Название: BeTwin
Автор: Martha Kindermann
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: BePolar-Trilogie
isbn: 9783748590392
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Ferngesteuert trete ich den Weg ins Atelier an. Auf dem Ascenseur sind sämtliche Mitschüler versammelt und warten auf mein Erscheinen.
»Haben wir heute gar keinen Fachunterricht, Ebba?« Ich war davon ausgegangen, dass ich wie nahezu jede Nacht vor meinem virtuellen Lernprogramm lande und das Gesundheitswesen studiere.
»Nö, Ceyda hat uns abgefangen und für einen außerplanmäßigen Notfall ins Atelier gerufen.« Na wenigstens bleibt der Ort eine Konstante.
»Toll, dass es so viele von uns ins Abendprogramm geschafft haben, oder?«
»Wie bitte, nochmal?« Ich habe nur Rauschen vernommen.
»Na ja, da ist Sly, Kuno selbstredend, Fräulein Roya und – ich kann es immer noch gar nicht fassen…« Ebba vollführt einen Siegestanz. »Und ich! Yeah! Klatsch ein!« Sie hält mir ihre Hand auf Augenhöhe, ich schlage dagegen und verziehe den Mund zu einem künstlichen Lachen. Ja, ganz toll für dich. Wäre das gestrige Telefonat nicht gewesen, könnte ich mit den anderen ausgelassen feiern, doch meine Gedanken entgleiten und lassen keinen Platz für Partystimmung.
»Du hättest Taranee sehen sollen, als du den Ascenseur betreten hast. Laserstrahlen kamen aus ihren Augen, da bin ich ganz sicher. Es muss ein unbekanntes Gefühl für sie sein, einmal nicht im Mittelpunkt zu stehen.«
»Mmh.« Gebe ich kopfnickend zu und richte den Blick auf das herannahende Brückengeländer. Als wir stoppen, spüre ich eine Hand auf meiner rechten Schulter und bleibe stehen.
»Lass mich bitte, Tam.« Es ist nicht Wut, die da aus mir spricht, sondern Erschöpfung und Traurigkeit.
»Ich habe eine Botschaft von Fenja und Elvis.«
»Ach ja?« Er schließt mich in seine Arme. Vor der ganzen Klasse umarmt er mich und macht keine Anstalten, diese Umarmung auch wieder zu lösen.
»Danke, ich hab’s verstanden.« Ein wenig schmunzeln muss ich schon. Ich sehe meine Freundin vor mir, wie sie Tam diesen Auftrag erteilt mit dem Wissen, dass er ihn mit großer Ernsthaftigkeit in die Tat umsetzen wird und zudem einen eigenen Nutzen daraus zieht. Die Kupplerrolle kann sie einfach nicht abschütteln.
»Sonst alles soweit okay bei dir?« Es ist wirklich nett, dass er fragt, aber auf eine erzwungene Unterhaltung hab ich gerade überhaupt keinen Bock.
»Ja, alles bestens. Wir sehen uns dann.« Ich presche mit schnellen Schritten voran, um den Abstand zwischen uns zu vergrößern. Sein Mitleid in allen Ehren, aber ich möchte und ich brauche es nicht.
Als Ebba, Taranee, Lana, Kuno, Berd, Sly, Tam und ich Platz genommen haben, fördert der Dozentenascenseur Herrn Lehmann zu Tage und versetzt uns Acht in Staunen. Notfall – Lehmann – das kann nur eines bedeuten: neue Erkenntnisse im Fall CARIS.
»Herr Lehmann, haben Sie sie gefunden?« Das gerade der zurückhaltende Sly die Neugierde schwer bremsen kann, überrascht mich kein bisschen. Nachdem er seinen Irrtum – Caris Entführung sei nur ein Fake, um uns eine Lektion zu erteilen – eingesehen hatte, überkamen ihn die Schuldgefühle. Neben der Schule und seinen Verpflichtungen der Akademie gegenüber machte er es sich zu seinem persönlichen Anliegen Caris zu finden.
»Da liegen Sie ganz richtig, Sly.« Ein Schwall der Erleichterung huscht durch das Atelier und geht auch an mir nicht spurlos vorüber. Es gibt Hoffnung – nach monatelanger Ungewissheit, ob sie nach der Entführung durch die Regierung überhaupt noch unter den Lebenden weilt.
»Gestern wurde sie in Begleitung einer Frau mittleren Alters in Midden gesichtet. Die beiden betraten das Geschäft eines Innenausstatters und kamen vierzig Minuten später schwer beladen wieder hinaus. Danach fuhren sie in Richtung des Regierungsareals. Hier verliert sich die Spur. Leider ist es unserer IT-Abteilung bisher noch nicht gelungen, in die Überwachungsanlage einzudringen und somit die Kameras im Inneren der Gebäude anzuzapfen. Wir gehen davon aus, dass es ihrer Mitschülerin gut geht und haben die Eltern des Mädchens über ihren vermeintlichen Aufenthaltsort informiert. Frau Jünger wird sich natürlich zurückhalten müssen, was die Belange ihrer Tochter Caris anbetrifft, jedoch…« Wie bitte? Nein, was?
»Moment, haben Sie Tochter gesagt?« Sly spricht aus, was uns allen durch den Kopf schießt. Centa Jünger soll Caris Mutter sein und wusste nicht, dass die eigenen Leute diese entführt und vor ihren Augen versteckt haben?
»Wieder richtig. Womöglich sollten wir Ihnen die genauen Details vorenthalten, jedoch definiere ich es als einen Vertrauensvorschuss und hoffe, dass Sie dieses Vertrauen nicht missbrauchen werden.« Um ein wenig Ruhe in die Klasse zu bringen, setzt er sich locker auf das Lehrerpult und legt die Hände entspannt in den Schoß, bevor er fortfährt. »Centa Jünger brachte im zarten Alter von sechszehn Jahren ein blondgelocktes Mädchen zur Welt. Um ihre Bestimmung zu erfüllen, ließ sie das Kind bei dessen Vater aufwachsen und brach jeglichen Kontakt ab. Sie selbst schleuste Caris ins Schläferprogramm, um ihr während der Zeit der Initiation nahe zu sein und die verlorene Zeit aufzuholen. Vor einigen Wochen arrangierten wir mit Cornelius Engels Hilfe ein geheimes Treffen zwischen Centa und ihrer Tochter, um die Wahrheit zu beichten und ihre Identität preiszugeben. Die Aktion wurde verhindert und Caris daraufhin entführt. Die Behörden wollten Cornelius Informationen über BePolar erpressen und Centa eine Beziehung zu ihrem Kind verwehren. Das Polarjahr steht vor der Tür - Ablenkung kann nicht geduldet werden. Was wäre das für ein Skandal und ein gefundenes Fressen für alle Präsidentenkritiker. ›Centa Jünger gibt Kind ab, um Karriere zu machen‹ die Meute würde sie zerfleischen.« Vielleicht hätte sie das verdient? Welche Mutter tut so etwas? Und was ist mit BePolar? Sie holte sich Hilfe bei BePolar, um ihre Tochter einzuwickeln und alles wieder gut zu machen? Sly fehlen die Worte und auch uns anderen ist jegliche Farbe aus dem Gesicht gewichen. Lehmann offenbart uns gerade, die Präsidentin ist Teil dieser wahnwitzigen Putschaktion und gefährdet nicht nur ihr eigenes Leben, sondern auch das ihrer Familie? Ich verstehe die Welt nicht mehr. Gerade war mir diese Frau ans Herz gewachsen und jetzt werde ich so bitter enttäuscht? Die arme Caris.
Es bleibt mucksmäuschenstill. Über den Köpfen der Anwesenden raucht es und Herr Lehmann scheint seine folgenden Aussagen in Stille zu formulieren.
»Präsidentin Jünger ist seit frühester Jugend Opfer einer machtgierigen, hartherzigen und berechnenden Regierung geworden und es leid, nur Spielball zu sein. Sie hat gemeinsam mit Valda Harmann diese Bewegung ins Leben gerufen und appelliert nun an ihre Liebe zum Vaterland, um das System nicht zu stürzen, sondern von innen heraus auf friedlichem Wege zum Besseren zu verändern.« Weiterhin bleibt Sprachlosigkeit das vorherrschende Gefühl. »Ich bitte Sie inständig, die Forderungen der Präsidentin ernsthaft zu überdenken. Wenn ein jeder bereit ist, für unser Gemeinwohl seine eigenen Interessen zurückzustecken oder auch mögliche Zweifel abzulegen, werden Sie Acht, die stärkste Waffe des friedlichen Widerstandes sein. Caris und ihre Familie verdienen eine echte Chance und Sie können daran mitbauen.«
Nach diesen Ausführungen teilt er die Klasse in zwei Vierergruppen ein und gibt Aufgabenstellungen in Form von abstrusen Kochrezepten aus. »Knacken Sie den Code! Zeit läuft.« Großartig, erst setzt er uns solch einen Knaller vor die Nase und nun sollen wir arbeiten, als sei nichts gewesen? Ich brauche einen Moment.
CENTAS LIEBLINGS RÜBLIKUCHEN
Am Anfang steht das Mehl (300 Gramm).
Richtig sieben ist der Schlüssel zum Erfolg.
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