Der Aufstieg der Ultra-Läufer. Adharanand Finn
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Название: Der Aufstieg der Ultra-Läufer

Автор: Adharanand Finn

Издательство: Bookwire

Жанр: Сделай Сам

Серия:

isbn: 9783903183711

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СКАЧАТЬ Szenario trat ein, als der Hardrock 100, einer der bekanntesten Ultra-Läufe in den Vereinigten Staaten, sich dazu entschied, nicht länger Geld dafür zu bezahlen, ein UTMB-Qualifikationsrennen zu sein. Das war vor allem deswegen relevant, da der Superstar dieses Sports und dreifacher Sieger des UTMB, Kilian Jornet, auf die Punkte des Hardrock 100 zählte, um am UTMB teilzunehmen. In den Regeln des UTMB steht klar und deutlich, dass jeder Athlet und jede Athletin Punkte haben muss, auch die absoluten Spitzenathleten. Als die die Betreiber des UTMB nun aber sahen, dass die Veranstalter des Hardrock die Gebühr nicht entrichtet hatten, sandte die ITRA den Organisatoren des Hardrock 100 eine E-Mail, in der der Verband den Betreibern höflich nahelegte, die Gebühr zu bezahlen, damit Jornet in Frankreich starten könne.

      „Wir mochten dieses System einfach nicht und waren der Meinung, dass es etwas respektlos wäre“, meinte David Coblentz, Vorstandspräsident beim Hardrock 100. „Sie kommen nicht einmal vorbei, um deinen Kurs zu begutachten. Du schickst ihnen nur eine GPX-Datei, die sie in einen Algorithmus hochladen und dann geben sie dir Punkte. Das ist eigentlich nur eine andere Art Geld zu machen.“

      Coblentz erklärte weiter, dass die jährliche Gebühr trotzdem zu bezahlen ist, auch wenn sich der Kurs nicht geändert hat und die GPX-Datei dieselbe sei. „Und das ist wirklich nicht akzeptabel.“

      Somit verfassten der Hardrock 100 und noch acht weitere US-Rennen einen offenen Brief, in dem sie ihre Absicht, die Gebühr nicht mehr zu bezahlen, kundtaten und ihre Gründe dafür anführten. In diesem Brief hieß es: „Es ist nicht unsere Absicht, den UTMB/ITRA dafür zu kritisieren, ihre Gewinne maximieren zu wollen, doch ihr ‚Pay-For-Points‘-System trägt rein gar nichts zum Wohl des Sports bei.“

      Die ITRA antwortete in einem eigenen offenen Brief, in dem sie klarstellte, dass sie eine Non-Profit-Organisation sei, dass sie nur versuchen würde, dem Sport bei seiner Entwicklung zu helfen (durch medizinische Forschung, Sicherheitsberatung, Einführung globaler Standards), und dass sie eine vom UTMB unabhängige Einrichtung sei. Doch Hardrock weigerte sich weiterhin einzulenken. „Danach haben wir nichts mehr von ihnen gehört“, sagt Coblentz.

      Trotz der Pattsituation war Jornet in jenem Jahr dann doch am Start des UTMB. Es scheint so, als konnte das größte Rennen in diesem Sport nicht ohne seinen größten Star existieren, und so wurden die Regeln eben ein wenig zurechtgebogen. In ihrem Brief schrieb die ITRA, dass – Gebühr hin oder her – der Verband beschlossen hätte, „das Rennen [Hardrock 100] ausnahmsweise doch im Nachhinein zur Liste der Qualifikationsrennen hinzuzufügen.“

      Dieses ganze Hin und Her sagt doch sehr viel über den Zustand, in dem sich dieser schnell wachsende Sport befindet, aus. Hinter all den tollen Instagram-Einträgen und den großartigen Leistungen der Athleten hat sich eine Art Goldrausch manifestiert, mit Goldsuchern, die um Macht und Kontrolle kämpfen. Genauso wie die ITRA und die großen Rennen haben sich bereits auch multinationale Bekleidungshersteller und Outdoor-Sportausstatter eingefunden und stecken ihre Claims ab, indem sie die größten Veranstaltungen und Top-Athleten und Athletinnen unter Vertrag nehmen und clevere Werbekampagnen produzieren, virale Filmchen mit Männern und Frauen, die durch prächtige Landschaften laufen und irrwitzige Abhänge hinunterrasen. Der Ultra-Marathonsport ist noch immer ein weitgehend unerschlossener und unkontrollierter Markt und es gibt kein Anzeichen dafür, dass sich das Wachstum in absehbarer Zeit verlangsamen wird. Während die LäuferInnen also da draußen durch ein Tal der Schmerzen laufen, sehen andere einen offenen, unbewachten Eingang zu einer Goldmine und beeilen sich, einen Teil dieser Mine für sich zu beanspruchen.

      Trotz allem will ich noch immer den UTMB laufen. Wenige Monate nach dem Interview mit Elisabet, mein Interesse am Ultra-Lauf ist noch immer hellwach, sehe ich mir den Start des Rennens im Internet an. Es ist ein Freitagnachmittag und ich sitze im Londoner Büro. Auf meinem Bildschirm ist der Hauptplatz von Chamonix zu sehen, auf dem sich gerade hunderte von nervös dreinblickenden, berggestählten Männern und Frauen versammeln, während mitreißende klassische Musik aus den Lautsprechern dröhnt und langsam im Tal verhallt. Dann laufen sie los, sprinten durch die Straßen und hinaus in die Berge.

      Als ich das Büro verlasse, bahne ich mir meinen Weg durch die belebten Straßen Londons zur Paddington Station, wo ich den Zug nach Devon, meinem Wohnort, besteige. Als ich gut erholt am Samstagmorgen erwache, denke ich daran, wie sie noch immer alle da draußen sind und laufen.

      Später, es ist bereits Samstagabend, denke ich wieder an die Läufer, die noch immer um den Berg laufen. Ich logge mich ein und sehe, dass ein schweres Gewitter über dem Rennen niedergeht. Nach 24 Stunden laufen ist das ziemlich hart. Was wohl gerade in den Köpfen der Athleten und Athletinnen vorging?

      Es ist nun Sonntagmorgen und ich befinde mich gerade auf einem gemütlichen 15-Kilometer-Lauf im Park. Wieder muss ich an die Läufer beim UTMB denken. Es erscheint komplett verrückt, dass sie noch immer unterwegs sind, noch immer laufen. Andererseits hat dieser Gedanke auch etwas ganz Faszinierendes an sich und ein seltsames Gefühl von Eifersucht steigt in mir hoch. Ich muss dieses Rennen einfach laufen. Es ist das pulsierende Epizentrum des Ultra-Trail-Laufens, der Schlüssel zu diesem Rätsel. Und wenn ich dabei sein will, muss ich mich eben an die Regeln halten und einige dieser Qualifikationsrennen auf der Liste absolvieren.

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      Während der nächsten Wochen verbringe ich Stunden damit, mir Videos von Rennen im Internet anzusehen. Teilnehmer, die nervös zusammengedrängt an der Startlinie stehen, oft noch in der Dunkelheit, um sich dann in irgendeine unwirtliche oder gar gefährliche Gegend aufzumachen. Die Musik schwillt an, als die Kamera den Läufern und Läuferinnen durch Schluchten hindurch oder über einsame tropische Strände sowie durch Schneestürme folgt. Man sieht Nahaufnahmen von Teilnehmern, die weinen, sich umarmen und beinahe stürzen, bevor das Video dann mit Szenen vom Zieleinlauf endet, die beim Zuseher Gänsehaut verursachen. Diesmal sind es Freudentränen, Kinder, die die mit Schlamm bedeckten Beine der Eltern umarmen, bevor die Kamera wieder zurück über den Himmel schwenkt und dabei eine epische Welt offenbart, bis das Rennlogo zum finalen Crescendo der Streicher am Bildschirm erscheint.

      Nach einer Weile erscheinen die Zahlen, die zu Beginn heruntergerasselt werden, bedeutungslos: 100 km, 200 k, 3.000 Höhenmeter, 36 Stunden Cut-off-Zeit. Alles nur Zahlen. Die Videos sind der Beweis dafür, dass es geht. Melde dich einfach an und überlege dir den Rest später.

      Es ist lustig, die Gesichter der Leute zu sehen, wenn ich ihnen erzähle, dass ich mich für ein 100 km Rennen angemeldet habe.

      „So weit ist das ja auch nicht“, meint meine Arbeitskollegin und Laufkumpanin Kate. „Mit dem Auto!“ Sie hat recht, was mache ich da eigentlich? Aber das Video, sieh dir das Video noch einmal an. Diese Leute sehen alle ganz normal aus. Da gibt es immer mindestens einen mutigen älteren Typen, der es schafft. Wenn der das kann …

      Bevor ich es mich noch versehe, ist mein Jahr mit Reisen nach Kalifornien, Italien und Südafrika verplant. Aber der Beginn meiner Reise ist etwas bescheidener, nahe meinem Heim in Devon, im Südwesten Englands, mit einem „kurzen“ 55-km-Ultra, entlang Englands unglaublich schönem und 630 Meilen langem (1.014 km) South West Coast Path. Das liegt jetzt nicht so viel über der Marathondistanz und wird ein netter gemütlicher Beginn sein.

      3

      Ich habe fast sechs Monate, um für den South Devon Ultra in Form zu kommen, doch nach zwei Monaten kämpfe ich immer noch damit, mein Training zu steigern. Aus Zeitgründen war es mir bis jetzt nicht möglich gewesen, länger als zwei Stunden am Stück zu laufen. Ich muss es irgendwie schaffen, den frühen Morgen zu nutzen – ich sehe es bei immer mehr Ultra-Läufern, denen ich auf sozialen Medien folge, dass sie frühmorgens trainieren, um Vorbereitung, Arbeit und Familienleben unter einen СКАЧАТЬ