen ist und ich keine Gewissheit habe, dass es ihm gut geht. Ich kann nicht noch einen geliebten Menschen verlieren, auf Elvis Sofa sitzen und seinen Bruder umarmen. Mein weißes Shirt wird an einigen Stellen bereits durchsichtig, als Fenja plötzlich aufschreit.
»Roya, Roya, guck, guck!« Sie dreht sich zu mir und erstarrt. »Süße, was hast du denn?« Ich kann nicht reagieren. Auf der Mattscheibe prangt mein Bild, Tam und Elvis klatschen sich mit großem Stolz ab, Fenja würde mich womöglich am liebsten abknutschen und ich zerfließe vor Sehnsucht, Angst, Liebeskummer und Selbsthass.
»Feiert noch ein wenig ohne mich, ich bin gerade zu überwältigt.« Nicht von meinem Erfolg, nicht von all dem Ruhm, der nun auf mich wartet, sondern von der Ungeheuerlichkeit meines Tuns – Ich bin eine schreckliche Person.
»Na klar bist du das.« Gut, dass Fenja keine Gedanken lesen kann. »Es ist wundervoll, dich in XXL auf der Leinwand zu sehen. Daran können wir uns schon mal gewöhnen. Geh heim zu deinen Eltern. Die werden wahrscheinlich im Kreis hüpfen.« Sie drückt mir einen Kuss auf die Stirn und lässt mich ziehen.
Nachdem ich meine tatsächlich hüpfenden Eltern beruhigt habe und mich auf den Weg ins Bett mache, klingelt das Handy in meiner Tasche. Ich bleibe auf halber Treppe stehen, um den Anruf mit unterdrückter Nummer entgegenzunehmen und lasse mich vor Rheas Zimmer auf den Boden fallen. Die Wasserfälle fließen aus meinen ohnehin schon verquollenen Augen und wissen nicht, wer ihnen den Anlass dazu liefert. Sorge? Freude? Angst? Morgen früh weiß ich mehr – adieu erholsamer Schlaf!
Tag 243
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