Machtästhetik in Molières Ballettkomödien. Stefan Wasserbäch
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СКАЧАТЬ mêlée avec une espèce de comédie en musique et ballet, comédie mêlée de musique et d’entrées de ballet, comédie galante mêlée de musique et d’entrées de ballet, ballet et comédie. Unter dem Terminus comédie-ballet lässt Molière nur das Lustspiel Le Bourgeois gentilhomme erscheinen, das in den Literaturkritiken als die Vollendung dieses Komödientypus Beifall findet und dessen Namenskompositum die Einheit der beiden Kunstformen zu erkennen gibt. Der Begriff sollte jedoch erst im frühen 18. Jahrhundert in der von Marc-Antoine Jolly zusammengestellten Werkedition adaptiert und definitiv für diesen Komödientypus festgelegt werden.5 Es dauert ein weiteres Jahrhundert bis der Begriff in den Dictionnaire de l’Académie française Eingang findet. Die Ballettkomödie wird 1832–1835 in der sechsten Edition des Nachschlagewerkes als Untereintrag zur Komödie angeführt und äußerst rudimentär, ohne Nennung eines repräsentativen Beispiels und Genrevertreters, definiert: „[C]omédie-ballet, se disait autrefois de Certaines comédies dont chaque acte se terminait par un divertissement de danse.“6 Anhand der Vielfältigkeit der ursprünglichen Komödienuntertitel, die unbestritten einen ersichtlicheren Hinweis auf die Spezifität des Genres geben als der Eintrag des Akademiediktionärs, lässt sich die von Molière intendierte Wesensart dieser Kunstwerke herauslesen: Sind es doch Musik, Tanz und Komödie, die das Genre bestimmen und es zugleich als solches definieren – drei Kunstarten verschmolzen zu einer. Hierbei gibt sich das absolutistische Prinzip der discordia concors der Zeit zu erkennen, welches sowohl auf das politische als auch das künstlerische Feld einwirkt.

      Strukturell gesehen besteht die Ballettkomödie aus einer binären Anordnung von Komödie und Intermezzo. Alle Einlagen werden in die Komödienhandlung miteinbezogen, worin sich die Ballettkomödie vom einfachen Zwischenspiel unterscheidet.7 Während die Komödie das Ballett integriert, kann die Ballettkomödie als Ganzes selbst im Rahmen der absolutistischen Divertissements überdies in den ballet de cour integriert sein, wie zum Beispiel der Ballet des Muses belegt. Die Intermezzi reichen in der Ballettkomödie von kleinen Sketch-Einlagen, einfachen Tänzen, Pantomimen, Chören, Musikstücken und Rezitationen über Singspiele mythologischen und surrealistischen Charakters, pompös ausgestattete Balletttänze, burleske Typenstücke, fantasievolle und exotische Aufzüge sowie Pastoralen bis hin zu den großen karnevalesken Zeremonien der letzten beiden Werke dieses Genres, Le Bourgeois gentilhomme und Le Malade imaginaire. Die Tänzer der Hofballette sind in diesen Zwischenspielen allegorische und mythische Figuren, Schäfer in den Pastoralen, Menschen aus dem täglichen Leben und Leute aus den Provinzen oder gar aus exotischem Raum. Das Herausstreichen dieser Episoden – aufgrund aufführungstechnischer Engpässe des Theaters in Paris –8 führte zu einer Deformierung der gesamten Ästhetik und entsprach keineswegs der Absicht des Erfinders: „Ce que je vous dirai, c’est qu’il serait à souhaiter que ces sortes d’ouvrages pussent toujours se montrer à vous [les spectateurs, Anm. S.W.] avec les ornements qui les accompagnent chez le Roi“ (AM, 603), wie Molière im Vorwort zu L’Amour médecin für seine Reprisen ausdrücklich wünscht. Die verkürzten Versionen der comédies-ballets wurden von den Theatergängern nicht immer so euphorisch rezipiert wie die Uraufführungen, da die für den spektakulären Charakter der Ballettkomödien sorgenden Intermezzi fehlten. Zudem widersprechen die modifizierten Komödien ob ihrer defizitären Gestaltung dem Zeitgeist der Klassik, der Unterordnung der Teile unter ein harmonisches Ganzes.9 Anhand der negativen Publikumsreaktionen zu den prunklosen Ersatzvarianten lässt sich der kulturell datierte goût mondain10 rekonstruieren. Jenen trifft Molière nicht nur durch das harmonische Arrangement von Dramen- und Sujetstruktur beider Teile, sondern auch durch die Reichhaltigkeit der szenischen Gesamtrepräsentation, die sich am aufwendigen Bühnenbild, an der opulenten Kostümierung und der hohen Anzahl an Schauspielern, Tänzern und Musikern ablesen lässt. Zudem liegt das Novum des spectacle gerade in der selektiven Rollenbesetzung. Den im Eingangszitat erwähnten „vrais Acteurs“ ist eine doppelte Bedeutung zuzusprechen: Mit der Attribuierung „vrais“ wird nicht nur auf die Professionalität der Berufsschauspieler des Illustre Théâtre angespielt, sondern auch auf den Auftritt einer Gesellschaftselite, die sich in den Ballettkomödien lebensecht als Tänzer und Sänger in Szene setzt. Die großzügige Ausstattung für einen einzigen Festtag steigert neben der Tatsache, dass der König sowie ranghohe Adelige bei der Aufführung als Tänzer mitwirken, den Exklusivitätswert der Uraufführungen ins Unermessliche.11

      Diese voropernhafte Inszenierung bedarf zur professionellen Umsetzung eines Expertenteams, das sich aus Jean-Baptiste Lully für die Musik, Pierre Beauchamp für das Ballett, Carlo Vigarani für die Bühnentechnik und Molière als Dramaturg, Regisseur, Schauspieler und Hauptkoordinator zusammensetzt.12 Dieses Künstlerquartett arbeitet in den 1660er Jahren Hand in Hand.13 Molières Dramentexte bilden die Grundlage der Spektakel und bestimmen die thematische Realisierung wie auch den Charakter der Veranstaltungen. Die Beiträge der anderen Künstler komplettieren, bereichern und nuancieren die Theaterstücke mit ihrem jeweiligen Kunsthandwerk. Lullys und Beauchamps künstlerische Individualität und Kreativität beeinflussen die musikalischen und choreografischen Stilmittel – den Einsatz von Ton- und Bewegungssemantik – und prägen in signifikanter Weise die Ästhetik der Zwischenspiele. Ihre Beiträge werden indes in die allgemeine Ökonomie des Schauspiels eingeschrieben und tragen zur Konstruktion der Gesamtbedeutung bei, deren Direktive das Privileg des Bühnenautors ist: Molière erdenkt sich die Totalität des Spektakels und die Integration der Ornamentik entsprechend der dramatischen Progression. Er war bei alldem nicht nur Initiator und Urheber der Ballettkomödie, sein Ableben besiegelt zudem das fast gänzliche Ende der Gattung.14 In diesem Sinne gehört die comédie-ballet zuerst und von Grund auf Molière.15

      Bereits vor der Zusammenarbeit mit den genannten Künstlern sammelt Molière in seinem wenig bekanntem Ballett Les Incompatibles16 (1655) erste Erfahrungen in der Koordination von diversen Theatersprachen. Dieses Ballett verfasst und leitet er für den Prince de Conti in Montpellier – noch vor den Aufführungen seiner ersten Komödien in Paris. Das Werk ist in zwei Akte gegliedert, die inhaltlich jeweils mit einer Serie von gegeneinander agierenden Oppositionsfiguren versehen sind; zum Beispiel Un vieillard et deux jeunes hommes im vierten Entree des ersten Aktes oder L’Éloquence et une Harengère im dritten Entree des zweiten Aktes. Die Einheit des Balletts besteht im Sinne der im Titel erwähnten Programmatik im Zusammenbringen von Gegensätzen, um deren Kontrastwirkung theatralisch eindrucksvoll entfalten zu können. Es manifestiert sich schon in diesem simplen Ballett das für Molières Dramaturgie fundamentale Prinzip der komischen Agonik, das er in seinen Ballettkomödien weiter verfeinern und ausbauen wird. Zudem verweist das poetologische Konzept auf die komische Gesinnung seines Tanztheaters: „There are moments of comedy which point to the formidable talent to be displayed in later plays of Molière’s career.“17 Les Incompatibles ist ein experimentierfreudiges Frühwerk des Künstlers, das auf seine weitere Schaffensphase und auf seine späteren Ballettkomödien einen wichtigen Einfluss haben wird.

      Aufgrund der von Molière nicht eindeutig mit comédie-ballet etikettierten Theaterstücke ist man sich über die Gesamtzahl der Ballettkomödien bis heute uneinig. In der Regel ergeben sich Probleme bei der Zuordnung der beiden Theaterstücke Mélicerte und Psyché: Es existieren keine genauen Daten hinsichtlich der Uraufführung von Mélicerte, ja es gilt nicht einmal als gesichert, ob dieses Theaterstück überhaupt aufgeführt wurde. Weitere Zweifel ergeben sich dadurch, dass es ein unvollendetes Werk ist, das aus zwei Akten besteht.18 Psyché ist als tragédie-ballet bezeichnet und sollte auch eher als eine Untergattung der Tragödie verstanden werden, weil sich die Balletttragödie sowohl thematisch als auch in ihrer tragischen Ausrichtung strukturell von den anderen Ballettkomödien unterscheidet. Des Weiteren ist anzuführen, dass es sich bei diesem tragédie-ballet um ein dramaturgisches Gemeinschaftswerk von Pierre Corneille, Philippe de Quinault und Molière handelt.19 Demzufolge kann derzeit unter Ausschluss der beiden angeführten Stücke von zwölf molièreschen Ballettkomödien im engeren Sinn ausgegangen werden.

      Den zwölf Ballettkomödien entsprechen zwölf Aufführungstage für die jeweiligen Premieren, an denen sie so exklusiv erscheinen, dass ihre Reprisen fast immer Abstriche hinnehmen müssen. Zur Differenzierung СКАЧАТЬ