Machtästhetik in Molières Ballettkomödien. Stefan Wasserbäch
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СКАЧАТЬ die auf dem absolutistischen Ordnungsprinzip fußt. Das Ballett ist für seine strenge Formeinhaltung bekannt und spiegelt die strengen gesellschaftlichen Konventionen der Zeit in seinem künstlerischen Ausdruck wider. Es ist das ideale Medium von Herrschafts- und Selbstdarstellung, denn der Tänzer verinnerlicht die Gesellschaftsordnung und kehrt diese aus seinem individuellen Inneren als Selbstdarstellung erneut nach außen.18

      Es ist an dieser Stelle festzuhalten, dass der ballet de cour im Komplex von künstlerischem Ausdruck und soziopolitischer Absicht die Funktion erfüllt, den Hof und die höfische Kultur in der Zeit Ludwigs XIV. zu definieren und dem europäischen Ausland Hochschätzung abzunötigen.19 Als bevorzugtes Genre dominiert der ballet de cour bis ins Jahr 1661 die Unterhaltung am Hof. Mit dem Antritt der Alleinregierung sollte sich zusätzlich die comédie-ballet etablieren und mit dem französischen Hofballett koexistieren.20 Der ballet de cour wirkt hinsichtlich seiner soziokulturellen Relevanz auf das Schaffen Molières und damit auf die Ballettkomödien ein. Dieser Einfluss zeichnet sich außerdem durch eine strukturelle Prägung ab, die sich in der hybriden Struktur der Ballettkomödie zu erkennen gibt. Molière gelingt es, im Gegensatz zu den – in Anbetracht mangelnder Synchronisierung von Ballett und Musik – bis dato oft inhaltslosen, unstrukturierten Aufführungen, eine ästhetisch fein abgestimmte Inszenierung zu geben. Die Ballettkomödien schreiben sich somit in die vierte Etappe der Entwicklung des ballet de cour ein, dem Ballett von Isaac de Benserade.21 In der Tat eröffnen Les Fâcheux eine Periode der Koexistenz und bisweilen auch Kooperation zwischen dem inhaltlich und strukturell kohärenteren Ballett von Benserade und den molièreschen Ballettkomödien, die vorherige Tanzkompositionen auf Dauer ersetzen. Dieses Hofballett sticht durch einen dreigliedrigen Aufbau hervor, eine Struktur, die auch in Molières Werken deutlich zu erkennen ist. Nobuko Akiyama fasst sie wie folgt zusammen: „un ou plusieurs récits (partie chantée pour servir à l’intelligence du sujet du ballet), plusieurs entrées (succession de défilés de personnages richement costumés), et le grand ballet final (réunion des personnages des entrées précédentes)“22. Eine ähnliche Beobachtung macht bereits 1641 ein anonymer Zeitgenosse, der in seiner Aussage eine Engführung von Ballett- und Komödienstruktur antizipiert: „Les ballets sont des comédies muettes; les récits séparent les actes, et les entrées des danseurs sont autant de scènes.“23 Über diese strukturelle Verwandtschaft hinaus macht er durch die Gleichsetzung des Balletts mit dem komischen Genre deutlich, dass das Ballett eine verstärkt komisch ausgerichtete Gesinnung haben kann. Neben diesen etablierten Aufführungsstrukturen des Hofballetts finden sich sowohl in den Komödien als auch in den Intermedien des Gesamtkunstwerkes Figuren und Themen des ballet de cour wieder.24 Gemäß der Klassifizierung des Hofballetts in den anonym erschienenen Règles pour faire des Ballets kommen für die Ballettkomödie insbesondere jene Figuren und Themen des galanten (style médiocre) wie auch burlesken (style bas) Stils infrage.25

      Das Ballett bekommt in der Ballettkomödie die Funktion einer nonverbalen Sprache innerhalb des Dramentextes zugeschrieben. Man kann mitunter von einer Dramatisierung des Balletts sprechen, von einer Adaptierung des Tanzes an die Gesetzmäßigkeiten der dramatischen Gattung. Dieser Integrationsprozess bringt gleichzeitig eine Theatralisierung des Balletts mit sich, da durch diesen Zusammenschluss eine Vielfalt unterschiedlicher Zeichensysteme entsteht. Im Zuge der Umfunktionalisierung musikalisch begleiteter Balletttänze räumt Molière mit dem zeitgenössischen Dogma auf, dass Musik nur Affekte auszudrücken, aber keine essenziellen dramatischen und theatralischen Bindungen herzustellen vermöge.26 Die dramatische Theatralisierung von Tanz und Musik erzeugt einen semiotischen Mehrwert im Vergleich zum hauptsächlich auf Kostümierung und Bühnenbild ausgelegten frühen Hofballett, das zwar wirkungsvoll und artistisch glänzt, im Grunde aber ohne Handlung ist.27 Unter strukturellem Gesichtspunkt existiert das molièresche Ballett nicht nur im Sinne einer ars gratia artis, sondern ist fester Bestandteil der Komödienhandlung.

      Eine zusätzliche Hervorhebung nonverbaler Ausdrucksweise gelingt Molière durch die Integration der in der italienischen Tradition der commedia dell’arte stehenden Pantomimen in den Tanz, womit er eine innovative Richtung in der Tanzkunst einschlägt.28 Der unverkennbare Charakter der Masken generiert ein hohes Maß an allgemeiner Verständlichkeit und zudem eine gewisse Formneutralität, die sich Molière geschickt zunutze macht, indem er das dramaturgische Gerüst des italienischen Erbes mit französischem Eigenleben besetzt.29 Wie bereits an anderer Stelle aufgezeigt, wird der Tanz nicht nur durch die Integration in die Dramen- und Sujetstruktur dramatisiert respektive theatralisiert, sondern insbesondere über das schauspielerische Moment des Agierens komisiert, woraus ein semiotischer und zugleich semantischer Mehrwert für die histoire der Komödie resultiert.

      1.3.2 Ballettmusik

      Im 17. Jahrhundert wird Musik in drei unterschiedliche Stile klassifiziert – ecclesiasticus, cubicularius und theatralis.1 Letzterer bedarf – da für diese Arbeit besonders von Belang – einer genaueren Erfassung. Musik ist, wie Friedrich Böttger feststellt, zu Zeiten Molières fast immer in Verbindung mit Tanz aufgeführt worden.2 Auf diese Weise hält mit dem Aufkommen des Tanzes auch ein musikalisches Moment Einzug in die französische Kultur. Hans Hahnl drückt das komplexe Verhältnis von Ballett und Musik mit der Leidenschaftsmetaphorik zweier Liebender aus und akzentuiert damit die Tragweite ihrer symbiotischen Verbindung:

      Die Musik befreit den Tanz zu sich selbst, sie entfesselt und sie bändigt ihn, sie gibt ihm Gesetze, mit denen er nach Belieben verfahren kann. Sie überwältigt ihn, um von ihm überwältigt zu werden […]; ein lebenslanger Kampf mit Vereinigungen [und] Versöhnungen.3

      Die Beziehung zwischen den beiden Künsten manifestiert sich darin, dass musikalische Strukturen wie Rhythmik, Klangfarbe und Dynamik choreografisch materialisiert und vice versa choreografische Bewegungsformen akustisch realisiert werden können; Musik im Ballett kann eine stimulierende Funktion für die Bewegungsaktion, aber auch eine begleitende Funktion haben.4 Ferner korrespondiert jeder Balletttanz mit einem spezifischen Musikstück: „[T]he tempo and meter of the music determine the number of step-units per measure of dance, and the affect of the music by and large determines the affect of the dance.“5

      Dieses Zusammenspiel ist von der neoplatonischen Lehre der Universumsharmonie bestimmt, die Musik und Tanz eine wohltuende Wirkung auf die Seele der Zuhörer oder Zuschauer zuspricht und trotz des zunehmend ästhetischen Anspruchs der Hoffeste und der damit verbundenen Ästhetisierung des ballet de cour noch bis ins 18. Jahrhundert Gültigkeit hat.6 Da Musik Leidenschaften auszudrücken vermag, kann sie auch die Seele von diesen reinigen.7 Jean Boiseul schildert die ethische Wirkung von Musik im Jahre 1606 wie folgt:

      [L]a musique est un excellent don de Dieu, elle recrée, remet les esprits, chasse la melancholie, appaise la colere, arreste la fureur, esmeut les plus stupides, resveille les abestis, esleve à Dieu, esmerveille les hommes de sa beauté & exellence diverse en toutes sortes, & sa gravité & douceur retire du propos de mal faire, esteint les mauvaises conceptions, incite à la vertu.8

      Sichtbar wird Musik in den Ballettbewegungen und kann sonach über zwei Vermittlungskanäle, durch das Ohr und das Auge, auf die Seele einwirken.9 Ihr Ziel ist, so Pierre Bardin 1638, „la continuité de l’harmonie“10, die allumfassende Eintracht. Der philosophischen Gesinnung der Musik geschuldet, wirkt sich diese positiv auf eine konfliktfreie staatliche Organisation aus, die den hohen Stellenwert der Musik dadurch legitimiert sieht, denn, wie der Musiklehrer in Le Bourgeois gentilhomme verkündet: „Sans la Musique, un État ne peut subsister […].“ (BG, 270) Mit der starren Ordnung des Kosmos und der daraus abgeleiteten Ordnung der Musik korrespondiert die statische Anschauung vom Menschen in der Gesellschaft,11 die sich in der absolutistischen Ständegesellschaft widerspiegelt. Der positive Einfluss der Musik auf die Gemütszustände der Rezipienten kann vom Staat als Machtmittel genutzt werden, um die Aspirationen seiner Mitglieder auf den richtigen Weg zu bringen.

      Über die enge Verbindung zum Tanz hinaus ist Musik auch in eine nahe Beziehung СКАЧАТЬ