Название: Der Aufstieg der Ultra-Läufer
Автор: Adharanand Finn
Издательство: Bookwire
Жанр: Сделай Сам
isbn: 9783903183711
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Die Webseite runultra.co.uk führt eine Liste der größten Ultra-Marathons der Welt. Der Betreiber der Seite, Steve Diederich, erzählt mir, dass er, als er diese Internetseite vor zwölf Jahren einrichtete, 160 Rennen weltweit fand. Heute führt er über 1.800 Rennen auf seiner Seite an, ein Anstieg von mehr als 1.000 %. Die deutsche Ultra-Marathon-Webseite DUV listet die Ergebnisse vieler kleinerer Rennen in ihrer akribischen Datenbank auf, unter anderem auch bis zurück zum 89-km-Rennen von London nach Brighton im Jahre 1837. Über die letzten zehn Jahre hinweg erzählt diese Webseite eine ähnliche Geschichte mit einem 1.000%igem Anstieg an Ultra-Läufen weltweit.
Andy Nuttall, Redakteur des Magazins ULTRA, beschäftigte sich eingehender mit den DUV-Statistiken und fand heraus, dass der Aufstieg des Sports in Großbritannien sogar noch viel stärker ausfiel: waren es im Jahr 2000 nur 595 Personen, die einen Ultra-Marathon im UK beendeten, so stieg diese Zahl bis zum Jahr 2017 auf 18.611.
Wo auch immer ich hinsehe, die Geschichte ist fast immer die gleiche. Das in den USA erscheinende Magazin Ultra Running führt eine Statistik für Nordamerika, die zeigt, dass die Anzahl der Rennen und Personen, die diese beenden, seit 1981 jedes Jahr ansteigt. Auch in Asien ist die Zahl an Ultra-Läufen explodiert. Nic Tinworth, Renndirektor in Hong Kong, erzählt mir, dass, während es vor zehn Jahren erst sechs Ultra-Läufe in Hong Kong gab, die Zahl inzwischen auf 60 angewachsen ist. „In der Vergangenheit“, so sagt er, „konnte man einfach am Renntag nach Hong Kong kommen und sich für das Rennen anmelden. Doch heutzutage sind die Startplätze für die populärsten Rennen innerhalb von Minuten ausverkauft.“
Viele der am meisten überbelegten Rennen der Welt, wie etwa der Ultra-Trail du Mont-Blanc in Frankreich und der Western States 100 in den USA, mussten Lotterien einführen, damit sie die Anzahl potenzieller Teilnehmer in den Griff bekamen. Diederich verwaltet die Anmeldungen aus dem UK für den Marathon des Sables. Trotz der heftigen Anmeldegebühr von £ 4.250 [ca. 4.750 Euro], so erzählt er, sind die Startplätze für das Rennen jedes Jahr in wenigen Minuten ausverkauft.
Wonach streben alle diese Läufer? Im Oman erlebte ich eine Art Wandlung, etwas, das lange nach dem Rennen noch ein Teil von mir blieb. Aber ich habe das Gefühl, dass es da noch mehr zu entdecken gibt. Über die letzten beiden Etappen im Oman ging nichts mehr und ich hätte beinahe aufgegeben. Was wäre aber, wenn ich stark bliebe, auch im Angesicht einer solchen Herausforderung.
Ich erinnere mich an ein Foto der spanischen Ultra-Läuferin Azara García, die eine Tätowierung auf ihrem Bein trägt, die sich folgendermaßen liest (auf Spanisch):
„Der Teufel flüsterte mir ins Ohr: ‚Du bist nicht stark genug dem Sturm zu widerstehen.‘ Ich flüsterte zurück: ‚Ich bin der Sturm.‘“
Ist das der Reiz am Ultra-Marathonlauf? Uns selbst so weit zu pushen, bis wir an einen Punkt kommen, an dem wir Angesicht zu Angesicht mit dem Teufel kämpfen, es aber schaffen, uns aufzurichten und ihn zu überwinden? Könnte ich dem Sturm entgegentreten – was auch immer da kommen möge – und ihn mithilfe meiner Willenskraft besiegen? Dieser Gedanke hat etwas Verlockendes. Weit weg von jenem Financial-Times-Journalisten, der sich darüber beschwert, dass sich sein Hotelbus verspätet.
Ich muss zugeben, all das schmeichelt meinem Ego sehr. Ich sehe mir gerade eine Dokumentation über die Evolution des Menschen und welche Rolle das Laufen darin gespielt hat an. Darin meint ein Professor für Anthropologie am Hunter College in New York: „Wir haben sogar Aufzeichnungen über Menschen, die 160 Kilometer in einem durchlaufen können.“ Sein Ton hört sich an, als wäre dies eigentlich unmöglich, als müssten das irgendwelche Supermenschen sein. Und ich ertappe mein Ego dabei, wie es arrogant über meine Schulter blickt und sagt: „Du könntest das auch.“
Wie es die US-Komikerin und Ultra-Läuferin Michelle Wolf in einem Interview mit dem Magazin Runner’s World schon sagte: „Es gibt dir irgendwie das Gefühl, richtig knallhart zu sein.“
Wenn ich mit anderen Ultra-Läufern spreche, habe ich jedoch den Eindruck, dass die Bewältigung einer solchen Aufgabe und es bis ins Ziel zu schaffen nicht die einzige Befriedigung ist, sondern auch dieses Gefühl selbstzerstörerischer Gleichgültigkeit, das sie verspüren, wenn sie in diesen Sturm eintreten und nahe am Abgrund entlangtaumeln. „Durch ein Tal von Schmerzen laufen“, wie es erfahrene Ultra-Läufer oft genüsslich beschreiben.
Während ich nach Rennen suche, an denen ich teilnehmen könnte, ertappe ich mich dabei, wie ich mir die Streckenprofile ansehe, und ich spüre, wie mir ganz mulmig wird. Es kommt mir so vor, als ob jedes Ultra-Rennen einen kurzen Film mit viel Dramatik produziert. Und jeder dieser Filme zeigt jemanden, der komplett erledigt aussieht, am Rande des Zusammenbruchs. Die Läufer gleichen eher Überlebenden einer Beinahe-Apokalypse als Athleten und Athletinnen. Es sagt schon etwas aus, dass genau diese Bilder verwendet werden, um das Rennen zu bewerben. Die Teilnehmer wollen diese Verzweiflung erleben, sie wollen so nahe wie möglich an ihre eigene Selbstzerstörung kommen.
Viele Ultra-Läufer sagen mir, sie hätten ihre Inspiration, mit diesem Sport zu beginnen, gefunden, nachdem sie Dean Karnazes erstes Buch Ultramarathon Man: Aus dem Leben eines 24-Stunden-Läufers gelesen hatten. Darin beschreibt er in allen Details, wie er in einem 160-km-Rennen langsam kaputtgeht, wie Körper und Geist nach und nach aufhören zu funktionieren, bis eigentlich nichts mehr geht und er die Straße buchstäblich auf Händen und Füßen entlangkriecht. Ich erschaudere, während ich das Buch lese. Solche Schmerzen will ich nicht empfinden. Doch es gibt Läufer, die sagen, dass sie das Buch gelesen hätten und dabei dachten: „Genau das will ich auch.“
Etwas ängstlich, doch mit einem Ego, das mir zuflüstert, ich wäre robust genug, beginne ich nach einem Rennen zu suchen, bei dem ich die volle Ultra-Marathon-Erfahrung machen könnte. Ein Rennen, das mich direkt ins Herz dieses wachsenden Sports brächte, das mir alle Geheimnisse offenbaren würde und es mir erlaubt zu verstehen, was da eigentlich vor sich geht.
Das Ganze ist ein riesiges, unüberschaubares Thema, das ich hier begreifen will. Ein Sport, der sich gleichzeitig in mehrere Richtungen entwickelt. Ohne zentralen Verband oder Dachorganisation streiten und kämpfen Rennveranstalter, Interessensgruppen und selbsternannte Wächter des Ultra-Laufs um Kontrolle und einen Anteil am Geld, das darin involviert ist. Das weite Feld des Ultra-Marathonsports ist wie der Wilde Westen: unbändig und entschlossen, verteidigt von vielen der Alteingesessenen gegen die Eingriffe von Marken und Außenstehenden – Personen, von denen sie der Meinung sind, dass sie die Mentalität des Sports nicht wirklich verstehen. Es ist dieser unbeschwerte „Raus-in-die-Wildnis“-Minimalismus, die Chance, sich da draußen in der Natur zu verlieren, die härtesten und extremsten Gegenden unseres Planeten mit nicht mehr als einer Flasche Wasser und einer Regenjacke zu durchqueren, das den Reiz dieses Sports für viele ausmacht.
Einige der routinierten Ultra-Läufer empfinden den Zustrom von Neulingen bereits als zu viel und sie beginnen den großen Rennen den Rücken zuzukehren, auf der Suche nach noch isolierteren Herausforderungen. Ein Ableger für all diejenigen, die Massenstarts und „Goody bags“ mehr verabscheuen, als die eine oder andere Nacht unterkühlt an einer gefrorenen Felswand zu verbringen, ist ein weiteres wachsendes Phänomen namens FKT (Fastest Known Times/Schnellste bekannte Zeit). Dabei läuft man einfach los, meist allein, um eine bestimmte, vordefinierte Route schneller als irgendjemand anderer (von dem man die Zeit weiß) zuvor zu bewältigen. Das kann von einem bis ans andere Ende Neuseelands sein, oder ein bekannter Wanderpfad, wie der Appalachian Trail in den Vereinigten Staaten. Oder der Weg hinauf zum Gipfel des Mount Everest.
Doch darüber werde ich später mehr herausfinden. Jetzt suche ich einmal nach Rennen. Das reicht fürs Erste für mich. Ich habe viele Rennen über die Jahre bestritten. Nun möchte ich einfach längere СКАЧАТЬ