Machtästhetik in Molières Ballettkomödien. Stefan Wasserbäch
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СКАЧАТЬ Klassik jener Zeit an, denn der klare Ausdruck wird auch zu einem ihrer Grundprinzipien: „kein Klang ohne Sinn […], klare Linien, symmetrische Fakturen, echte Kontraste aus [sic] Ausdruck gegensätzlicher Gedanken oder Gefühle“12. Diese Eigenschaften perfektioniert Lully in seinen Kompositionen für das komische Genre, indem er die französischen Qualitäten des Rhythmus und der buffonesken Fantasie mit den musikalischen Qualitäten der Italiener kombiniert.13 Damit bereitet er die französische Barockmusik mit ihrer Formschönheit und ihrem erhabenen Klang für seine Opern vor, deren dichter Instrumentalsatz ein Spiegel des kompakten, aber dennoch klaren Satzbaus der französischen Sprache ist.14 Bevor Lully diese Symbiose zwischen Sprache und Musik umzusetzen vermag, die Einheit von Text und Ton für seine Musik beansprucht, scheint er zunächst noch den Ansichten der Theoretiker seiner Zeit unterworfen zu sein – insbesondere Bénigne de Bacilly –, die postulieren, dass die Musik keine Prosodie-, Rhythmus- und Akzentfehler in der Sprache hervorrufen dürfe.15 Diese Forderungen zeigen, wie Molière den maître de musique in Le Bourgeois gentilhomme sagen lässt – „Il faut […] que l’Air soit accommodé aux Paroles“ (BG, 269) –, dass sich die Musik den sprachlichen Besonderheiten fügen muss, der Musiker dem Poeten letztlich untergeordnet ist. Diese gattungsgeschichtlich begründete Hierarchie manifestiert die Vorrangstellung der Sprache in den Ballettkomödien und lässt nachvollziehbar werden, warum sich Lully künstlerisch weiterentwickeln wird.16

      Darüber hinaus zeugen Molières prosaische Passagen in den Ballettkomödien von einem stark musikalischen Moment:

      Elle [la prose, Anm. S.W.] a un caractère particulier, que c’est une prose presque toujours chantante et même, en certains passages, mesurée et rythmée. […] [I]l ne lui suffisait pas que sa prose eût la sonorité du verbe; il voulait qu’elle fût propre à faciliter et à soutenir le débit de l’acteur, qu’elle eût du ton d’une façon générale et continue. […] [I]l mêla à sa prose des vers isolés; c’était comme des clous brillants où s’accrochait le souvenir, comme des points lumineux […]. [U]n vers isolé au milieu de la prose frappe l’oreille du spectateur, réveille son attention et saisit son esprit.17

      Molière integriert immer wieder isolierte Verse, zumeist Blankverse, in seine Prosa und verstärkt damit das lyrisch-musikalische Element seiner Texte. Dies hat den Effekt, dass der Wechsel des Schreibstils zwischen den dominant lyrischen Intermedien und der dominant prosaischen Komödie harmonischer, weil kohärenter wirkt. Molière appliziert dieses Kompositionsphänomen weitgehend auf seine Ballettkomödien und etabliert derart einen ästhetischen Übergang zwischen dem gesprochenen und dem gesungenen Wort, den der Zuschauer wohlwollend wahrnimmt: „[L]’oreille est surprise de trouver de la musique où elle n’en attendait pas, et du coup elle en met elle-même plus qu’il n’y en a …“18 Die ‚lyrische Klangprosa‘ bedingt nicht nur den einzigartigen Charakter der comédie-ballet, sondern bestimmt Molières ästhetisches Schaffen im Allgemeinen.

      1.3.3 Barocke Dramentypen

      Richelieus Umgestaltung Frankreichs in einen absolutistischen Staat bahnt dem neuen Genre frühzeitig den Weg. Seine Reformen beeinflussen insbesondere die Kulturpolitik, ist er sich doch der Wirkungsmöglichkeiten des Sprechtheaters bewusst. Er errichtet im zweiten Drittel des 17. Jahrhunderts das schönste und größte Theater in Paris, den Palais Royal, und hebt per Dekret im Jahre 1641 die soziale Diskriminierung von Schauspielern auf.1 Bereits elf Jahre zuvor wurde eine institutionelle Voraussetzung geschaffen, die Richelieus Wirken begünstigte: Im Jahre 1630 etablieren sich mit dem Hôtel de Bourgogne, dessen Schauspieler sich auch comédiens du Roi nennen, und dem Théâtre du Marais zwei feste Bühnen in Paris, die der Wanderbühnentradition ein Ende setzen sollten. Im Zuge dieser Institutionalisierung des Theaters wandelt sich das Publikum von ungebildeten Provinzzuschauern zu einem sozial höhergestellten Publikum, zur literarisch-gesellschaftlichen Öffentlichkeit der Hochklassik,2 die sich ungefähr ab der Mitte des Jahrhunderts herauskristallisiert und mit la cour et la ville zusammenfällt. Unter diesem Begriff versteht man nach Erich Auerbach allgemein die aus etwa 6.000 Personen bestehende noblesse d’épée, noblesse de robe sowie einige Angehörige des Großbürgertums, welche die gesellschaftliche Elite und kulturtragende Schicht des 17. Jahrhunderts stellen.3 Das Publikum, an welches sich Molière primär mit seinem Dodekameron richtet, ist la cour. Das erwerbslose Bürgertum gleicht dem adligen Publikum im Bildungsideal und in seiner Funktionslosigkeit, sodass la cour et la ville zu einer geschlossenen Schicht verschmelzen.4 Daher kann davon ausgegangen werden, dass auch Vertreter der haute bourgeoisie den Erstaufführungen der Ballettkomödien beiwohnen. Angesichts des neuen Publikums halten es Richelieu und gelehrte Autoritäten wie Jean de La Bruyère und Jacques Bénigne Bossuet für unumgänglich, das Ende der Farce in Paris zu forcieren, da „bassesse et immoralité des sujets, grossièreté des gestes, saleté des propos“5 der honnêtes gens unwürdig seien. Die traditionelle Farce wird in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts allmählich durch die Komödie ersetzt, wobei gerade in Molières Gesamtwerk farceske Elemente unverkennbar weiterleben.6 Auf diesem neuen kulturellen Boden gedeiht das Sprechtheater. Es etabliert sich dabei eine klassische Theaterkultur und den Höhepunkt komischer Dramatik bilden hier zweifelsohne Molières Komödien.

      Die aus Italien stammende Oper, die Mazarin bereits in den 1650er Jahren in Frankreich einführt, existiert in der Gründungszeit des neuen Genres und beeinflusst es in dem Unterfangen, unterschiedliche Künste miteinander kombinieren zu wollen. Im Gegensatz zur comédie-ballet sind die Opern aber in der Tradition der Tragödie geschrieben und unterscheiden sich von ihr durch eine stärkere Betonung der gesungenen Partien. Quinault und Lully experimentieren in dieser Zeit mit diversen Künsten unter den Bezeichnungen tragédie en musique und tragédie lyrique,7 die als erste Versuche einer französischen Oper zu betrachten sind: „[Ils] voulaient ‚marier‘ la poésie et la musique, reconnaissant entre ces deux arts une correspondance fondée sur une métrique commune.“8 Sie setzt sich noch nicht durch, da die in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts verliehenen Theaterprivilegien diesen Versuchen ein Ende setzen sollten. Außerdem erlischt mit Mazarins Tod 1661 auch das Interesse an der italienischen Kultur in Frankreich.9 Somit kann mit dem politischen Umbruch im selben Jahr, der mit dem Regierungsantritt Ludwigs XIV. einhergeht, auch ein Umbruch in der dramatischen Kunst die Ära der Ballettkomödie einläuten, die nun bis zum Jahre 1672 unter der Direktive Molières aufblühen wird. Die politischen und kulturellen Umstände führen dazu, dass Molière zum offiziellen Repräsentanten der Ballettkomödie avanciert. Danach sollte sich das Blatt wenden und Lully das Kunstpatent der Académie royale de Musique zuteilwerden und die französische Oper die Ballettkomödie substituieren.10

      Neben den rein tragischen Genres entwickelt sich zeitgleich die barocke Komödie, die sich stark an spanischen Vorbildern orientiert und sich wie diese für Musik- und Tanzeinlagen öffnet. In diesem Zusammenhang sind es Sallebray und Jean de Rotrou, die mit ihren Theaterstücken auf sich aufmerksam machen. Georges Forestier analysiert einige ihrer Werke als „comédie[s]-ballet[s] avant la lettre“11 und postuliert mit seiner These ein enges Verwandtschaftsverhältnis zu Molières Ballettkomödien, das hier genauer zu eruieren ist. Während sich Sallebray in der Tragikomödie La Belle Égyptienne (1642) damit begnügt, das Ballett ans Ende seiner Komödie zu setzen, um damit die anstehende Hochzeit der Heldin zu feiern, experimentiert Rotrou beispielsweise in La Belle Alphrède (1637) mit der Integration von Balletteinlagen innerhalb der Geschichte. Leider sind diese Versuche in La Belle Alphrède nicht immer geglückt, wie Jacques Scherer in Bezug auf die inkohärente Integration der zweiten Tanzeinlage (Akt V, Szene VI) in die Komödie konstatiert: „[Elle est] inadmissible si l’on prenait au sérieux la fiction théâtrale […].“12 Die thematische Untragbarkeit, die hier angeprangert wird, zeugt von einer dramatischen Autonomie, die auch in weiteren Handlungsepisoden dieser barocken Komödie zutage tritt.13 Selbst die Tatsache, dass die spärlich und zufällig eingestreuten Balletteinlagen nicht zwangsläufig zwischen den Akten erscheinen, unterscheidet diese barocken Vorläufer von der strukturierten klassischen Ballettkomödie, die auf eine Werkkohärenz hin komponiert ist. Des Weiteren integriert Molières Neuschöpfung СКАЧАТЬ