Название: BeTwin
Автор: Martha Kindermann
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: BePolar-Trilogie
isbn: 9783748590392
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»Jetzt möchte ich Sie nicht weiter auf die Folter spannen und zum eigentlichen Grund der heutigen Sitzung kommen.« Danke! »Aus unterschiedlichen Teilen des Landes konnten wir Aufnahmen der Fernsehteams ergattern, um jeden einzelnen Kandidaten etwas genauer unter die Lupe zu nehmen und Tipps für Ihre zukünftige mediale Arbeit zusammentragen. Ich werde nun den ersten Beitrag einblenden und erwarte auch Ihr Feedback.« Bitte nicht ich! Bitte nicht ich!
»Entschuldigung, dürfte ich Sie um ein kleines Statement bitten?« Die Kamera fängt eine herannahende Kleingruppe ein und ich verkrieche mich in meinem Sessel. Im Hintergrund ist klar und deutlich die Aufschrift: ›Gesamtschule NW/74‹ zu erkennen, bevor die Gesichter der beiden Mädchen im Vordergrund auf scharf gestellt werden.
»Selbstverständlich ist meine Freundin Roya offen für all Ihre Fragen.« Fenja schubst mich geradezu in die Arme des Journalisten und mir bleibt nichts anderes übrig, als in die Rolle der perfekten Elevin zu schlüpfen.
»Roya also«, entgegnet der schlaksige junge Mann mit schwarzem Poloshirt und Mikrofon. »Freut mich!« Ich nicke ihm höflich zu und rücke die Brille noch einmal gekonnt zurecht. »Wie fühlen Sie sich nach den Strapazen der letzten Stunden und können Sie bereits Aussagen über ihre Ergebnisse machen?« ›Im Gedächtnis bleiben, Interesse beim Zuschauer wecken, echt sein.‹ Eliskas Worte dröhnen so prägnant in meinen Ohren, dass es ein Leichtes ist, die geübten Floskeln überzeugend anzubringen.
»Verraten Sie mir Ihren Namen?«, konterte ich selbstbewusst.
»Julius«, entgegnete der überraschte Pressemann, der keine fünf Jahre älter zu sein scheint.
»Also Julius.« Ich setze ein keckes Lächeln auf und spiele sämtliche weibliche Trumpfkarten gleichzeitig aus. »Ich habe Hunger, keine Ahnung, warum ich die Toilette im Schulgebäude übergangen habe und werde Sie eigenhändig erwürgen, sollten Sie die Löcher in meinen Schuhen zum Thema Ihres Beitrages machen.« Wenn du deinem Gegenüber sagst: ›denk nicht an rosa Flamingos‹, wird ihm natürlich genau dieses Bild durch den Kopf jagen. Wie erwartet rückte der Kameramann also meine Füße in den Fokus der Aufnahme und zwingt mich zum Handeln.
»Julius, ich hatte Sie gewarnt.« Die Kamera schwenkt auf mein Gesicht und ich deute belustigt einen Würgegriff mit den Händen an. »Da ich heute morgen nichts anderes als diesen zukunftsbestimmenden Test im Kopf hatte, fehlte mir die Zeit, meinem Spiegelbild auch ein wenig Aufmerksamkeit zu schenken. Möglicherweise habe ich diese Vorgehensweise bereut, als Sie und Ihr Team auf einmal vor mir standen. Nun bin ich jedoch zu dem Entschluss gekommen, dass die Zeiteinteilung korrekt war und es in diesem Land wichtigere Dinge als oberflächliche Äußerlichkeiten gibt.« Julius findet seine Worte wieder, streicht sich die blonden, dünnen Haare aus dem Gesicht und bohrt nach.
»Was genau meinen Sie damit? Können Sie unseren Zuschauern etwas mehr Futter anbieten?« Boom – genau dahin sollte ich den Mediengeier lenken – check!
»Ungerechtigkeit, beispielsweise. Fehlende Aufklärung, politische Machenschaften, verschollene Gelder und zu viele Geheimnisse.« Ich setze zum Gehen an in dem Wissen, dass Julius die Verfolgung aufnehmen wird.
»Geht es auch etwas genauer, Roya? Inwieweit könnten Sie als Ministerin denn etwas gegen diese Problemchen unternehmen?« Ich drehe mich um, laufe rückwärts weiter und halte Blickkontakt zur Kamera.
»Ich kann doch noch nicht all mein Dynamit verpulvern. Ein wenig Vorfreude auf die Liveshows möchte ich den Leuten vor den Bildschirmen schon noch lassen. Man sieht sich. Ach, und Julius«, einen dummen Spruch zum Abschied und ich habe ihn an der Angel, »duzen Sie mich beim nächsten Mal, ich komme mir sonst vor wie eine alte Jungfer. Also dann, immer schön artig bleiben.« Ich klemme die Unterlippe zwischen die Zähne und winke verspielt, bevor ich Fenja unterhake und das Schulgelände auf kürzestem Weg verlasse.
»Whoohoo!« Kuno klatscht lauthals in die Hände und auch die anderen lösen sich aus ihren ernsten Posen.
»Roya, mit diesem Auftritt haben Sie ein bombensicheres Ticket in die nächste Runde ergattert und jeder Ihrer Mitschüler wird mir beipflichten, wenn ich Ihnen sage: Das war erst der Anfang! Von mir gibt es heute keine Kritik. Morgen schon wird Ihr Gesicht Teil der ersten Berichterstattung sein. Auf Ihren Spitznamen bin ich schon sehr gespannt. Fakt ist jedoch, die Regierung wird nicht sonderlich erfreut über diesen provokanten Auftritt sein. Zu unserem Glück ist jedoch genau das der Stoff, aus dem gute Fernsehshows gemacht werden. Glückwunsch zur Reifeprüfung. Sie sind unsere erste Dame im Regierungspalast, darauf verwette ich sogar meinen Allerwertesten.« Sie klapst sich mit einem Augenzwinkern auf den perfekt geformten Ar… und benennt das nächste Opfer.
Eine Stunde später haben wir alle Interviews durchgearbeitet und verlassen gestärkt die Aula der Akademie. Ein jeder konnte auf seine Weise glänzen und mit Charme, Klugheit oder Witz die Reporter neugierig machen. Die Dozenten haben gute Arbeit geleistet und selbst Moreno ist nach dieser Performance sein Eigenlob zu gönnen.
»Roya, bleibst du kurz stehen? Bitte!« Warum kann er mich nicht einfach in Ruhe lassen? Wie deutlich muss ich noch werden? Ich möchte ihn nicht sehen, hören, riechen, was auch immer – ja, erst recht nicht schmecken!
»Was?« gehe ich Tam forsch an. »Ist es wichtig, ansonsten würde ich mich gern auf den Weg machen.«
»Ich möchte nicht, dass es zwischen uns so ist.«
»Ach, wie ist es denn zwischen uns?« Die Antwort warte ich gar nicht ab. »Ich kann es dir sagen: AUS! Ich war mit deinem Bruder zusammen, bevor er wie vom Erdboden verschwunden ist und daran bist du ja wohl nicht unschuldig.« Tam greift sich an den Hinterkopf und kneift die Augenbrauen überrascht zusammen.
»›Verschwunden‹ würde ich es nicht nennen.« Ich könnte ihm glatt eine scheuern.
»Ach nein? Wie ›nennst‹ du es denn, wenn ein Mensch unauffindbar ist und kein Lebenszeichen von sich gibt?« Keine Antwort, war ja zu erwarten. »Am Abend der Versammlung trugst du seinen Schal, seine Mütze, seine selbstgestrickten Handschuhe, um dich für ihn auszugeben und an mich heranzukommen.«
»Ja, schon, aber…«
»Aber? Ich höre?« Er will näherkommen, doch bleibt abrupt stehen, als ich meinen Wage-es-ja-nicht-Blick aufsetze, der wie eine Art Hypnose zu funktionieren scheint.
»Ich habe die Sachen meines Bruders genommen und mich verstellt, damit du mir endlich zuhörst. So gefährlich Tristan auch ist, ich würde ihm doch nie etwas anhaben. Dass er nicht wieder auftaucht, konnte ich nicht wissen, als ich ihn versetzt habe.«
»Hä, wie meinst du das?«
»Ich gebe zu, dass es eine linke Nummer war, ihm in deinem Namen eine Abfuhr zu erteilen.«
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