Название: Unter der Sonne geboren - 2. Teil
Автор: Walter Brendel
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783966511872
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In der Menschenmenge stehen auch zwei Dichter, die das Ereignis besingen: Racine, zwanzig Jahre, La Fontaine, neununddreißig Jahre alt. Racine verfasst eine höfische Ode, „Die Nymphe der Seine“, und lässt sie durch seinen Vetter Charles Perrault vorlegen. Der Verfasser der „Märchen“ wirft Racine vor, er habe die neue Königin mit Venus, der Prostituierten, verglichen. Und persönlich trägt Racine seine Ode zu Chapelain, dem allmächtigen Papst der Literatur, der wiederum den Ausdruck „die Tritonen der Seine“ bemängelt. Denn die „Tritonen“ leben nur in Salzwasser, und deswegen muss Racine die ganze Strophe umdichten. Am liebsten hätte er sie wohl alle ertränkt!
La Fontaine hingegen, der ewige Anfänger, denkt nicht daran, irgendjemand den Hof zu machen. Dem prächtigen Maultier-Aufzug Seiner Eminenz gegenüber lässt er eher Bosheit und Spott in seinem Gedicht anklingen. Er bezeigt gallische Impertinenz, er macht deutlich, dass in jedem Franzosen, auch wenn er ein Dichter ist, ein misstrauischer Steuerzahler steckt. Was hat das alles gekostet?
Es war nicht der Prunk allein, der Ludwigs Zuschauer mitriss. Prächtige Auftritte des Königs war man in Paris gewöhnt. Es war vielmehr die Lebenslust, die der königliche Hof auf einmal ausstrahlte. Das übermütige Selbstbewusstsein nach den Jahren des Streits und des Krieges. Seht her!, schien der König zu rufen, als er in seinem silbernen Gewand neben der Karosse seiner Gemahlin durch die Straßen ritt. Seht her, ich bringe euch den Frieden! Ich bringe euch die Jugend! Ich bringe euch die Zukunft!
Ein junger Mann von zweiundzwanzig Jahren statt der bisher nur alte Männer, die ihre griesgrämige Macht ausgeübt hatten. Zweiundzwanzig Jahre auch seine Gemahlin, die als süßestes aller Geschenke den Frieden mitbrachte: Maria Theresia, deren Haar wie Gold in der Sonne leuchtete. Viel mehr als das konnte man von ihr nicht sehen. Nur dieses wunderbare Haar und eine kleine weiße Hand, die - von einem großen Diamantring beschwert - aus dem Fenster winkte. Doch das genügte schon, um die Zuschauer zu begeistern. Sie sei bereits guter Hoffnung, erzählte man sich. Aber das konnte auch ein bloßes Gerücht sein - wie ganz Paris in diesen Tagen voll war von Gerüchten, eines erfreulicher als das andere. Ein zerrissenes, verunsichertes Volk fand sich selbst wieder, war aufgeregt und begeistert und glaubte endlich wieder daran, dass von nun an alles besser werden würde; dass das glorreiche Frankreich zum Wohlstand zurückkehrte, zur Einigkeit und vielleicht sogar zur Vorherrschaft über die anderen Völker des Kontinents.
Die junge Königin habe Ludwig das Versprechen abgenommen, jede Nacht bei ihr zu beenden, erzählte einer und schwor, seine Quellen seien sicher. Wie spät es auch immer sei, dass er zu Bett gehe: Es müsse immer das ihre sein. Alle lachten. „Spanische Weisheit!“, erklärte man. Ein anderer berichtete, wenn der König Maria Theresia seine Gunst erwiesen habe, bekreuzige sie sich und riefe nach dem Segen der Heiligen Jungfrau. Bei Hofe nenne man diesen Vorgang inzwischen schon „zu Maria kommen“, weil sogar Ludwig selbst einmal gesagt habe, auch er ziehe es vor, im Zimmer seiner Gemahlin zu schlafen. Da könne man bequemer „zu Maria kom-men“. Lange Diskussionen über die Liebesgewohnheiten der Spanier folgten, die den Franzosen nach der langen Feindschaft fast genauso exotisch vorkamen wie die Völker des tiefsten Afrika.
„Niemand vermisst mich!“, beklagte sich Anna leise, während auf der Straße die Menschen sangen und tanzten. „Ich will die Aufmerksamkeit nicht von Ihnen ablenken“, hatte sie zu Ludwig und Maria Theresia gesagt. „Deshalb werde ich einen Tag vor Ihnen inkognito nach Paris fahren und als einfache Zuschauerin an Ihrem Triumph teilnehmen.“
Dass es ein solcher Triumph werden würde, hatte Anna allerdings nicht erwartet. Auch nicht, dass es keine einzige Stimme gab, die nach ihr rief. Bisher war sie die Königin gewesen, die Erste Dame, wo auch immer sie auftrat. Dass auf einmal niemand mehr nach ihr zu fragen schien, versetzte ihr einen Schlag, der ihr wehtat. Sie sah den Diamanten, der an Maria Theresias kleiner Hand in der Sonne blitzte, und plötzlich wurde ihr bewusst, dass von nun an diese junge Frau die Stelle einnehmen würde, die bisher ihr, Anna, zugekommen war.
Von Anfang an war Anna entschlossen gewesen, ihre Schwiegertochter und Nichte zu lieben wie ein eigenes Kind. Inzwischen fühlte sie sich allerdings ernüchtert. Maria Theresia hatte ihre Erwartungen enttäuscht. Dass sie die französische Sprache nicht beherrschte, konnte ihr nicht angelastet werden. Ebenso wenig, dass ihr Verstand unter dem Durchschnitt geblieben war. Maria Theresia war verspielt wie ein Kind. Nie war sie glücklicher, als würde sie mit ihren Schoßtieren und Zwerginnen spielen konnte, und immer stand ein Tellerchen mit Naschwerk dabei. Auch ihr Umgang mit Ludwig hatte etwas Treuherziges und Kindliches. Wenn Maria Theresia Liebe machte, tat sie es auf die gleiche naiv-sinnliche Weise, mit der sie ihre Pralinen genoss oder den Finger in die Marmelade tauchte.
Anna, die die beiden aufmerksam beobachtete, hatte den Eindruck, dass Ludwig dennoch mit seiner Ehe zufrieden war. Doch Wie lange noch? Wie sollte sich ein Mann, der der Liebhaber von Oympia Mancini gewesen war und Marie Mancini geliebt hatte, auf Dauer mit einer Frau begnügen, die immer noch jeden Morgen klatschte, um den Hofstaat über seine nächtliche Leistungen zu informieren, und die immer noch davon überzeugt war, dass ein König nur eine Königin lieben könne?
Sie blickte hinunter auf die Straße, wo nun hinter dem Wagen der Königin die Equipagen des Kardinals auftauchten. Auch ihnen winkte das Volk gutmütig zu. Längst hatte man aufgehört, Mazarin zu hassen. Dieser Tag war auch sein Triumph.
Alle wussten, dass es Mazarin gewesen war, der den Frieden herbeigeführt und listig erschachert hatte. „Vive le cardinal!“, riefen einzelne, raue Stimme. Trotzdem konnte man hinter den Scheiben der ersten Equipage, in der man den Kardinal vermutete, nichts erkennen. Keinen Umriss eines Menschen, keine winkende Hand. Niemand ahnte, dass die Equipagen des Kardinals leer waren.
Schon seit einem Jahr hatte sich Mazarin krank gefühlt. Nur die riesige Herausforderung des Friedens mit Spanien hatte ihn noch aufrechterhalten. Schon während der Rückfahrt aber hatten ihn immer öfter seine Kräfte verlassen. Die Gicht quälte ihn, dass er es kaum noch aushielt, und nachts rang er nach Luft. Die meiste Zeit konnte er nicht einmal mehr liegen, sondern saß, der Verzweiflung nahe, aufrecht in seinem Himmelbett. Er dachte an Rom, an den Vatikan und wie viel noch bedacht und organisiert werden musste, bis der gegenwärtige Papst das Zeitliche segnete.
Mazarin lachte bitter auf, während sein Beichtvater, der Theatiner Joly, an seinem Bett saß, das Kinn auf der Brust und die Augen geschlossen. „Womöglich bin ich früher dran als er!“, klagte Mazarin und schüttelte den Kopf.
Der Mönch schreckte hoch. „Wer, Eminenz?“, fragte er schlaftrunken. Als Mazarin nicht antwortete, dachte der kleine Mönch, dass Eminentissime auch nicht jünger wurde und manchmal nicht mehr ganz richtig im Kopf war.
Die Prozession war vorbeigezogen. Die Menschen am Straßenrand folgten ihr. Nach und nach wurde es ruhig. „Darf ich Sie in den Salon bitten, Majestät?“, fragte Catherine de Beauvais. Sie hatte die ganze Zeit geschwiegen. Ihr Gesicht ließ nicht erkennen, was sie dachte, als da unten ihr kleiner König in all seinem Glanz vorbei ritt.
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