Machtästhetik in Molières Ballettkomödien. Stefan Wasserbäch
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СКАЧАТЬ einbringt, wohingegen sich die barocken Zwischenspielkompositionen auf einen ornement zur Komödienhandlung beschränken, auf eine semiotische Bereicherung. Gemein ist den beiden Komödientypen des 17. Jahrhunderts der spektakuläre Charakter ihrer Balletteinlagen, den Molière aber durch den festlichen Aufführungskontext seiner Werke noch übertrumpfen wird. Trotz ihrer ästhetischen Unvollkommenheit sind sie Wegbereiter für Molières comédie-ballet und setzen ein erstes Zeichen in der französischen Kunst der Komödienkomposition.

      1.4 Die Herausbildung einer neuen Intermedialität – der nouveau langage théâtral

      Antike Strömungen, frühneuzeitlicher italienischer Einfluss, das französische Hofballett und barocke Dramentypen bestimmen in Abstimmung mit dem Zeitgeist der französischen Klassik das strukturelle Wesen der Gattung. Die meisten Mischgattungen entwickeln sich zur französischen Oper und forcieren die Musikalität, während sich Molières Hauptaugenmerk auf das Sprechtheater richtet – an erster Stelle steht bei ihm immer noch die Komödie – und er die beiden anderen Theaterformen als artistische Bereicherung integriert. Dieser Fokus initiiert eine noch nie zuvor dagewesene Ausdrucksform der französischen Komödie, letztlich eine neue Theatersprache:

      Nous avons donc très clairement des éléments des trois domaines majeurs de toute langue, intégrés dans une fonction poétique qui trace de nouvelles dimensions. Tout ceci forme ce que je crois valoir le nom d’un nouveau langage théâtral.1

      Dieser nouveau langage théâtral bildet sich durch die Integration der Intermezzi in die Dramen- und Sujetstruktur der Komödie heraus, sodass Musik und Tanz dramatisiert und theatralisiert werden können. Die beiden hauptsächlich in den Interludien eingesetzten Künste übersetzen das Darzustellende in die Semantik ihrer jeweiligen Sprachen; die Musik in Klänge, der Tanz in Bewegung.2 Dieser semiotische wie auch semantische Mehrwert des nouveau langage théâtral lässt ein gesteigertes Aktionspotenzial auf der französischen Bühne des 17. Jahrhunderts aufkommen, das eine neue, komische Lesart dieser nonverbalen Handlungselemente ermöglicht: Die für die Ballettkomödie spezifische Dramenstruktur weist in Richtung eines neuen ontologischen Komikverständnisses, denn zusätzlich können Musiker und Tänzer zu komischen Effekten beisteuern und neue Kommunikationsprozesse generieren. Patrick Dandrey spricht in diesem Zusammenhang von einem Wendepunkt in der Komödienentwicklung in der französischen Klassik:

      Le genre de la comédie-ballet se serait […] offert opportunément pour incarner cette conception nouvelle du rôle de la dramaturgie comique, qui aurait à partir de là tourné le dos à l’esthétique du ridicule pour s’accommoder de la folie des hommes et la transcender en fantaisie débridée à la faveur des divertissements fantasques du ballet de cour.3

      1.5 Zeitgenössische Reaktionen auf und poetologische Reflexionen über die Ballettkomödie

      Zeitgenössische Äußerungen zum Fortschrittscharakter der Ballettkomödie sind im Gegensatz zu den meisten Lobeshymnen der Literaturkritiker heutigen Datums eher rar, weil noch wenig Sensibilität und Bewusstsein im Hinblick auf die Anerkennung der Ballettkomödie als eigenes Genre herrschte. Die Berichterstattungen des königlichen Sekretärs André Félibien sprechen neben diversen Artikeln zeitgenössischer gazettes in der Regel jedoch positiv von diesem Gesamtkunstwerk. Dementsprechend wurde beispielsweise die nach heutigem Empfinden schwierig zu erfassende Handlungseinheit der Ballettkomödie George Dandin von Félibien begeistert aufgenommen, obschon sie eine eigenständige Pastorale enthält:

      [I]l est certain qu’elle [la pièce, Anm. S.W.] est composée de parties si diversifiées & si agreables qu’on peut dire qu’il n’en a guere paru sur le Theatre de plus capable de satisfaire tout ensemble l’oreille & les yeux des spectateurs. […] Quoy qu’il semble que ce soit deux Comedies que l’on jouë en mesme temps, dont l’une soit en prose & l’autre en vers, elles sont pourtant si bien unies à un mesme sujet qu’elles ne font qu’une mesme piece & ne representent qu’une seule action.1

      Die Kombination aus Prosa- und Versdichtung scheint keinen negativen Einfluss auf die Wahrnehmung der Aufführung als Gesamtkunstwerk zu haben, denn das Zitat zeugt von einer empfundenen Eintracht seitens des Hofsekretärs. Ferner liest man in der gazette vom 12. Oktober 1669 einen Kommentar zur Premiere von Monsieur de Pourceaugnac, welcher bereits eine Sensibilität für die gattungstypologischen Eigenarten erkennen lässt, allerdings weder den Autor noch den Komödientitel erwähnt:

      [Leurs Majestez] eurent celui d’une nouvelle Comédie, par la Troupe du Roy, entremeslée d’Entrées de Balet, & de Musique, le tout si bien concerté, qu’il ne se peut rien voir de plus agréable. L’Ouverture s’en fit par un délicieux Concert, suivi d’une Sérénade, de Voix, d’Instrumens, & de Danses: & dans le 4e Intermède, il parut grand nombre de Masques, qui par leurs Chansons, & leurs Danses, plurent grandement aux Spectateurs. La Décoration de la Scène, estoit, pareillement, si superbe, que la magnificence n’éclata pas moins en ce Divertissement, que la galanterie.2

      Die Zeichenpluralität höfischer Feste, die mit Blick auf den Aufführungskontext der Ballettkomödie eine zentrale Rolle spielt, erschwert die Destillierung und Abgrenzung des Genres von rein karnevalesken Veranstaltungen. Das Zitat erweckt eher den Eindruck einer heterogenen Darbietung als einer durchstrukturierten Ballettkomödie. Die zeitgenössischen Unsicherheiten bei der Bewertung der Gattung rühren überwiegend daher, dass dem existierenden Signifikat kein entsprechender, offiziell gültiger Signifikant zuzuordnen ist; überdies sind Unsicherheiten bezüglich der Autorenschaft gegeben, die sich aus dem Zusammenwirken der unterschiedlichen Künstler ergeben. Die Beschreibung verweist des Weiteren ausschließlich auf die Intermezzi, die Komödienhandlung bleibt unerwähnt. So vage das zeitgenössische Empfinden für die Kennzeichnung des Gattungsgefüges ist, so einmütig zeigt sich die Begeisterung für die künstlerische Performance sowie die Wahrnehmung der Einträchtigkeit. Das Streben nach Einheit entspricht der poetologischen Intention des molièreschen Dodekamerons, das den goût der Zeit trifft und über den plaire seitens der Zuschauer als willkommenes Echo auf den Autor zurückstrahlt.

      Neben Zeitzeugenberichten interessieren unter gattungspoetologischem Aspekt gängige Wörterbücher und Regelpoetiken des 17. Jahrhunderts, die im besten Fall Definitionen und ästhetisches Verstehen der Zeit liefern oder auch aufgrund von Desiderata aufschlussreich sein können. Allgemein lässt sich zu den theoretischen Abhandlungen der Komödie anführen, dass sie in jener Zeit lediglich peripher betrachtet werden.3 Von Molière gibt es überdies, wie erwähnt, keine ausgeführte Poetik zu seinem dramatischen Werk, ja er belustigt sich sogar in der préface zu Les Précieuses ridicules über die poetologischen Bestrebungen seiner Zeitgenossen:

      [S]i l’on m’avait donné du temps, […] j’aurais pris toutes les précautions, que Messieurs les Auteurs, à présent mes confrères, ont coutume de prendre en semblables occasions. […] [J]’aurais tâché de faire une belle et docte Préface, et je ne manque point de Livres, qui m’auraient fourni tout ce qu’on peut dire de savant sur la Tragédie, et la Comédie, l’Étymologie de toutes deux, leur origine, leur définition, et le reste. (PR, 4)

      Molières poetologische Intentionen sind meist nur kurzen Widmungsbriefen zu einzelnen Stücken, knappen Vorwörtern zu seinen Komödien oder metapoetischen Zitaten in seinem Primärwerk zu entnehmen. Unter Berücksichtigung der fehlenden Gattungsbezeichnung verwundert es zudem nicht, wenn Theoretiker und Kritiker in ihren Traktaten, im Gegensatz zu seinen anderen Komödien, den Ballettkomödien per definitionem keine Existenz einräumen.

      Es gibt diverse Gründe, der Ballettkomödie die Anerkennung als eigenständige Gattung ab ovo streitig zu machen. Da wären die Bezeichnungsproblematik aufgrund der Hybridität der Gattung, die oft dazu führte, die Komödie ohne die Intermezzi zu beurteilen СКАЧАТЬ