Название: Textlinguistik
Автор: Группа авторов
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: narr studienbücher
isbn: 9783823301066
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4.2 Isotopie und semantische Kontiguität
Erste Ansätze zu einer semantischen Beschreibung von textueller Kohärenz, Ende der 1960er-Jahre entwickelt, basieren auf der Analyse von Bedeutungsbeziehungen auf der Wortebene. Vor gemeinsamen sprachtheoretischen Hintergründen entwickelten sich im französischen und im deutschen Sprachraum unterschiedliche Varianten dieser Beschreibungen.
4.2.1 Isotopie-Konzept von A. Greimas
Der litauisch-französische Sprachwissenschafter Algirdas Julien Greimas (1966, dt. 1971) und in seinem Gefolge andere französische Sprachwissenschafter, vor allem François Rastier (1972, 1987), entwickelten in ihrem Ansatz der ISOTOPIEIsotopie den Gedanken, dass Kohärenz zwischen Texteinheiten durch semantische Gemeinsamkeiten zwischen den einzelnen Wörtern eines Textes entsteht. Diese Gemeinsamkeiten können direkte Bedeutungsverwandtschaften zwischen einzelnen Wörtern, aber auch Bedeutungsgemeinsamkeiten auf einer eher versteckten, sozusagen über dem Satz „schwebenden“ Ebene sein. Bei Der Hund bellt besteht die Isotopie in den Bedeutungselementen ‚Lebewesen‘ und ‚Hund‘, die sowohl in der Bedeutung von Hund wie in jener von bellen vorhanden sind. In einem Satz wie Nelson befahl, die Segel zu hissen ist allen Lexemen der Hintergrund ‚Seefahrt‘ gemeinsam.
Greimas stützt sich bei seinem Ansatz auf die damals (in den 1960er-Jahren) neu entwickelte Methode der semantischen KomponentenanalyseKomponentenanalyse, semantische: Wortbedeutungen sind, analog zu Phonemen, keine unanalysierbaren Atome, sondern lassen sich in Einzelkomponenten, so genannte SEME oder SEMANTISCHE MERKMALE aufspalten (Pottier 1964, vgl. auch den Überblick in Dupuy-Engelhard 2002). Wörter lassen sich gruppieren, zusammenfassen und bedeutungsmäßig differenzieren entsprechend den gemeinsamen oder unterschiedlichen semantischen Merkmalen, die ihre Bedeutungen ausmachen. Dazu kommt als theoretische Voraussetzung, dass Bedeutung nur dadurch entsteht, dass zwei Elemente in Opposition zueinander stehen. Der Gegensatz zwischen zwei Elementen erzeugt einen semantischen Unterschied, der durch einen positiven bzw. negativen Wert in Bezug auf ein Merkmal ausdrückbar ist. Durch den Gegensatz Ente – Erpel entsteht so beispielsweise ein Bedeutungsunterschied ‚weiblich‘ – ‚nicht-weiblich‘. Dadurch, dass zwei Wörter in eine Opposition gebracht werden, werden sie wiederum in eine gemeinsame Klasse zusammengefasst, sie haben ein gemeinsames Merkmal, vom französischen Semantiker Bernard Pottier KLASSEMKlassem genannt. Ente und Erpel gehören zusammen, weil sie das gemeinsame Merkmal ‚Gattung Ente‘ enthalten.
Greimas übernimmt diese Idee der Aufspaltbarkeit und Zusammenfassbarkeit von Wortbedeutungen in Einzelbestandteile. Er wendet jedoch die paradigmatische Blickrichtung der Semanalyse in die syntagmatische Blickrichtung: Betrachtet werden nicht die Bedeutungsbeziehungen in einer Liste von Wörtern im Lexikon, sondern innerhalb einer Folge von Wörtern im Text: Welche gemeinsamen semantischen Merkmale haben Wörter innerhalb eines Textausschnittes? Gemeinsame Merkmale in einem Text werden ISOTOPIEN genannt; ein Text hat Kohärenz, wenn er Isotopien aufweist. Greimas selbst gibt unterschiedliche Definitionen oder Umschreibungen dafür (siehe die Diskussion in Rastier 1987: 88ff.). Eine erste lautet:
„Eine Äußerung oder irgendeine Wortfolge in einem Text kann nur dann als isotop gelten, wenn sie [ihre Teile, A.L.] eines oder mehrere KlassemeKlassem gemeinsam haben.“1
Isotop sind also Texteinheiten, deren einzelne Ausdrücke durch eines oder mehrere gemeinsame übergreifende Merkmale – Klasseme – zu einer oder mehreren Klassen zusammengefasst werden. Das Klassem selbst wird in der Regel nicht explizit benannt, sondern existiert nur implizit.
Während dieser Hinweis auf eine semantische Gemeinsamkeit der Elemente eines Textes mit dem Konzept der KOHÄRENZ intuitiv sehr verträglich ist, kann möglicherweise in der folgenden Umschreibung der Ausdruck redundant irritieren: „Unter Isotopie versteht man allgemein ein Bündel von redundanten semantischen Kategorien, die dem entsprechenden Text zugrunde liegen.“2
Es handelt sich hier jedoch nur um eine andere Blickrichtung: Redundant ist ein Bedeutungselement, das zu einer bereits vorhandenen Information keine weitere zusätzliche hinzufügt. In diesem Sinne ist, informationstheoretisch gesprochen, ein immer wiederkehrendes Bedeutungsmerkmal tatsächlich redundant, denn es bringt an sich kein neues Bedeutungselement in die Textinformation. Isotopietheoretisch verbindet es umgekehrt die einzelnen Elemente eines Textes.
Welche Isotopien sich hinter einem Text verstecken, hängt von der Kombination von Wörtern im Text ab. Die Kombination von chien (‚Hund‘) und aboie (‚bellt‘) im Satz
(4–2a) Le chien aboie (‚Der Hund bellt‘)
schafft ein gemeinsames, isotopes Merkmal ‚Tier‘, während in
(4–2b) Le commissaire aboie (‚Der Kommissar bellt‘ = ‚brüllt‘)
die beiden Elemente durch das Merkmal ‚Mensch‘ verbunden werden. Die theoretischen Implikationen und Ansprüche von Greimas sind weiterreichend, als diese einfachen Beispiele erahnen lassen.
Je umfangreicher ein Text, desto mehr Schichten von Isotopien werden darin aufgebaut. Greimas geht mit anderen Strukturalisten davon aus, dass das Seminventar, das hinter den Isotopien steht, universaler Natur ist: Es gibt in einer Sprache eine universale Menge von Semen, aus denen die Isotopiestruktur eines Textes aufgebaut wird, und umgekehrt, die Bedeutung eines Text bewegt sich oder realisiert sich innerhalb eines Inventars von universellen Semen. Isotopiestrukturen werden in Texten auch schichtweise aufgebaut. Kleinere Texteinheiten haben ihre einfache Isotopiestruktur mit dominierenden KlassemenKlassem; wenn mehrere Texteinheiten zusammengefügt werden, ergeben sich in der Kombination der Klasseme dieser Texteinheiten Oppositionen und Isotopien zwischen diesen Klassemen; und aus diesen Oppositionen und Klassemen lassen sich auf der nächsthöheren Ebene weitere Isotopien und Klasseme ableiten. Ein Text ist sozusagen ein Raum von Isotopien, welcher einen Bedeutungsraum widerspiegelt, in dem sich ein Text bewegt.
Greimas erweitert die Konzeption, dass bedeutungshaltige Objekte auf Oppositionen aufbauen, auch für eine Erzähltheorie. Zum einen versucht er das AktantenmodellAktantenmodell, das der russische Märchenforscher und Erzähltheoretiker Vladimir Propp 1928 für russische Märchen entwickelt hatte, zu verallgemeinern. Propp (1975) formulierte allgemeine Strukturprinzipien, wonach in Märchen immer bestimmte Handlungsrollen und HandlungsmusterHandlungsmuster vorkommen. Greimas vereinfacht diese Muster zu einigen wenigen Oppositionspaaren: Held – Helfer, Held – Gegner, handelnde Person – Objekt. Erzähltexte werden nach Greimas letztlich durch solche Gegensatzpaare konstituiert. Ferner bewegen sich auch die einem Text zugrunde liegenden Isotopien in einem solchen Raum von Oppositionen.
Die Analyse von literarischen Texten besteht so im Aufzeigen der versteckten Isotopien und Isotopien-Oppositionen wie z.B. СКАЧАТЬ