Название: Der Aufstieg der Ultra-Läufer
Автор: Adharanand Finn
Издательство: Bookwire
Жанр: Сделай Сам
isbn: 9783903183711
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Nach zirka 3 Kilometern macht Govinda einen Fehler und biegt auf den falschen Weg ab. Ich packe die Gelegenheit beim Schopf und überhole ihn. Doch bald ist er mir wieder auf den Fersen. Ich brauche gar nicht nach hinten blicken, ich höre ihn durch die Pfützen platschen. Allein seine Anwesenheit, so knapp hinter mir, treibt mich weiter an. Ich fühle mich richtig gut, also drücke ich aufs Tempo, als ich die Hügel durch den Wald hinauflaufe. Langsam werden seine platschenden Schritte immer leiser und leiser. Und jedes Mal, wenn ich einen kurzen Blick nach hinten riskiere – zu viel Motivation möchte ich ihm auch nicht geben – ist er ein Stück weiter zurück.
Nach ungefähr fünf Meilen (ca. 8 km) fliege ich nur so dahin. Hinweg über das schwierige, unvorhersehbare Terrain. Wie sich herausstellt, ist „langweilig“ ein relativer Begriff. Die Szenerie ist wild und wunderschön. Doch es ist schwierig, sie genauer zu betrachten. Die meiste Zeit muss ich meine Augen auf den Boden vor mir richten, da der Pfad schonungslos morastig und uneben ist. Ein falscher Schritt könnte hier schlimme Folgen haben.
Ich fange an mich zu entspannen. Irgendwie ist es schade, dass Govinda nicht mehr dagegenhalten kann. Natürlich bin ich auch froh darüber, aber so ist es fast zu einfach. Wir haben beinahe die Hälfte der Strecke erreicht. Das geht ja wie im Flug.
Jetzt den steilen Abschnitt hinunter zum Wendepunkt, ein paar Läufer holen mich ein. Da ich vor allem den Boden im Auge habe, sehe ich nicht, wer die anderen sind, aber ich kann spüren, wie sie an mir vorbei wollen. Anstatt sie weiter aufzuhalten, weiche ich ins Gras aus, um sie vorbeizulassen. Einer, zwei, drei gehen an mir vorbei.
„Mach schon, Dhar“, sagt der Letzte von ihnen.
„Huh?“ Es ist Govinda.
Sie wenden und kommen mir wieder entgegen und er läuft an mir vorbei, ohne mich anzublicken. Vorbei an der Wende beginne ich den Weg, den ich gekommen war, wieder hinaufzuklettern. Meine Beine fühlen sich plötzlich schwer an. Ich habe nicht mehr die Kraft zu versuchen an ihm dranzubleiben. So sehe ich nur, wie er davonzieht, kraftvoll, wie jemand, der jetzt loslegt. Für mich war es das. Ich bin leer.
Mutig kämpfe ich mich weiter. Ich habe die leise Hoffnung, dass er blau läuft und sich zu mir gesellen könnte, doch ich weiß, wie unwahrscheinlich das ist. Außerdem – so denke ich in meinen großzügigeren Momenten – wäre es schade, wenn das passierte. Ich verlege mich nun darauf, nur mehr mein eigenes Rennen zu laufen, doch es sind noch neun lange Meilen (ca. 15 km) zurück bis ins Ziel.
Als ich dann endlich ankomme, ist Govinda schon umgezogen und jubelt mir zu, als ich über die Ziellinie laufe. Danach erzählt er mir, dass er immer wieder gedacht hätte, ich würde ihn wieder einholen und so trieb er sich weiter und weiter an. Am Ende lag er dann mehr als 15 Minuten vor mir. Eine vernichtende Niederlage.
Später, am Weg nach Hause, ruft er seine Frau an. „Wie war es?“, höre ich sie fragen. „Ich habe gewonnen“, sagt er. Nein, das eigentliche Rennen hat er nicht gewonnen. Doch er hat das Rennen, auf das es ankam, gewonnen. Er hat seinen großen Bruder besiegt.
Also, Gratulation an Govinda, doch für mich ist es kein guter Start. Ich sehe jetzt ein, dass ich viel öfters auf dieser Art Terrain laufen muss, lernen muss, nasse, matschige Hügel hinauf- und hinunterzulaufen. Mit einem Ranzen auf dem Rücken. Auch wenn das Rennen nur über 19 Meilen (30 km) ging, so war es komplett anders als ein Straßenmarathon.
Glücklicherweise lebe ich im Süden der Grafschaft Devon, wo ich das Moor und gut 100 Meilen (160 km) Küstenpfade zum Trainieren habe. Ich muss nur raus und dorthin. Die frühen Morgenstunden endlich nutzen.
Ein paar Wochen später, als mein Ultra schon vor der Türe steht, fühle ich mich bereits fitter, spritziger, doch ich bin trotzdem nie mehr als eine Marathonstrecke am Stück gelaufen. Sogar im Oman war keine Etappe länger als die 42,195 Kilometer. Somit ist dies irgendwie mein erster Ultra-Marathon, den ich in gutem Glauben laufe. Wird mein Körper dieser Belastung überhaupt standhalten? Es gibt nur einen Weg, das herauszufinden.
Am Tag vor dem Rennen klopft es an der Tür. Als ich sie öffne, steht dort ein gutaussehender Mann: 1,78 m groß, buschiger rost-oranger Bart, langes Haar mit Zöpfen, die in seine Stirn hängen, und einem breiten Lächeln.
Es ist Tom Payn, ein guter Freund von mir.1 Er ist aus Essex angereist, um das Rennen mit mir1 zu laufen. Auch er möchte am UTMB teilnehmen und befindet sich daher auf Punktejagd. Wir können uns zusammentun.
Tom ist ein richtig guter Läufer und ich weiß bereits, dass er das morgige Rennen wahrscheinlich gewinnen wird. In der Tat erzählt er mir, dass er noch nie ein Ultra-Rennen im Vereinigten Königreich verloren hätte.
Ich traf Tom das erste Mal in Kenia, zu einer Zeit, als er der viertschnellste Marathonläufer im UK war. Es war das Jahr 2011 und er hatte gerade seinen Schreibtischjob bei einer Wasserfilterfirma in Portsmouth gekündigt, um seinen Traum, sich für die Olympischen Spiele in London zu qualifizieren, zu verwirklichen. Dazu verbrachte er sechs Monate in einem kenianischen Trainingslager in der Kleinstadt Iten, wo er sich ein winzig kleines Zimmer mit einem Mitbewohner teilen musste. Zum Duschen gab es nur kaltes Wasser, ein Loch im Boden diente als Toilette und das tägliche Mittagessen bestand aus Reis und Bohnen. Damals sah er nicht so gut aus, wie er es heute tut, doch er hatte ein freundliches Gesicht und eine frohe, warmherzige Natur, jemand, der in allem immer das Positive sehen wollte. Das war auch gut so, denn als er nach sechs Monaten im Rift Valley zurückkehrte, blieb er zehn Minuten über seiner persönlichen Bestzeit und verpasste somit die Olympiaqualifikation.
„Den langsamsten Marathon meiner Karriere bin ich doch tatsächlich nach meinem Aufenthalt in Kenia gelaufen“, meint er. Klarerweise schwer enttäuscht, fühlte er sich damals irgendwie verloren. „Ich wusste nicht, wie es weitergehen sollte“, erzählt er weiter.
Doch er hatte nun einmal eine neue Seite in seinem Leben aufgeschlagen und auf keinen Fall würde er das alles wieder aufgeben und in einen regulären Bürojob zurückkehren. Mit Hilfe seiner kenianischen Kontakte gelang es ihm, einen Job bei einer Sportmanagement-Agentur zu ergattern, wo er kenianische Topläufer zu Rennen auf der ganzen Welt begleitete, sich um sie kümmerte, mit ihnen trainierte und den Tempomacher für sie bei den großen Rennen gab. Er lebte sogar in einer Wohnung in London, die als Unterkunft für Athleten aus Kenia diente, wenn sie für Rennen nach Europa kommen. Trotzdem funktionierte es auf der Straße nicht so, wie er wollte, und als er mich in Devon besucht, liegt seine Marathonbestzeit noch immer bei den 2 Std 17 Min, die er noch als Bürohengst in Portsmouth gelaufen war.
Doch jetzt steht ein Mann vor mir, der vor Vitalität nur so strotzt. Seit den Tagen nach Kenia ist einiges passiert. Vor allem begann er mit Ultra-Marathons, wo er auch Rachel kennenlernte, seine Verlobte. Beides hatte riesigen Einfluss auf sein Leben.
„Im Endeffekt führte mein damaliges Leben, wo laufen und trainieren schon ein Zwang waren anstatt einem Vergnügen, zum frühzeitigen, aber auch kurzzeitigen Ruhestand“, erzählt er mir, als ich uns in meiner kleinen Landhausküche Spaghetti Surprise zubereite. „Als ich wieder zu laufen anfing und mich in den Ultra-Sport stürzte, schwor ich mir, nur mehr aus Liebe zum Laufen zu laufen, und diese Liebe besteht seit damals.“
Der Umstieg zum Ultra-Running СКАЧАТЬ