Der Philipperbrief des Paulus. Eve-Marie Becker
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СКАЧАТЬ AutobiographieAutobiographie, autobiographisch-Forschung beleuchtet einen zentralen Aspekt, der auch für die Analyse autobiographischer Passagen bei Paulus von großer Bedeutung sein könnte. Die gender-orientierte Autobiographietheorie nämlich „muß … vor allem fragen, inwieweit Geschlechtervorstellungen (mit)bestimmen, welche Kommunikationsbeziehungen eingegangen werden können, welche textuellen und paratextuellen Signale für deren Steuerung somit erfolgreich verwendbar sind, welche Chancen ein Text hat, in den Gattungskanon aufgenommen zu werden, und welcher Gattung Lesende einen bestimmten Text überhaupt zuordnen … Geschlecht ist nach heutigem Verständnis ein soziokulturelles Konstrukt“21. Analog zu diesem gender-orientierten Ansatz der jüngsten Autobiographie-Forschung müßten die autobiographischen Passagen bei Paulus konsequent religions-orientiert erfaßt und ausgewertet werden: Das Paradigma der Gender-Forschung lenkt das Augenmerk der Autobiographie-Forschung darauf, daß die von Männern und Frauen verfaßten autobiographischen Texte zwar nicht dichotomisch einander gegenübergestellt22, wohl aber geschichts- und literaturtheoretisch differenziert werden müssen. Analog dazu müßte das von der Paulus-Forschung vielfach betrachtete Paradigma der ‚Religion‘ des PaulusWischmeyer, Oda23 die Wahrnehmung und Interpretation der autobiographischen Aussagen in den paulinischen Briefen schärfer in den Blick nehmen.24

      Die vier genannten geschichtswissenschaftlich orientierten Ansätze zeigen, in welcher Weise das Phänomen der ‚AutobiographieAutobiographie, autobiographisch‘ historisch und insofern auch für die Frage nach der historischen Biographie und PersonPerson, persona des Paulus relevant ist:

       autobiographische Texte dokumentieren Zeit- und Ereignisgeschichte,

       autobiographische Texte stellen eine wichtige Quelle für historische Anthropologie dar,

       verschiedene autobiographische Einzeltexte und -formen können, wenn auch nur in unspezifischer Weise, einer Makro-Gattung ‚autobiographischer Literatur‘ zugerechnet werden; sie lassen sich auf ihren historischen Aussagegehalt hin untersuchen,

       autobiographische Texte weisen, wenn sie sozial- und religionsgeschichtlich differenziert betrachtet werden, spezifische Kommunikationsstrukturen auf, die Einblick in die Individualität der historischen PersonPerson, persona geben und zugleich gattungstheoretisch bedeutsam sind.

      3.2. Literarische Aspekte der AutobiographieAutobiographie, autobiographisch

      Autobiographische Texte konstituieren eine eigene literarische Gattung, die sich von der antiken bis in die moderne Literatur- und Gattungsgeschichte verfolgen läßt. Verfasser autobiographischer Texte betätigen sich als literarisch zu würdigende Autoren.

      (1.) Dazu zunächst zwei sehr unterschiedliche Beispiele aus der Literatur des 1. Jhs. n.Chr. und der Literatur des 20. Jhs.: Flavius JosephusJosephus verfaßt vermutlich in den letzten Jahren des 1. Jhs.JosephusJosephuscontr Ap1 eine autobiographische Schrift (Ἰωσήπου βίος). Diese Schrift ist in mehrfacher Weise bemerkenswert: Sie ist, obgleich der Form nach insgesamt durchaus als AutobiographieAutobiographie, autobiographisch im engeren Sinne zu bezeichnenJosephusAutobiographie, autobiographisch2, als Anhang zu den Antiquitates konzipiertJosephus3 und hat besonders in der Auseinandersetzung mit Justus von TiberiasJosephusVita390ff.4 über die Ereignisse in Tiberias während des jüdischen Aufstands gegen RomRom eine apologetische FunktionJosephus5: „Josephus nützt die Gelegenheit einer Selbstdarstellung …, um sein Renommee zu wahren, wenn nicht gar zu erhöhen“Josephus6. Der Verfasser des Bellum Iudaicum und der Antiquitates läßt auf seine historiographischen Schriften eine autobiographische Schrift folgen, damit – wie er am Schluß selbst sagt (Vita 430JosephusVita430) – andere (ἕτεροι) seinen Charakter (τὸ ἦθος) beurteilen sollen. Damit rückt die autobiographische Selbstdarstellung literarisch und gattungsspezifisch – wie bereits angedeutet – in die Nähe biographischer Literatur. Denn auch Plutarch (Alex 1 u.ö.) geht es bei seiner Darstellung von ‚Geschichte‘ in Form von βίος darum, den Charakter des Menschen (τὰ τῆς ψυχῆς σημεῖα), d.h. ἀρετήἀρετή und κακία, darzustellen.

      Die Vita des JosephusJosephus ist kein singuläres Zeugnis autobiographischer Literatur im 1. Jh. n.Chr. Auch Nikolaos von DamaskusNikolaos von Damaskus (*64 v.Chr.) z.B. berichtet in seiner nur in Fragmenten erhaltenen AutobiographieAutobiographie, autobiographisch (Περὶ τοῦ ἰδίου βίου καὶ τῆς ἑαυτοῦ ἀγωγῆς vgl. FGrHist 90 T 1FGrHist90 T 1 und F 131-139FGrHistF 131-139)Damaskus/DamascusAugustus7 über seinen Bildungsgang und seine philosophischen Grundüberzeugungen. Bemerkenswert aber ist, daß Josephus der vorläufig einzige Jude ist, der eine Autobiographie schreibt, und daß der Anlaß hierfür wohl in seiner Grenzüberschreitung jüdischer Tradition zugunsten römischer Politik, d.h. in einer ‚Brechung der Biographie‘, zu suchen ist.Autobiographie, autobiographisch8 Dies führt vor allem zu einem innerjüdischen Konflikt und fordert persönlich verantwortete Apologetik, d.h. literarisch gestaltete Selbstdarstellung heraus.

      Emily CarrCarr, Emily (1871-1945), die bedeutendste kanadische Malerin des 20. Jhs., eröffnet ihre kurz vor ihrem Tode 1945 fertiggestellte AutobiographieAutobiographie, autobiographisch „Growing Pains“ folgendermaßen:

      „My Baptism is an unpleasant memory. I was a little over four years of age. My brother was an infant. We were done together, and in our own home. Dr. Reid, a Presbyterian parson, baptized us. He was dining at our house“Carr, Emily9.

      An diesem Werk scheint – abgesehen von der gerade zitierten, überaus interessanten Werkeröffnung, in welcher Emily CarrCarr, Emily ihre Taufe als Beginn ihrer Biographie definiert – vor allem etwas Grundsätzliches bedeutsam zu sein: Eine Malerin, die in der Form des SelbstSelbst, self, selfhood-Portraits vielfache Möglichkeiten der Selbst-Reflexion und Selbst-Darstellung hat und diese auch nutztSelbst, self, selfhoodCarr, Emily10, wählt die literarische Form der AutobiographieAutobiographie, autobiographisch, um gleichermaßen über ihre Biographie geschichtlich Auskunft zu gebenAutobiographie, autobiographischCarr, Emily11 und diese Biographie intentional nach außen hin literarisch zu formen. Carr steht hiermit in einer – mindestens seit J.-J. Rousseau und J. W. von Goethe bestehenden und bis in die Gegenwart anhaltenden – Tradition autobiographisch schreibender Künstler.Selbst, self, selfhood12

      (2.) Autobiographische Texte haben in literaturpragmatischer Hinsicht eine bekenntnishafte oder apologetische Funktion. Denn:

      „AutobiographieAutobiographie, autobiographisch ist eine Textart, durch die ihr Autor in der Vergangenheit erfahrene innere und äußere Erlebnisse sowie selbst vollzogene Handlungen in einer das Ganze zusammenfassenden Schreibsituation sprachlich in narrativer Form so artikuliert, daß er sich handelnd in ein bestimmtes Verhältnis zur Umwelt setzt“13.

      Diese zunächst rein kommunikative Struktur autobiographischer Texte realisiert sich – je nach Kommunikationssituation – intentional und in unterschiedlichem Ausmaß in bekenntnishafter oder apologetischer Sprache und Textpragmatik. In 2 Kor 10-13082 Kor10-13, dem vermutlich letzten Brief der korinthischen Korrespondenz, schlägt sich eine deutlich apologetische Tendenz autobiographischen Schreibens nieder, die auf die verschärfte Situation der paulinischen Kommunikation mit der korinthischen Gemeinde verweistRechtfertigung14.

      (3.) Zu den literarischen Aspekten autobiographischer Formen gehört schließlich auch die Frage nach dem Verhältnis von AutobiographieAutobiographie, autobiographisch und Autofiktion. Das Phänomen der Autofiktion, d.h. der fiktionale Entwurf von Personalität, begegnet zwar besonders in den autobiographischen Romanen der modernen Literatur.Autobiographie, autobiographisch15 Elemente von Autofiktion finden sich aber bereits generell in antiker Literatur16 und speziell in den biographischen und autobiographischen Formen17. Denn der sich selbst darstellende СКАЧАТЬ